WIRTSCHAFTSMAGAZIN · 9/2014
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WIRTSCHAFT UND POLITIK
Berichte aus dem Dschungel
Psychologen entschlüsseln das Bild, das sich Journalisten von Wirtschaft machen.
von Christian Knull
I
rgendwie hat man es geahnt.
Die Deutschen hadern mit der
Ökonomie, sie neigen zu
Skepsis und haben eigenwillige
Vorstellungen vom Funktionie
ren der Wirtschaft. Aber dass
auch Journalisten ein Bild von
Wirtschaft in ihren Köpfen tra
gen, das irritierend viele Fehl
farben aufweist, ist neu. Das
Ergebnis hat Folgen, denn Jour
nalisten prägen Meinungen,
und das tun sie jeden Tag, im
Fernsehen, in der Zeitung, im
Radio, im Internet. Intensiver
als wir können sie Fakten son
dieren, prüfen, bewerten und in
Zusammenhänge stellen. Darf
man da nicht erwarten, dass die
Dinge stimmen?
Man darf nicht. Psychologen
des Rheingold Instituts sind
hinter die Fassade der Bekennt
nisse zu Objektivität und Neu
tralität gestiegen und haben
einen beklemmenden Befund
geliefert: Journalisten färben
die Sicht auf die Wirtschaft. In
jedem Beitrag, den wir konsu
mieren, vermitteln sie eine
Sichtweise, die je nach Einstel
lung von der Hofberichterstat
tung bis zur publizistischen
Demontage reichen kann. Diese
Feststellung gilt nicht für jeden
Journalisten, aber für eine Viel
zahl, und sie betrifft einen
Gegenstand der Berichterstat
tung, der für die Entwicklung
der Gesellschaft von Bedeutung
ist, weil Wirtschaft auch über
Lebensperspektiven entscheidet.
Die Bilder von Wirtschaft,
die die Forscher entdeckt haben,
sind zunächst widersprüchlich.
Klar, jeder Journalist wirtschaf
tet auch im Kleinen, jeder weiß
etwas über seine Einkäufe und
die Familienkasse, aber diese
kleine Welt der Wirtschaft
scheint intakt und völlig isoliert
neben der großen Welt zu
bestehen. Die große Wirt
schaft bringt die Farbe. Sie trägt
in den Augen vieler Journalis
ten die Logos von Deutscher
Bank, Amazon, Nestlé, Shell
und Google. Sie ist bedrohlich.
In den Köpfen erscheint die Vor
stellung eines Dschungels, in
dem dunkle Mächte herrschen.
Wer in diesem Umfeld berichtet,
erlebt sich als klein und ohn
mächtig. Kein gutes Gefühl für
Berichterstatter. Sie suchen Bei
spiele, um den als übermächtig
erlebten Wirtschaftsbetrieb zu
verkleinern und zu entmachten.
Die Umgebung erleben sie als
kalt, sie besteht aus Zahlen, sehr
abstrakt und kaum durchschau
bar.
Die Untersuchung, die der
Journalistenpreis der deutschen
Wirtschaft, der ErnstSchnei
derPreis, in Auftrag gegeben
hat, liefert Einsichten in die
unbewusste Reaktion der Jour
nalisten auf die von ihnen emp
fundene Ohnmacht. Überra
Foto: Makrodepecher/pixelio.de