Recht und Steuern

M 4 Nr.15

M4 Nr.15
§ 556, 588 HGB- Mengenvertrag auf Gencon-Standardformular mit tbn-Vorbehalt, FIOT undBunkerzuschlag: Raumfracht- oder Stückgutfrachtvertrag? RechtzeitigeGeltendmachung des Anspruchs auf Fehlfracht (Fautfracht, Deadfreight)
Nach deutschem Recht ist ein Frachtvertrag entweder ein Stückgut- oderein Raumfrachtvertrag.
Das gilt auch für einen Mengenvertrag. Für die rechtliche Zuordnung istferner belanglos, daß der Verfrachter einen Liniendienst betreibt.
Die Verwendung des Gencon-Standardformulars spricht für einenRaumfrachtvertrag, da es den Standard-Raumfrachtvertrag für die internationaleSchiffahrt enthält. Der Parteiwille kann gleichwohl auf einenStückgutfrachtvertrag gerichtet sein.
Der Raumfrachtvertrag verpflichtet den Verfrachter, Raum in einembestimmten Schiff zur Verfügung zu stellen. Akzeptiert der Befrachter einen TBN[ = to be nominated ] -Vorbehalt, so ist ihm gleichgültig, mit welchemSchiff der Verfrachter transportiert.
Das spricht für einen Stückgutfrachtvertrag, ebenso die Vereinbarung derIncoterm-Klausel FIOT [ = free in and out, trimmed ] und einesBunkerzuschlages. Beide Klauseln sind für Raumfrachtverträge unüblich,entsprechen aber bei Stückgutfrachtverträgen der üblichen Praxis.
Einen Anspruch auf Fehlfracht aus einem Stückgutfrachtvertrag muß derVerfrachter dem säumigen Befrachter vor der Abreise des Schiffes ankündigen,sonst erlischt der Anspruch. Die Begriffe Fehlfracht, Fautfracht undDeadfreight sind synonym.
Schiedsgerichtder German Maritime Arbitration Association GMAA
Schiedsspruchvom 9. März 2004;Hamburger Seerechts-Report 2004 S.112 = RKS M 4 Nr.15
Aus demSachverhalt:
EinVerfrachter hatte mit Vertrag vom 6.12.1994 auf der Grundlage desGencon-Standardformulars die Beförderung von minimum 27,000 mts, up to about36,000 mts Magnesium Oxyde in Partien von 3.000 bis 4.000 Tonnen proVerschiffung von Tampico/Mexiko nach Antwerpen übernommen. Der Vertrag wurdemehrfach verlängert. Am 27.11.1997 wurde, wiederum auf der Grundlage desGencon-Standardformulars, der vereinbarte Folgevertrag ausgefertigt. Hier waru.a. vereinbart:
„Minimum25,000 tons up to 30,000 magnesium oxide in bulk in lots of about 2,500 - 4,000tons bulk including big bags on pellets per shipment with 5 % more or less andexact quantity in charterer–s option but subject to owner–s final approval upon stem[1] declaration latest 30 days prior to each shipment. Always a minimum of 2,500 tons bulk and/or big bags to be carried unless otherwise mutuallyagreed upon.”
Durch AddendumNo. 3 vom 1.12.2000 wurde vereinbart, den Folgevertrag auf das Jahr 2001 zuerweitern. Unter Berücksichtigung verschiedener Abzüge blieb für das Jahr 2001eine Menge von 11.438,94 Tonnen, die im Hinblick auf eine anzurechnende, nochlaufende Verschiffung zu korrigieren war. Die Abfahrten sollten mit SchiffenTBN [ = to be nominated ] erfolgen. Vereinbart war eine Fracht von US$33,00 pro Tonne FIOT [ = free in and out, trimmed ] sowie ein Aufschlag von50 percent baf listed by WITASS[2] valid at the time of shipment (vatos) but maximum US$ 3,- to apply for 2001.
DerVerfrachter betrieb im Jahre 2001 mit drei Schiffen eine Linie zwischenAntwerpen und Mexico mit 14tägigen Abfahrten.
Im Jahre 2001wurde eine Verschiffung für Mitte März vereinbart. Diese wurde jedoch eineStunde vor dem geplanten Ladebeginn storniert. Der Verfrachter berechneteFehlfracht in Höhe von US$ 66.000, die vom Befrachter bezahlt wurde. WeitereVerschiffungen wurden im Jahre 2001 nicht durchgeführt.
Mit Telefaxvom 23.3. erklärte der Verfrachter dem Ablader: „Pls note, that we hope andwish, that the commercial relations with you will be continued in the future,resulting in the full accomplishment of the 20,000 tons as agreed. For anyfurther deadfreight claims we would like to watch the present development andpreferring to take a decision, according to the captioned contract, end thisyear.”
Mit e-mail vom30.1.2002 forderte der Verfrachter den Befrachter auf, „Fehlfracht gem. § 580ff. HGB” in Höhe von US$ 292.925,82 zu zahlen. Dieser Betrag errechnete sichanhand der Rate von US$ 33 pro Tonne für eine Menge von 8.876,54 Tonnen. DasSchiedsgericht wies die Klage ab.
Aus denGründen:
Bei demAddendum No. 3 handelt es sich um einen Stückgutfrachtvertrag, so daß sich derAnspruch auf Fehlfracht nach § 588 HGB beurteilt. Der Verfrachter hat aber denAnspruch nach Abs. 3 verloren. Der Verfrachter macht einen Fehlfrachtanspruchgeltend, den er in seinem Anspruchsschreiben vom 30.1.2002 auch ausrücklich alssolchen bezeichnet hat. Daß er seinen Anspruch im Schreiben vom 23.3.2001 alseinen solchen auf –deadfreight– bezeichnet hat, schadet ihm nicht. Zwar hat derBGH in einer früheren Entscheidung festgestellt, daß derjenige, der diesenTerminus gebrauche, einen Schadensersatzanspruch und keinen Fehlfrachtanspruchgeltend machen wolle. Das Schiedsgericht folgt dem nicht. Wer sich derenglischen Sprache bedient und –Fehlfracht– sagen will, wird keinen anderenBegriff als –deadfreight– finden. Die Begriffe sind synonym. Dieunterschiedliche Begründung des Anspruchs im deutschen und im englischen Rechtsind hier ebenso irrelevant wie bei dem BegriffspaarÜberliegegeld/Demurrage.
Nach dem hieranwendbaren deutschen Recht (§ 556 HGB) ist ein Frachtvertrag entwederein Stückgut- oder ein Raumfrachtvertrag. Der Vertrag vom 27.11.1997 ist keinVertrag –sui generis–, sondern - mit seinem Addendum Nr. 3 - einStückgutvertrag. Zwar deutet die wiederholte Verwendung des Gencon-Standardformularsprima facie darauf hin, daß sich die Parteien auf einen Raumfrachtvertrageinigen wollten. Das Gencon-Standardformular enthält denStandard-Raumfrachtvertrag für die internationale Schiffahrt. Aus demwirklichen Willen der Parteien ergibt sich jedoch, daß diese gleichwohl einenStückgutvertrag abgeschlossen haben. Daß der Verfrachter einen Liniendienstbetrieb, spielt keine Rolle. Es ist allgemein bekannt, daß imLinienverkehr sowohl Stückgut- als auch Raumfrachtverträge abgeschlossen werden. Bei dem Vertrag vom 27.11. handelt es sich um einen Mengenvertrag. Auch dieserfindet sich in der Schiffahrtspraxis sowohl als Stückgut- als auch alsRaumfrachtvertrag. Der Befrachter hat im Addendum No. 3 den TBN-Vorbehaltakzeptiert. Damit hat er demonstriert, daß es ihm gleichgültig war, mit welchemder vom Verfrachter in seiner Linie eingesetzten Schiffe der Transport dervereinbarten Teilmengen durchgeführt werden sollte. Erkennbar kam es demBefrachter auf die Ladung, nicht aber auf die präzise Vereinbarung desBeförderungsmittels an. Für einen Raumfrachtvertrag ist es typisch, daß derVerfrachter mit ihm verpflichtet wird, Raum in einem bestimmten Schiff zurVerfügung zu stellen. Geschieht dies in einem Frachtvertrag wie demvorliegenden nicht, so handelt es sich um einen Stückgutvertrag. Die Verwendungdes Incoterms FIOT und die Vereinbarung eines Bunkerzuschlages sind schließlichfür Raumfrachtverträge ebenso unüblich wie sie bei Stückgutverträgen der üblichen Praxis entsprechen.
Grundsätzlich standdem Verfrachter ein Anspruch auf Fehlfracht zu. Diesen hat er aberverloren, weil er ihn dem Befrachter nicht vor der Abreise kundgegeben hat. DerVerfrachter hat den Anspruch erstmalig am 30.1.2002, mithin erst einen Monatnach Ablauf des Jahres 2001 geltend gemacht, also erst zu einem Zeitpunkt, alsalle Verschiffungen unter dem Addendum Nr. 3 bereits hätten abgeschlossen seinsollen. Wie großzügig man auch immer den Begriff „vor der Abreise” auslegt, auf die Zeit nach Ablauf der Periode, in der alle Verschiffungen ausgeführt seinsollten, kann man ihn nicht ausdehnen.
Sinn und Zweckdes § 588 Abs. 3 HGB ist sicherzustellen, daß dem Befrachter eindeutigund unmißverständlich die Absicht des Verfrachters klar wird, diesen Anspruchgeltend zu machen, um dem Befrachter damit eine letzte Chance zu geben,seinerseits den Frachtvertrag zu erfüllen. Der Verfrachter hat seinenFautfrachtvertrag auch nicht mit dem Schreiben vom 23.3.2001 kundgetan. ImGegenteil besagt dessen Wortlaut gerade, daß er den Anspruch jetzt noch nichtgeltend macht, sondern erst die Entwicklung des Jahres 2001 abwarten will. Dasmag gute kommerzielle Gründe gehabt haben, die Voraussetzungen des § 588 Abs. 3HGB sind damit aber nicht erfüllt.
[1] stem = subject to enough merchandise beingavailable - siehe GMAA-Schiedsspruch vom 10.11.1999
RKS M 4 Nr. 11
[2] baf = bunker adjustment factor, hierzu sieheRaabe Seehandelsrecht 4. Aufl. München 2000 Rd-Nr. 1
zu § 621 HGB. WITASS = Association of West India Trans-Atlantic Steam ShipLines (Konferenz), siehe
ABC der Abkürzungen aus Verkehr, Transport und Logistik, DeutscherVerkehrs-Verlag Hamburg 1994.