Umwelt

Wasserrahmenrichtlinie: Das europäische Mammutprojekt geht in die Verlängerung

Nach der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) hätten die europäischen Flüsse und Seen Ende 2015, spätestens am 22. Dezember, tipptopp gewesen sein. Waren sie aber nicht. Das Mammutprojekt der EU musste in die Nachspielzeit. Eine Bestandsaufnahme mit Blicken in die Zukunft.
Kurz zum rechtlichen Hintergrund: Das Wasserhaushaltsgesetz (WHG), mit dem Deutschland die WRRL umgesetzt hat, schreibt in § 27 vor, dass die Oberflächengewässer bis zu dem genannten Stichtag in einem guten chemischen und ökologischen Zustand sein müssen. Bei erheblich veränderten oder künstlichen Gewässern reicht neben dem guten chemischen Zustand das weniger anspruchsvolle gute ökologische Potenzial aus. § 47 WHG ergänzt für das Grundwasser die Bewirtschaftungsziele des guten chemischen und mengenmäßigen Zustands.
Seen und Flüsse: Mankos bei der Ökologie
Bei den Oberflächengewässern sind die Umweltqualitätsnormen Maßstab für den chemischen Zustand. Diese finden sich in Anhang 7 der Oberflächengewässerverordnung (OGewV). Der ökologische Zustand bzw. das ökologische Potenzial bemisst sich gemäß Anlage 3 der OGewV. Hier geht es um die Pflanzen und Tiere im Gewässer, wobei die Strukturen der Flüsse und Seen (Boden- und Uferbeschaffenheit, Fischdurchgängigkeit, Breiten- und Tiefenvariation …) sowie weitere chemische und physikalische Komponenten wie Sichttiefe, Temperaturverhältnisse, Sauerstoffhaushalt, Salzgehalt, Versauerungszustand und Nährstoffverhältnisse den Hintergrund für potenzielle Defizite beleuchten.
Beim chemischen Zustand konnten die WRRL-Ziele fast erreicht werden: 90 Prozent der Gewässer sind mit gut zu bewerten, wenn man die sogenannten ubiquitären Stoffe wie PAK, Dioxine und Quecksilber vernachlässigt, die größtenteils aus früheren industriellen Prozessen stammen und die sich über Jahrzehnte im Sediment der Gewässer und Auen angereichert haben. Offensichtlich fruchten die immensen Anstrengungen und Investitionen von Industrie und Kläranlagenbetreibern.
Beim ökologischen Zustand bzw. Potenzial sind es gerade einmal sechs Prozent der Gewässer, die als gut zu bezeichnen sind. Ein wesentliches Problem ist, dass das Gros der Gewässer von Menschenhand verändert, das heißt begradigt und vertieft worden ist. Auch finden sich viele Verrohrungen. Deshalb wurde hier im ersten Bewirtschaftungsplan ein Schwerpunkt gesetzt. Allerdings brauchen Renaturierungen immer viel Platz und Geld. Und an beiden hapert es. Außerhalb der Städte ist es schwierig, Landwirte davon zu überzeugen, Landstreifen am Fluss aus der Nutzung zu nehmen und zu verkaufen. In den Städten ist der nötige Platz oft schlichtweg verbaut. Zwar unterstützt das Land Kommunen bei der Umsetzung von WRRL-Maßnahmen mit bis zu 90 Prozent, doch auch das verbleibende Geld ist in der Regel nicht so leicht aufzubringen.
Grundwasserkörper mit chemischen Problemen
Wann ein Grundwasserkörper chemisch und mengenmäßig gut ist, das geht aus der Anlage 2 der Grundwasserverordnung (GrwV) mit den sogenannten Schwellenwerten und aus § 4 GrwV hervor. Aktuell sind fast 90 Prozent der Grundwasserkörper in einem guten mengenmäßigen Zustand. Das ist angesichts des Regenreichtums in unserem Land auch zu erwarten. Hauptursache für die Defizite in den fehlenden 10 Prozent sind Sümpfungsmaßnahmen im Bereich des Braunkohletagebaus und des Kalkabbaus.
Schlechter steht es um die chemische Qualität der Grundwasserkörper. Vor allem durch intensive landwirtschaftliche Nutzung sind diese etwa zur Hälfte in einem schlechten Zustand. Weiterhin führen Austräge von Verkehrswegen und Auswaschungen aus Altlasten zur Belastungen.
Die Bilanz am Ende der regulären Bewirtschaftungszeit ist also durchwachsen. Das ist allerdings auch nachvollziehbar. Die Wasserrahmenrichtlinie ist eines der größten Umweltprojekte der EU. Allein in NRW sind hierfür zur Förderung der Maßnahmen pro Jahr 80 Millionen Euro vorgesehen. Hinzu kommt der organisatorische Aufwand, der kaum abzuschätzen ist. Da verwundert es nicht, dass die Ziele für die Oberflächengewässer und die Grundwasserkörper nicht bis zum 22. Dezember 2015 erreicht werden konnten. Dafür war der Zeitplan zu ambitioniert. 2000 ist die WRRL in Kraft getreten, 2003 wurde sie im WHG in nationales Recht umgesetzt. Von 2009 bis 2015 lief die Umsetzungsphase, die anfangs natürlich noch stark von konzeptionellen Maßnahmen geprägt war. Das war nicht viel Zeit angesichts der riesigen Aufgaben.
Zukunftsfokus: Spurenstoffe und Fischdurchgängigkeit
Wie geht es nun weiter? – Die WRRL bzw. das WHG ermöglichen zwei Fristverlängerungen um jeweils sechs Jahre, also bis 2021 bzw. bis 2027, von denen jetzt Gebrauch gemacht wird.
Zurzeit werden also die Pflöcke für die erste Nachspielzeit, den Zeitraum 2016 bis 2021, eingeschlagen. Ende dieses Jahres wird der Bewirtschaftungsplan für diesen Zeitraum verabschiedet, dessen Entwurf seit Dezember 2014 vorliegt. Neben den weiterhin notwendigen hydromorphologischen Verbesserungen und der Fischdurchgängigkeit, die die Betreiber von Wasserkraftanlagen betrifft, soll der Fokus in den kommenden sechs Jahren auch auf den stofflichen Einträgen liegen, also auf dem Abwasser und dem Niederschlagswasser. Industrie und sonstige Abwasserbeseitigungspflichtige werden also stärker angesprochen sein als in den Vorjahren.
Die nordrhein-westfälischen IHKs haben die Interessen der Betriebe in allen Phasen der Erarbeitung eingebracht. Unter der Moderation der SIHK zu Hagen wird in diesen Wochen eine Stellungnahme erarbeitet.
Ein zentraler Punkt der IHK-Stellungnahme wird der Umgang NRWs mit nicht in der OGewV geregelten Mikroschadstoffen sein. Aus Sicht der Wirtschaft tendiert das Land zu einer vorschnellen Einführung weiterer, aufwändiger Reinigungsmaßnahmen etwa mit Aktivkohle oder Ozon. Da diese mit immensen Investitionen sowie hohen laufenden Kosten etwa für Betrieb, Wartung und den zusätzlichen Energieverbrauch verbunden sind, täte es aus Sicht der Wirtschaft Not, in jedem Einzelfall genau zu ermitteln, wie die verschiedenen Spurenstoffe sich genau auf das aquatische Leben der verschiedenen Flussabschnitte auswirken und welche Spurenstoffe wie eliminiert werden können, um auf dieser Basis die ohnehin knappen Mittel effektiver einsetzen zu können.
Es gibt ein weiteres Problem, das ein wenig an das Absurde von Albert Camus denken lässt, jene schroffe Unüberbrückbarkeit zwischen dem sinnsuchenden Menschen und der sinnleeren Welt: Egal, wie sehr die Wirtschaft und die Kläranlagenbetreiber sich auch bemühen und in neue Techniken investieren, die EU erhöht im stofflichen Bereich immer wieder die Hürden bzw. baut neue auf. In Brüssel wird schon wieder emsig an der neuen UQN-Verordnung gearbeitet, die schon 2016 mit neuen Verschärfungen aufwarten wird, die dann in die deutsche OGewV übernommen werden müssen und von dort aus für die Bewertung des chemischen Zustands der Oberflächengewässer relevant werden. Aus Sicht der Akteure ist das höchst frustrierend, weil durch die ständigen Verschärfungen der Grenzwerte und die Aufnahme neuer Stoffe die in der Tat erzielten Fortschritte bestenfalls als Stagnation, oft auch wie Rückschritte erscheinen. Möglicherweise hilft hier nur der Camus’sche Dreischritt von Erkenntnis des Absurden, seiner Annahme und der permanenten Revolte.
Dr. Jens Ferber
Alle relevanten Informationen zur Umsetzung der Wasserrahmen-Richtlinie in NRW stellt das Land unter www.flussgebiete.nrw.de zur Verfügung.
(März 2015)