Recht und Steuern

M4 Nr. 19

M 4 Nr. 19
GENCON-Charter 1994. Liegezeit-Berechnung: Ort und Zeit für die Notice of Readiness, Klausel „Off the Port“; Liegezeit-Beginn bei besetztem Liegeplatz und anderen Hindernissen, bei „Berth Charter“, bei „Port Charter“, am Sonnabend = Arbeitstag in Rußland. Kosten des Verholens. Überliegezeit, Demurrage
1. Die Charter-Klausel „no notice to be tendered before laycan“ bedeutet, daß eine vorher gegebene notice of readiness unbeachtlich ist. Die Parteien können aber - auch stillschweigend - vereinbaren, daß eine vorzeitige Notiz wie üblich zum frühestmöglichen Zeitpunkt wirksam wird.2. Die Klausel „off the port of loading/discharging“ betrifft nicht die eigentlichen Hafengrenzen, sondern umfaßt alle gewöhnlichen Warteplätze außerhalb des Hafens.
In Bezug auf den Hafen St. Petersburg umfaßt sie auch die Lotsenstation nahe der Hafengrenze, so daß von dort eine wirksame Notiz gegeben werden kann.
3. Der Sonnabend ist nach russischem Arbeitsrecht ein Arbeitstag, so daß an diesem Tag die Liegezeit beginnen kann.
4. Nach Klausel 6 GENCON 1994 läuft die Liegezeit, wenn der vereinbarte Liegeplatz besetzt ist, auch dann, wenn ihn das Schiff aus anderen Gründen, z.B. fehlende Eisbrecher, nicht erreichen kann.
5. Bei einer ‘port-charter’ gehen alle Risiken vom Erreichen des Hafens bis zum Erreichen des Liegeplatzes zu Lasten des Charterers, bei einer ‘berth-charter’ zu Lasten des Reeders. Gibt es an einem Ladeplatz nur einen Liegeplatz, so handelt es sich um eine ‘berth-charter’, auch wenn dieser in der Charter nicht ausdrücklich genannt wird.
6. Nach Klausel 6 der GENCON-Charter zählt die Zeit des Verholens vom Warte- zum Ladeplatz (loading berth) nicht als Liegezeit; die scheinbar entgegenstehende Klausel 29, die die Verholzeit der Liegezeit und die Kosten dem Charterer zurechnet, gilt nicht für ein Verholen, das bereits bei Abschluß der Charter vorgesehen war.
7. Der Grundsatz „Once on demurrage, always on demurrage“ gilt nach deutschem Recht nur bei besonderer Vereinbarung.
Hamburger Schiedsgericht, Schiedsspruch vom 13.6.2006 Hamburger Seerechts-Report 2006, 83 = RKS M 4 Nr. 19
Aus dem Sachverhalt:
Die 140 m lange, mit 4.955 BRT vermessene VOLGA 35 war für eine Reise von St. Petersburg nach Spanien mit Schrott verchartert worden. Im ‘Fixture Recap’ war u.a. vereinbart:
--- Cargo: full and complete cargo of turnings stowage factor about 42 cbft, excluding motor/blocks/turnings, harmless, none dangerous, none oily, no heavy pieces (the vessel will load up to max permissible sailing draft at Gorskaya 3.6 metres and balance in St Petersburg Kirovskiy Plant/Zavod 5.0 metres) the owners to satisfy themselves with restrictions at load ports with charterer’s agents and confirm same.
---Loading Port: Gorskaya and St Petersburg 1 good safe berth, always afloat (this rotation)
---Discharge Port: Chopt 1 N.Spain 1 good safe berth always afloat
---Laycan: 5./7. January 2002
---Loading Rate: 1500 tons sshinc at Gorskaya
1200 tons sshinc at St Petersburg
---Discharge Rate: 1000 tons sshex eiu
---Laytime: none reversible
---No notice to be tendered before laycan *)
fr15pm/mon8am at discharge
---Demurrage Rate: US$ 2750 per day pro rata at load
US$ 1500 at discharge
---Dispatch: free at load - half at discharge
GENCON 1994 to apply
Charterers proforma c/p
In Klausel 6 der Charter hieß es:
6. Laytime c) Commencement of laytime (loading and discharging)
Laytime for loading and discharging shall commence at 14.00 hours, if notice of readiness is given up to and including12.00 hours, and at 8.00 hours next working day if notice is given during office hours after 12.00 hours....
If the loading/discharging berth is not available at the Vessel’s arrival at or off the port *) of loading/discharging, the Vessel shall be entitled to give notice of readiness within ordinary office hours on arrival there, whether in free pratique or not, whether customs cleared or not. Laytime or time on demurrage shall then count as if she were in berth and all respects ready for loading/discharging provided that the Master warrants that she is in fact ready in all respects. Time used in moving from the place of waiting to the loading/discharging berth shall not count as laytime ...*)
Die zusätzliche Klausel 29 der Charter lautete:
If shifting required, all shifting expenses to be for charterer’s account and shifting time to count as laytime *).
Ausweislich des Statement of Facts erreichte die VOLGA 35 die Lotsenstation von St. Petersburg am 2.1., 05.00 Uhr, und gab Notiz. Am 3.1. verholte die VOLGA 35 an den Leytenanta Schmidta Quay (LSQ) im Hafen von St. Petersburg, wo sie am Morgen des 4.1., 4.30 Uhr eintraf. Bereits seit dem 30.12. und bis zum 6.1. 12.25 Uhr war der Liegeplatz in Gorskaya von der VOLGA 4003 besetzt. Erst am 18.1. verholte die VOLGA 35 nach Gorskaya, wo sie um 21.45 Uhr fest war. Die Ladearbeiten begannen am Sonnabend, 19.1. 12.30 Uhr und waren am 20.1., 23 Uhr, beendet. Für den Zeitraum bis zum 21.1. 8 Uhr wies das Statement of Facts die Eintragungen „Waiting draft survey & shifting to Kirowskiy-Plant“, „Draft survey“, „Customs checking and vessel’s holds sealing“ aus. Am 22.1. 14.00 Uhr verholte die VOLGA 35 mit Hilfe eines Eisbrechers zum Liegeplatz an der Kirowskiy-Anlage. Hier machte sie zunächst längsseits an der OMSKIY-109 fest. Das Statement of Facts enthielt hierzu den Hinweis:
General Remarks: 23-01.2002 The vsl was berthed to m/v „OMSKIY-109“ as loading berth was inaccessible though free due to the fact the opposite berth was occupied by another vsl and pilot refused to moor the vsl in dangerous conditions.
Den vorgesehenen Liegeplatz an der Kirowskiy-Anlage erreichte die VOLGA 35 erst am 24.1. 21.30 Uhr. Die Ladearbeiten begannen am 25.1. 04.00 Uhr und waren am 26.1. 16.40 Uhr abgeschlossen. Die Formalitäten waren am 29.1. 11.30 beendet. Um 11.42 verließ die VOLGA 35 die Kirowskiy-Anlage mit Hilfe eines Eisbrechers.
Der Reeder der VOLGA 35 leitete vor einem Hamburger Schiedsgericht ein Verfahren gegen den Charterer ein und machte unter Anrechnung des vom Charterer im Löschhafen verdienten despatch wegen der Verzögerungen in St. Petersburg Ansprüche auf Demurrage in Höhe von US$ 38.389 geltend. Die Parteien waren sich einig, daß in St.Petersburg, auf der Grundlage der übernommenen Ladungsmenge, 3 Tage, 22 Stunden, 38 Minuten (=3,943 Tage) zur Verfügung gestanden hatten. Ausgehend davon sei, so der Reeder der VOLGA 35, das Schiff für 16,175 Tage auf Demurrage gekommen. Der Charterer erklärte, daß dem Reeder kein Demurrage zustehe, und machte wegen des im Löschhafen angefallenen despatch seinerseits Gegenansprüche in Höhe von US$ 3.923,44 geltend.
Aus den Gründen:
Die VOLGA 35 ist für 76 Stunden, 47 Minuten (=3,199 Tage) auf Überliegezeit gekommen. Hieraus errechnet sich ein Demurrage-Anspruch von US$ 8.797,25. Abzüglich des unbestrittenen Gegenanspruchs des Charterers hat der Reeder noch US$ 4.543,19 zu zahlen.
I. Die Wirksamkeit der Notiz
1. Die Notiz, die die VOLGA 35 am 2.1. nach Eintreffen an der Lotsenstation gegeben hatte, war wirksam. Zwar heißt es im ‘Fixture Recap’: „laycan: 5/7 January 2002“ und „no notice to be tendered before laycan“, was so verstanden werden kann, daß eine früher gegebene Notiz schlechthin unbeachtlich ist. Die Parteien haben aber nicht zuletzt durch ihr Verhalten im Prozeß deutlich gemacht, daß die üblichen Folgen einer vorzeitig gegebenen Notiz gewollt waren, daß sie also von sich aus zu dem frühesten Zeitpunkt, zu dem sie hätte gegeben werden können, wirksam geworden ist.
Die Notiz konnte auch von der Lotsenstation in St. Petersburg wirksam gegeben werden. Nach Klausel 6 der Charter war das Schiff berechtigt, nach der Ankunft in oder vor dem Ladehafen innerhalb der üblichen Bürozeiten Notiz zu geben, wenn der Liegeplatz nicht frei war. Unstreitig hat die VOLGA 4003 zwischen dem 30.12.2001 und dem 6.1.2002 am vorgesehenen Liegeplatz in Gorskaya gelegen. Dort stand nur eine Pier von ungefähr 200 Metern Länge zur Verfügung. Die VOLGA 35 und die VOLGA 4003 konnten dort nicht gleichzeitig liegen.
2. Schließlich liegt die Lotsenstation von St.Petersburg ‘off the port’ im Sinne der Klausel 6 der Charter. Die Wendung betrifft nicht die eigentlichen Hafengrenzen, sondern umfaßt auch alle gewöhnlichen Warteplätze außerhalb des Hafens. Außerdem ergibt sich aus der Seekarte, daß sich die Lotsenstation so nahe an der Hafengrenze befindet, daß die Voraussetzungen des ‘off the port’ erfüllt sind, unabhängig davon, ob Gorskaya neben St. Petersburg ein selbständiger Hafen ist.
3. Die Notiz ist nach Klausel 6 der Charter wirksam geworden und führte dazu, daß die Liegezeit am Sonnabend, 5.1., 14 Uhr zu laufen begann. Der Sonnabend ist nach den einschlägigen russischen arbeitsrechtlichen Bestimmungen ein Arbeitstag.
II. Die Wartezeit am LS-Quay
Die Zeit zwischen dem Eintreffen der VOLGA 35 am LSQ am 5.1., 14 Uhr bis zum Freiwerden des Liegeplatzes in Gorskaya am 6.1., 12.25 Uhr zählt (abgesehen von den vom Reeder selbst ausgenommen Zeiten) als Liegezeit. Nach Klausel 6 wäre die Zeit als Liege- oder Überliegezeit anzurechnen gewesen, auch wenn die VOLGA 35 nicht zum LSQ verholt hätte, sondern bei der Lotsenstation geblieben wäre, wenn der Kapitän zugesagt hätte, daß das Schiff in jeder Hinsicht ladebereit war. Dies aber hatte der Kapitän bereits in der Notiz bestätigt.
4. Der Charterer hatte geltend gemacht, daß die VOLGA 35 ohnehin nicht Gorskaya hätte anlaufen können, weil keine Eisbrecher zur Verfügung gestanden hätten. Das Schiedsgericht verstand die Klausel 6 im wörtlichen Sinne. Solange der Liegeplatz besetzt ist, kommt es nicht darauf an, ob das Schiff aus anderen Gründen nicht in der Lage ist, dorthin zu verholen, wenn es ladebereit ist. Solange der Liegeplatz nicht frei ist, besteht kein Anlaß, sich überhaupt um Eisbrecher etc. zu kümmern, um ein Verholen zu ermöglichen.
III. Die Wartezeit nach Freiwerden des Liegeplatzes in Gorskaya
Die VOLGA 4003 hat den Liegeplatz in Gorskaya am 6.1., 12.25 Uhr verlassen. Die Zeit bis zum Beginn des Verholens der VOLGA 35 nach Gorskaya am 18.1., 14.20 Uhr, ist nicht auf die Liegezeit anzurechnen.
5. Wie das Schiedsgericht nach Würdigung der erhobenen Beweise feststellte, war der einzige Grund dafür, daß sich die VOLGA 35 zunächst nicht dorthin begeben hatte, daß keine Eisbrecher für die Fahrt dorthin zur Verfügung standen. Dies aber war ein Risiko des Reeders. Im Hinblick auf Gorskaya handelte es sich bei der Charter um eine berth-Charter; Gorskaya sei ausdrücklich als einer der Ladeplätze genannt. Der Liegeplatz dort war nur 200 Meter lang. Die VOLGA 35 hätte nahezu die gesamte Länge benötigt. Bei einer berth-Charter trägt der Reeder alle nautischen Gefahren bis zum Eintreffen am Liegeplatz.
Hinzu kommt, daß sich aus den vertraglichen Vereinbarungen bezüglich des Eisbrechers ergibt, daß der Reeder das Risiko der Nicht-Verfügbarkeit von Eisbrechern für die Fahrt nach Gorskaya und zurück übernommen hatte. Die Beweisaufnahme ergab, daß alle Eisbrecher-Abgaben zu Lasten des Reeders gehen sollten. Eine Abrede über die Übernahme von Kosten bezieht sich nicht notwendig auch auf die Verteilung von Risiken. Wenn aber ein Reeder eine zusätzliche Zahlung für die Stellung von Eisbrechern verlangt, übernimmt er grundsätzlich die Pflicht, einen Eisbrecher zu beschaffen und entsprechend das Risiko für dessen Nicht-Verfügbarkeit. Die vereinbarte um US$ 1,5 pro Tonne erhöhte Fracht bezog sich nicht lediglich auf die Fahrt von der Eiskante nach St. Petersburg, sondern auch auf die Fahrt von dort nach Gorskaya und zurück..
IV. Verholen vom LS-Quay nach Gorskaya
6. Auch die Zeit für das Verholen vom LSQ zum Liegeplatz in Gorskaya am 18.1. von 14.20 bis 21.00 Uhr zählt nicht als Liegezeit. Der Reeder verwies auf Klausel 29 der Charter. Die Bestimmung in Klausel 6, daß Verhol-Zeiten nicht anzurechnen sind, geht aber vor. Die Klausel „shifting required“ in Klausel 29 meint nicht ein Verholen des Schiffes, das bereits bei Abschluß der Charter vorgesehen war.
V. Laden in Gorskaya
Die Ladearbeiten in Gorskaya vom 18.1., 21.45 Uhr bis 20.1., 23.00 Uhr sind auf die Liegezeit anzurechnen. Dies gilt jedoch nicht für die weitere Zeit bis 21.1., 8 Uhr, als die Luken von den Zollbehörden versiegelt wurden. Es ist nicht ersichtlich, daß die Verzögerungen auf ein Unterlassen des Charterers zurückgingen.
In der Folgezeit wartete die VOLGA 35 wiederum auf einen Eisbrecher. Es gelten die oben angestellten Erwägungen. Zwar ist die Charter im Hinblick auf die Kirowskiy-Anlage eine ‘port charter’. Maßgeblich sind hier aber die Vereinbarungen über die Zurverfügungstellung von Eisbrechern.
Es ist auch im Hinblick auf die Kirowskiy-Anlage keine zweite Notiz gegeben worden, obwohl insoweit eine ‘port charter’ vorliegt. Das Schiedsgericht geht davon aus, daß die Parteien stillschweigend vereinbart haben, daß keine zweite Notiz notwendig war.
VI. Verholen von Gorskaya zur Kirowskiy-Anlage
Die Zeit für die Fahrt von Gorskaya zum Liegeplatz an der OMSKIY-109 geht ebenfalls zu Lasten des Reeders. Diese war ein Teil der ohnehin vereinbarten Reise, die durch die Fracht abgegolten war.
VII. Warten und Laden an der Kirowskiy-Anlage
Dagegen ist die Zeit vom 22.1., 17 Uhr bis zum 24.1., 20.25 Uhr, als die VOLGA 35 neben der OMSKIY-109 lag, auf die Liegezeit anzurechnen. Bei einer berth-Charter ist es möglicherweise schwierig festzustellen, zu wessen Lasten es geht, wenn zwar der Liegeplatz selbst frei, aber durch ein direkt gegenüberliegendes Schiff blockiert ist. Bei einer port-Charter, wie sie hier vorliegt, ist dagegen klar, daß, nachdem das Schiff den Hafen erreicht hat und es ladebereit ist, alle Hindernisse beim Erreichen des Liegeplatzes zu Lasten des Charterers gehen. Die VOLGA 35 ist am 24.1., 0.13 Uhr, auf Überliegezeit gekommen.
7. Auch die Zeit für das Verholen der VOLGA 35 von der OMSKIY-109 zum Liegeplatz an der Kirowskiy-Anlage am 24.1., 20.25 bis 21.30 Uhr geht zu Lasten des Charterers. Grundsätzlich sind Verhol-Zeiten wie oben IV. erläutert nicht auf die Liegezeit anzurechnen. Der Reeder der VOLGA 35 hatte auf den Grundsatz ‘once on demurrage, always on demurrage’ verwiesen. Dieser aber gilt nach Auffassung des Schiedsgerichts bei Anwendung deutschen Rechts nur, wenn er ausdrücklich vereinbart ist. Beide Parteien sind, wie ihr Verhalten gezeigt hat, davon ausgegangen, daß der Grundsatz zur Anwendung gelangt. Außerdem heißt es in Klausel 6, daß Verholzeiten nicht als Liegezeit zählen („...shall not count as laytime“) und gerade nicht als Überliegezeit.
Da die Parteien die Geltung des Grundsatzes ‘once on demurrage, always on demurrage’ akzeptiert haben, fallen auch die weiteren Zeiten bis zur Beendigung der Ladearbeiten und der Zollformalitäten zu Lasten des Charterers. Dies betrifft den Zeitraum am 24.1. von 21.30 bis 22.30, in denen auf die Zollbehörden gewartet wurde, die die Luken entsiegelt haben, für die Zeit der weiteren Ladearbeiten am 24.1. 23.30 Uhr, bis zum 26.1., 16.40 Uhr, sowie für die sonstigen Formalitäten, die am 27.1, 5.00 Uhr, abgeschlossen wurden.

*) Hervorhebungen vom Bearbeiter.
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