Seite 30 - Wirtschaftsmagazin

WIRTSCHAFTSMAGAZIN · 3/2014
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Deutschland im Wettbewerb
Professor Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln
D
eutschland geht es so gut wie lange
nicht“, so Kanzlerin Angela Merkel
in ihrer Regierungserklärung am 29.
Januar 2014. Das stimmt und doch ist es
ambivalent: Denn anstatt darauf zu achten,
was dazu geführt hat und was zu tun ist, um
dies zu sichern, wird nun der Anreiz spür-
bar, die Erträge früherer Anstrengungen zu
verteilen.
Das Programm der neuen Regierung lässt
dies deutlich werden, wenn man den sozial-
politischen Teil betrachtet: Mütterrente,
Lebensleistungsrente, abschlagfreie Rente
mit 63 Jahren sind die herausragenden Pro-
jekte. Weitgehend offen lässt die neue Bun-
desregierung, was sie zu tun gedenkt, um die
Wachstumskraft und Beschäftigungsdyna-
mik der deutschen Volkswirtschaft zu sichern
und weiter zu stärken. Der Hinweis auf die
sicher gebotene höhere Finanzierung der
Infrastruktur und die Bewältigung der Ener-
giewende sind wohlfeil und selbstverständ-
lich. Eine Standortsicherungspolitik muss
sich aber an den Besonderheiten des deut-
schen Geschäftsmodells orientieren und des-
sen Herausforderungen ernst nehmen.
Deutschland ist derzeit so erfolgreich, weil es
aus langer Tradition eine starke Industrie
hat, die sich ihre Wettbewerbsvorteile konti-
nuierlich durch Innovationsanstrengungen
und die Verknüpfung mit Dienstleistungen
erarbeitet.
Dieser Verbundsektor aus Industrie und
Dienstleistern verschafft die Möglichkeiten,
kundendifferenzierte Lösungen kosteneffizi-
ent zu erbringen. Dadurch entstehen Allein-
stellungsmerkmale, die vielfach zu „hidden
champions“ führen, den oft versteckten
Weltmarktführern aus Deutschland. Hinzu
kommt, dass sich in Europa die Industrie
stark im Zentrum konzentriert. Nahezu alle
bedeutsamen Cluster in den großen Indus-
triebranchen (Maschinenbau und Metallbau,
Elektrotechnik und IT, Chemie, Biotechnolo-
gie und Pharma, Kraftfahrzeugbau) befin-
den sich in Deutschland, Österreich, Loth-
ringen, Norditalien, Tschechien und Däne-
mark. Damit stabilisieren Wissensnetzwerke,
Vorleistungsnetzwerke und ein gemeinsa-
mer Arbeitsmarkt die Produktionsnetzwer-
ke.
Wir erkennen: Der Erfolg der deutschen
Industrie hängt an dieser Vernetzung und
damit an der Vollständigkeit der Wert-
schöpfungsketten. Das begründet auch die
Perspektive auf die nächste Entwicklungs-
stufe, die sich mit dem Stichwort „Industrie
4.0“ (
Anm.d.Red.: unser Titelthema im
Januar 2014) verbindet. Während die bis-
her ausgeprägte Verbundwertschöpfung die
kundenspezifische Leistung erbringt, steht
Industrie 4.0 für ein informationsbasiertes
Zusammenwachsen von Herstellern und
Kunden bei der Entwicklung und Konfek-
tionierung der benötigten Leistung. Eine
Studie des MIT Boston aus dem 2013 bestä-
tigt, dass dafür die deutsche Industrie gute
Chancen hat. Aber dies erfordert von den
Unternehmen eine große Anpassungsflexi-
bilität.
Dies ist in den letzten Jahren von den
Tarifvertragsparteien weitgehend geleistet
worden. Der Gesetzgeber hatte im Rahmen
der Agenda 2010 durch die Neuregelung der
Zeitarbeit seinen Beitrag dazu geleistet. Das
wird nun durch Höchstverweildauern für
Zeitarbeit weiter reduziert, nachdem die
Zuschlagstarifverträge dazu ein erster
Schritt waren. Es muss wieder auf die Flexi-
bilität des Arbeitsmarktes geachtet werden.
Entscheidend ist zur Sicherung der Wert-
schöpfungskette ein neuer Ansatz in der
Energiepolitik, denn schon seit 2000 erhal-
ten die energieintensiven Branchen ihren
Kapitalstock nicht mehr. Das bedroht über
die Netzwerke auch die anderen Branchen.
Schließlich ist die Innovationskraft über
ein gutes Bildungssystem zu unterstützen,
das berufliche und akademische Bildung
gleichermaßen in den Blick nimmt. Bedeut-
sam ist schließlich die Fachkräftesicherung
durch ein klares Bekenntnis dazu, dass
Deutschland ein Zuwanderungsland ist. Wir
stehen im Wettbewerb mit vielen dynami-
schen Regionen der Welt. Menschen, die
heute zu uns kommen und integriert wer-
den, bilden künftig den Anker für weitere
Zuwanderung. Deswegen müssen wir heute
jeder billigen Polemik gegen Zuwanderung
entgegentreten. Auch das ist langfristige
Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des
deutschen Standorts.
n
Foto: IW Köln