Recht und Steuern

B1 Nr.76

B1 Nr.76
§ 20 der Platzusancen für den hamburgischen Warenhandel - Trennung des Verfahrens der Hamburger freundschaftlichen Arbitrage in eine Zahlungsarbitrage und eine Qualitätsarbitrage mit je einem Obmann, insbesondere bei vereinbartem Aufrechnungsverbot („Kasse”-Klausel).

Das Verfahren der Hamburger freundschaftlichen Arbitrage kann in eine Zahlungsarbitrage und eine Qualitätsarbitrage geteilt werden mit je einem Obmann, wenn dies zweckmäßig ist, z.B. wenn im ersten Verfahren erkennbar juristische Erwägungen im Vordergrund stehen, während das zweite möglicherweise weitere Aufklärungen des Sachverhalts und eine besondere oder eine anders geartete Sachkunde erfordert.
Schiedsgericht der Hamburger freundschaftlichen Arbitrage Schiedsspruch vom 27.5.2002; RKS B 1 Nr. 76
Aus dem Sachverhalt:
Die Klägerin verkaufte der Beklagten u.a. mehrere Partien Elfenbein-Rohkakao „aus einem Versicherungsschaden, leicht und schwer beschädigte Ware, deren Trocknung erforderlich war”, Qualität/Beschaffenheit: laut Muster, im übrigen wie beschrieben; ab Lager Holland; Zahlung: Netto Kasse gegen Rechnung/Freistellung bzw. Netto Kasse gegen Rechnung und Abnahme; Gerichtsstand: Hamburger freundschaftliche Arbitrage/Hamburg.
Die Beklagte rügte: „Geruch muffig, erdig, holzig, Schimmel 22, 26, 24, 22, 18, 31 Prozent. Unverhältnismäßig hoher Stein-Einwurf, auch Betonteilreste”, stoppte weitere Verladungen, verlangte Ersatzlieferung von restlichen 248 Tonnen sowie Schadensersatz für Produktionsausfall und Deckungskäufe, erklärte Aufrechnung und Zurückbehaltung bis zur endgültigen Klärung aller offenen Posten. Die Klägerin bestreitet die Identität der vorgelegten Muster mit der gelieferten Ware und ist nicht bereit, die auf diesen Mustern basierenden Laborbefunde anzuerkennen, sie meint ferner, die Beklagte hätte die aus einem Versicherungsschaden stammende Ware nicht ohne eingehende vorherige Untersuchung in die Verarbeitung gehen lassen dürfen; schon deshalb ständen ihr keine Gegenansprüche zu.
Die Parteien benannten ihre Schiedsrichter. Die Kl. erhob am 24.4. Schiedsklage über ihre offenen Kaufpreisansprüche (Zahlungsarbitrage). Die Bekl. erhob am 29.4. Qualitätsarbitrage über – 829.280. Die Kl. sah jedes Verfahren als gesondertes Verfahren und bestand auf einer Trennung. Die Bekl. widersprach der Trennung von Zahlungsarbitrage und Qualitätsarbitrage und beantragte „Zugleichentscheidung”. Auf Antrag der Schiedsrichter vom 8.5. ernannte die Handelskammer Hamburg mit Schreiben vom gleichen Tage für die Zahlungsarbitrage Herrn Dr. M zum Obmann und für die Qualiträtsarbitrage Herrn L.

In der mündlichen Verhandlung vom 21.5.2002 erklärte die Bekl., daß sie zwar die Zuständigkeit des Schiedsgericht als solchem anerkenne, aber einer Trennung beider Verfahren widerspreche und auf „Zugleichentscheidung” bestehe. Die Kl. beantragte, die Bekl. zur Zahlung des Kaufpreises nebst Zinsen und zur Erstattung der von der Kl. vorgeschossenen Verfahrenskosten zu verurteilen. Die Bekl. beantragt Klagabweisung und stellt ausdrücklich keinen Widerklageantrag aus der Qualitätsarbitrage.

Die Kl. hält die von der Bekl. erklärte Aufrechnung mit den Forderungen aus der Qualitätsarbitrage wegen der vereinbarten Klausel „Netto Kasse gegen Rechnung...” für unzulässig.

Die von der Kl. vorgeschossenen Kosten waren nach dem von der Handelskammer Hamburg verwalteten Gebührenschragen der Hamburger freundschaftlichen Arbitrage berechnet.
Aus den Gründen:
Das Schiedsgericht ist ordnungsmäßig gebildet worden, und die Verhandlung und Entscheidung nur über die Zahlungsarbitrage ist zulässig. Den Widerspruch der Bekl. gegen die Trennung von Zahlungs- und Qualitätsarbitrage und ihren Antrag auf „Zugleichentscheidung” wertet das Schiedsgericht auch als Beanstandung der Zusammensetzung des Schiedsgerichts, da die Bekl. - anstatt, wie von ihr für zulässig gehalten, Partei eines Verfahrens über Zahlungs- und Qualitätsarbitrage - Partei von zwei Verfahren mit unterschiedlicher Bestzung des Schiedsgerichts ist.
Diese Verfahrensrüge ist nicht berechtigt. Die materiellrechtlichen Gegebenheiten dieses Falles rechtfertigen es, die Zahlungs- und die Qualitätsarbitrage nicht in einem Verfahren zu verhandeln, sondern für jedes Verfahren einen anderen Obmann von der Handelskammer Hamburg ernennen zu lassen und getrennt zu verhandeln. Im ersten Verfahren stehen erkennbar juristische Erwägungen im Vordergrund, während im zweiten Verfahren möglicherweise weitere Aufklärungen des Sachverhalts erforderlich sind, die besondere Sachkunde oder anders geartete Sachkunde erfordern. Dem Schiedsgericht stehen zwei im Prinzip gleichwertige Alternativen zur Verfügung, entweder beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung zu verbinden und einen Obmann für beide Verfahren zu benennen, oder die Verfahren getrennt zu lassen und auch verschiedene Obleute ernennen zu lassen. Auch wenn das Schiedsgericht nach der ersten Alternative verfahren wäre, hätte das nicht zwangsläufig zu der von der Bekl. angestrebten „Zugleichentscheidung” geführt. Damit meint die Bekl. erkennbar nicht eine Zugleichentscheidung im rechtstechnischen Sinne, nämlich die Einbeziehung einer dritten Partei in das Schiedsverfahren (z.B. gemäß § 14 der Schiedsgerichtsordnung des Waren-Vereins der Hamburger Börse e.V). Vielmehr zielt sie darauf ab, daß über die Zahlungsarbitrage nicht ohne gleichzeitige Entscheidung über die Widerklage (Qualitätsarbitrage) entschieden wird. Dieses von der Bekl. erstrebte Ergebnis scheitert an dem vertraglich vereinbarten Verbot, gegenüber der Kaufpreisforderung aufzurechnen. Auch in einem einheitlichen Verfahren hätte über die Klage sofort entschieden werden können und müssen, während die Qualitätsarbitrage (Widerklage) nicht liquide entscheidungsreif ist.
Durch die Trennung beider Verfahren werden die Parteien nicht - insbesondere nicht kostenmäßig - benachteiligt. Die Gebühren des Schiedsgerichts werden nämlich bei Unzulässigkeit der Aufrechnung für Klage und Widerklage getrennt erhoben. Dies gilt auch dann, wenn beide vor einem Schiedsgericht in der gleichen Besetzung erhoben und verhandelt werden.
Der Trennung, der unterschiedlichen Besetzung des Schiedsgerichts und der Verhandlung allein über die Zahlungsarbitrage steht das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 9.2.1966 (4 U 300/65 - HSG A 2 Nr. 2 = AWD 1966, 120) nicht entgegen. Nach dieser Entscheidung sind Qualitätsarbitrage und Schiedsgerichtsverfahren in einem Zuge durchzuführen. Das Hanseatische OLG hatte über einen Regelfall zu entscheiden, in dem der Käufer seine Gewährleistungsansprüche gegen den Verkäufer wegen Mängeln der Lieferungen geltend machte. Selbst wenn man von einem solchen Gebot der Einheitlichkeit des Verfahrens ausgeht, gilt dies allenfalls für die Qualitätsarbitrage, nicht aber für die verfahrensmäßige Behandlung von einer Zahlungsarbitrage und einer Qualitätsarbitrage. Dies auch dann nicht, wenn die Ansprüche der Qualitätsarbitrage und die Zahlungsansprüche die gleichen Lieferungen betreffen. Insofern gilt für das Verfahren der Hamburger freundschaftlichen Arbitrage nichts anderes als das, was allgemein prozeßrechtlich gilt, nämlich daß beide Verfahren selbständig sind und bleiben. Ob sie zur gemeinsamen Verhandlung verbunden werden, ist eine reine Zweckmäßigkeitsentscheidung. Das vorliegende vertragliche Aufrechnungsverbot spricht gegen eine Verbindung der Verfahren. Daraus folgt, daß die Bekl. keinen Anspruch auf ein einheitliches Verfahren hat und darauf, daß das Schiedsgericht in gleicher Besetzung über die Zahlungs- und über die Qualitätsarbitrage entscheidet. Daß die Grundzüge der Regelungen der Hamburger freundschaftlichen Arbitrage flexibel sind, zeigt gerade das Urteil des BGH vom 28.4.1960 - VII ZR 99/59 (NJW 1960, 1296 - siehe Anmerkung).
Die Aufrechnung wegen fehlerhafter Ware ist unzulässig. Sämtliche Verträge enthalten die Zahlungsklausel „Netto Kasse gegen ...”, also ein vertragliches Aufrechnungsverbot (BGHZ 14, 62; 23, 134; NJW 1976, 852; NJW 1985, 550; so auch durchgängig die Entscheidungspraxis der kaufmännischen Schiedsgerichte - siehe die zahlreichen Entscheidungen in HSG/RKS Bände 1 - 6 Abschnitt J 5 a).
Umstände, die konkret das Zahlungsverlangen der Klägerin als arglistig erscheinen lassen könnten (so die „Kasse gegen Dokumente”-Klausel gemäß §13 der Geschäftsbedingungen des Waren-Vereins der Hamburger Börse e.V., die insofern nur eine Ausformung des Grundsatzes von Treu und Glauben kodifizieren), sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Gegenforderung nicht unstreitig oder festgestellt. Sie ist nicht einmal liquide, d.h. über sie kann nicht ohne weiteres sofort in der Verhandlung über den Klaganspruch auf Widerklage mit entschieden werden. Auch hat die Kl. nicht die Zahlungen eingestellt.
Anmerkung: Im oben zitierten Urteil vom 28.4.1960 legt der BGH dar, daß die Praxis das einheitliche Verfahren gemäß § 20 der Platzusancen geteilt hat in eine Qualitätsarbitrage, die ein Schiedsgutachten zum Ziel hat, und in ein Schiedsverfahren, das auf einen Schiedsspruch zielt. Diese Trennung macht das Verfahren flexibel, verlangt aber von der betreibenden Partei eine präzise Formulierung ihrer gemäß § 20 Abs. 2 erforderlichen Aufforderung an den Gegner: Bezieht diese sich nur auf die Ernennung der Schiedsgutachter, so kann nur ein Schiedsgutachten, aber kein Schiedsspruch ergehen.
Aus den Gründen des BGH-Urteils:
Die Auslegung des § 20 der Platzusancen ist allein Sache des Tatrichters. Es sind keine Rechtsnormen, sondern örtliche Handelsbräuche, die zudem allein im Bezirk des Berufungsgerichts gelten. Daß sich ihnen häufig auch außerhalb dieses Bezirks wohnende Personen unterwerfen, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung (OGHZ 4, 247; BGH MDR 52, 487 = NJW 52, 1018; LM Nr. 1 zu §157 [ B ] BGB; BB 55, 552). Der in § 20 schriftlich niedergelegte Handelsbrauch sieht ein einheitliches Verfahren vor, in dem zugleich über die Beschaffenheit der Ware und über die Zahlungspflicht des Käufers zu befinden ist. Nach den Gutachten der Handelskammer, denen sich das OLG anschließt, hat sich dieser Brauch jedoch im Lauf der Zeit geändert. Zwar geht man nach wie vor von der äußeren „Einheitlichkeit des Verfahrens in Qualitäts- und Rechtsfragen” aus; in der Praxis hat man sich aber weitgehend zu einer Verselbständigung der Qualitätsarbitrage (wie bei der sog. Handelskammerarbitrage gem. § 20 Abs. 7 der Platzusancen vorgesehen) entschlossen. Der erste Teil des Verfahrens, die Qualitätsarbitrage, hat dann ein Schiedsgutachten zum Inhalt, für das die Schiedsgutachter (Arbitratoren) zuständig sind. Erst wenn dieses Gutachten nicht befolgt wird, bedarf es der Durchführung des Schiedsgerichtsverfahrens durch die Schiedsrichter (Arbiter).
Die Aufforderung, die die Antragstellerin am 4.7. an die Antragsgegnerin gerichtet hatte, bezog sich nur auf die Erstattung eines Schiedsgutachtens. Obwohl der Antrag der Ast. an die Handelskammer vom 22.7. auf Bestellung eines „Zwangsarbiters” eine solche Beschränkung nicht enthielt und die Handelskammer entsprechend der herrschenden Übung einen „Schiedsmann” für beide Verfahrensarten ernannte, ist damit für das Schiedsgerichtsverfahren die Form gemäß § 20 Abs. 2 Platzusancen (entsprechend § 1029 a.F. ZPO) nicht gewahrt: Jene Aufforderung mußte den Namen des eigenen Schiedsrichters sowie das Verlangen an den Gegner enthalten, seinerseits einen Schiedsrichter zu ernennen.