Arbeitspapier
Energie-Embargos aus Russland
Die Hamburger Wirtschaft ist bestürzt über den Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine und verurteilt die russische Invasion in der Ukraine aufs Schärfste.
Die Hamburger Wirtschaft steht solidarisch
zur Ukraine und den gegen Russland verhängten Sanktionen. Sie unterstützt die Ukraine mit vielfältigen humanitären Initiativen. Die Handelskammer Hamburg engagiert sich tatkräftig im „Städtepakt für Solidarität und Zukunft“ zwischen Hamburg und Kyiv.
Nach dem von der EU beschlossenen Kohle-Embargo ab August dieses Jahres werden ebenfalls Embargos von Öl und Gas aus Russland erwogen. Ein Embargo auf Öl und Gas aus würde Russland hart treffen. Insbesondere ein kurzfristig umgesetztes Embargo für russisches Gas würde aber auch sehr schwerwiegende wirtschaftlichen Folgen für unseren Standort nach sich ziehen, wie unlängst die Bundesbank festgestellt hat. Ein solches kurzfristiges Embargo auf russisches Gas können wir aktuell daher nicht unterstützen.
In einem kurzfristigen Verzicht auf russische Gaslieferungen liegen für die deutsche Wirtschaft große und schwer zu beherrschende Risiken. Klar ist: Ein Lieferstopp für russisches Gas kann nicht vor 2024 ausgeglichen werden, selbst wenn Liefer-Diversifizierungen umgehend und konsequent in Angriff genommen würden. Ein kurzfristiger Wegfall der russischen Gaslieferungen hätte unmittelbar weitreichende Folgen für die Industrie und würde den Standort Deutschland insgesamt nachhaltig schädigen z.B. auch die Lieferketten der Lebensmittelindustrie oder Produkte der medizinischen Versorgung.
Die Industrie ist eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft geprägt von mittelständischen Strukturen. In Hamburg ist jeder vierte Arbeitsplatz von der Industrie abhängig, aber viele Hamburger Industrieunternehmen sind noch auf fossile Energieträger angewiesen. Ausbleibende Lieferungen aus Russland von Öl und Gas hätten massive Konsequenzen auf die Produktion und perspektivisch auf die Beschäftigung, wenn sie nicht ersetzt werden können. Mit erheblichen Produktionsstopps (die bereits aufgrund der hohen Energiepreise teilweise bestehen) wäre zu rechnen. Dauerhafte Schließungen von Industriebetrieben drohen. Um es klar zu sagen: Ein Embargo für Gaslieferungen aus Russland gefährdet weite Teile der Industriestrukturen auch in Hamburg und riskiert deren dauerhaften Verlust.
Sicherlich: Öl und Kohle können von anderen Ländern bezogen werden. Dies gilt auch für Gas. Es wäre aber kurzfristig nicht im benötigten Umfang wie russisches Gas verfügbar. Zudem fehlen für viele Standorte schlichtweg die Pipeline-Anbindungen an neue Lieferquellen. Kurzfristige Einsparpotenziale der Industrie könnten ausbleibende Gaslieferungen nicht annähernd ausgleichen. Gas wird in Hamburg nicht nur als Wärmeträger verwendet, sondern gerade auch in industriellen Fertigungsprozessen eingesetzt. Die dort verwendeten Mengen lassen sich nicht einfach nach unten anpassen. Für bestimmte Anlagen darf das zugeführte Gas nicht unter bestimmte Mengengrenzen fallen, ansonsten ist die Komplettabschaltung zwingend erforderlich, teils mit irreparablen Schäden. Wird die Produktion nicht in einem bestimmten Zeitraum wiederaufgenommen, droht die Schließung ganzer Anlagen mit entsprechenden Beschäftigungsfolgen.
Die wirtschaftlichen Schäden blieben nicht auf die
Hamburger Industrie begrenzt. Produktionseinschränkungen oder Abschaltungen wirken über die komplexen Wertschöpfungsketten überregional und betreffen andere Wirtschaftszweige. Vorleistungsproduzenten, industrienahe Dienstleistungen – Logistik, Wartung bis hin zu Finanzierungen – würden in Mitleidenschaft gezogen. Starke negative Dominoeffekte und Beschäftigungsabbau sind zu erwarten. Die Produktions- und Beschäftigungsfolgen würden zudem tief in die Energieversorgungssysteme wirken. Ausweichreaktionen von Umstellungen - etwa von Gasheizung auf elektrische Heizsysteme - würden die Netze erheblich belasten, deren Stabilität gefährden, in weitere Wirtschaftszweige und in die Versorgung der Bevölkerung ausstrahlen. Der langfristige Struktureffekt einer De-Industrialisierung und die damit einhergehenden Wohlfahrtsverluste werden häufig maßgeblich unterschätzt. Dies gilt ebenfalls für die Wirkungen auf die Investitionen, die sich zurückentwickeln und sich auf andere Regionen der Welt konzentrieren werden. Hamburg liefe Gefahr, große Teile seiner Wertschöpfungsbasis zu verlieren.
© Pixabay SatyaPrem
Wir sind uns sehr bewusst: Der Ausstieg aus russischem Gas und Öl muss geschehen. Die Ukraine und ihre Bevölkerung haben unsere Solidarität verdient. Dafür nehmen wir Wachstumseinschränkungen in Kauf. Wir werden im Schulterschluss mit der Bundesregierung so rasch wie möglich auf andere Bezugsquellen umschwenken und dabei auch auf Erneuerbare Energien setzen. Wir sind bereit, neue Wege für die Versorgung mit Energieträgern zu gehen, etwa Einkaufsgemeinschaften, Umwidmung bestehender Speicher, Verwendung von Flüssiggas (LNG). Gemeinsam mit Politik, Verbänden und unseren Mitgliedsunternehmen erarbeiten wir neue Bezugswege und -formen. Die Einspeisung von Gas aus LNG in Floating Storage Regasification Units (FSRU) in Hamburg-Moorburg und anderen Orten in Norddeutschland würde dies erleichtern.
Die Hamburger Wirtschaft verarbeitet noch die Folgen der Corona-Krise. Eine starke, handlungsfähige Industrie ist eine wesentliche Grundlage unseres Wohlstandes, ein Motor für nachhaltiges Wachstum und unsere Zukunftsentwicklung. Ohne unsere starke Industrie wäre auch die notwendige Unterstützung der Ukraine nicht zu leisten. Die Industrie ist zugleich der zentrale Baustein für die notwendige Transformation, damit die Energiewende gelingt. Wir dürfen unsere Wirtschaftskraft und Erfolgsfaktoren nicht in dem Ausmaß schwächen, dass diese Transformation unmöglich wird. Die Hamburger Unternehmen arbeiten mit Hochdruck an der dafür notwendigen Anpassung von Produktions- und Nutzungsprozessen. Die Politik hat die Zeichen der Zeit ebenfalls erkannt und will den Ausbau von Erneuerbarer Energie und der dazugehörigen Infrastruktur beschleunigen. Diesen Weg gilt es konsequent zu beschreiten, damit die Hamburger Wirtschaft weiter bei der Beendigung der russischen Aggression und des Krieges in der Ukraine helfen kann. Denn helfen kann nur derjenige, der sich selbst nicht in Gefahr bringt.
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