Seite 12 - Wirtschaftsmagazin

WIRTSCHAFTSMAGAZIN · 9/2014
12
WIRTSCHAFT UND POLITIK
Berichte aus dem Dschungel
Psychologen entschlüsseln das Bild, das sich Journalisten von Wirtschaft machen.
von Christian Knull
I
rgendwie hat man es geahnt.
Die Deutschen hadern mit der
Ökonomie, sie neigen zu
Skepsis und haben eigenwillige
Vorstellungen vom Funktionie­
ren der Wirtschaft. Aber dass
auch Journalisten ein Bild von
Wirtschaft in ihren Köpfen tra­
gen, das irritierend viele Fehl­
farben aufweist, ist neu. Das
Ergebnis hat Folgen, denn Jour­
nalisten prägen Meinungen,
und das tun sie jeden Tag, im
Fernsehen, in der Zeitung, im
Radio, im Internet. Intensiver
als wir können sie Fakten son­
dieren, prüfen, bewerten und in
Zusammenhänge stellen. Darf
man da nicht erwarten, dass die
Dinge stimmen?
Man darf nicht. Psychologen
des Rheingold Instituts sind
hinter die Fassade der Bekennt­
nisse zu Objektivität und Neu­
tralität gestiegen und haben
einen beklemmenden Befund
geliefert: Journalisten färben
die Sicht auf die Wirtschaft. In
jedem Beitrag, den wir konsu­
mieren, vermitteln sie eine
Sichtweise, die je nach Einstel­
lung von der Hofberichterstat­
tung bis zur publizistischen
Demontage reichen kann. Diese
Feststellung gilt nicht für jeden
Journalisten, aber für eine Viel­
zahl, und sie betrifft einen
Gegenstand der Berichterstat­
tung, der für die Entwicklung
der Gesellschaft von Bedeutung
ist, weil Wirtschaft auch über
Lebensperspektiven entscheidet.
Die Bilder von Wirtschaft,
die die Forscher entdeckt haben,
sind zunächst widersprüchlich.
Klar, jeder Journalist wirtschaf­
tet auch im Kleinen, jeder weiß
etwas über seine Einkäufe und
die Familienkasse, aber diese
„kleine“ Welt der Wirtschaft
scheint intakt und völlig isoliert
neben der „großen“ Welt zu
bestehen. Die „große“ Wirt­
schaft bringt die Farbe. Sie trägt
in den Augen vieler Journalis­
ten die Logos von Deutscher
Bank, Amazon, Nestlé, Shell
und Google. Sie ist bedrohlich.
In den Köpfen erscheint die Vor­
stellung eines Dschungels, in
dem dunkle Mächte herrschen.
Wer in diesem Umfeld berichtet,
erlebt sich als klein und ohn­
mächtig. Kein gutes Gefühl für
Berichterstatter. Sie suchen Bei­
spiele, um den als übermächtig
erlebten Wirtschaftsbetrieb zu
verkleinern und zu entmachten.
Die Umgebung erleben sie als
kalt, sie besteht aus Zahlen, sehr
abstrakt und kaum durchschau­
bar.
Die Untersuchung, die der
Journalistenpreis der deutschen
Wirtschaft, der Ernst­Schnei­
der­Preis, in Auftrag gegeben
hat, liefert Einsichten in die
unbewusste Reaktion der Jour­
nalisten auf die von ihnen emp­
fundene Ohnmacht. Überra­
Foto: Makrodepecher/pixelio.de