WIRTSCHAFTSMAGAZIN · 1/2014
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AUFMACHER
Industrie 4.0
Alles wird eins
Wie das Internet industrielle Prozesse und Produkte verändert.
R
evolution! Eine fundamentale Umkehr
der Verhältnisse sei im Gange in
Unternehmen, rufen Experten. Eine
globale Entwicklung, an deren Spitze sich
inländische Firmen setzen müssen, um auch
in Zukunft vorne mitspielen zu können,
verlautbaren Politiker. Nach Dampfkraft,
Fließband und elektronischer Steuerung sei
es die vierte industrielle Revolution, schreiben
Journalisten. „Industrie 4.0“ nennen sie das
Ganze deshalb. „Eine Vision auf dem Weg zur
Wirklichkeit“ titelte die Frankfurter
Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) unlängst.
Es sind große Etiketten, die da geklebt
werden. Doch was genau verbirgt sich
dahinter, wasmacht diese „vierte Revolution“
aus? Professor Heinz Kraus von der
Technischen Hochschule Mittelhessen (THM)
definiert sie als „Integration cyber-
physikalischer Systeme in die Produktion
und Logistik“. Klingt futuristisch und meint
nichts anderes als: Operative Prozesse
werden in einer virtuellen Umgebung
gespiegelt mit dem Ziel, Produktion und
Entwicklung über das Netz zu steuern.
Im Prinzip ist es nichts anderes als eine
Verdopplung. Das, was bislang in Hallen,
Lagern und Büros ablief, wird im Speicher
von leistungsstarken Computern abgebildet.
Die analoge Realität der Abläufe wird von
ihren physischen Grenzen befreit. Im
Speicher eines Computers stehen die Dinge
alle in unmittelbarer Beziehung zueinander,
sind alle gleich nah beieinander und
kommunizieren in Echtzeit miteinander. In
solchen Rechnern wird alles eins.
Effizienz, Produktivität,
Flexibilität
Doch wozu das alles? Warum werden in
manchen Unternehmen gewaltige An-
strengungen unternommen, um diese
Entwicklung voranzutreiben. So geht
beispielsweise die Volkswagen AG laut F.A.Z.
davon aus, dass es etwa drei Jahre dauern
wird, bis man sämtliche Daten erfasst hat, um
das Werk in Wolfsburg virtuell abzubilden.
Welche Vorteile ergeben sich aus der ver-
meintlichen Revolution? Welche Benefits
versprechen sich die Firmen? Die Antworten
lauten: Effizienz, Produktivität, Flexibilität.
Herzstück von Industrie 4.0 ist der
dezentrale Einsatz von intelligenten,
miteinander vernetzten Maschinen. Ein Netz
aus solchen „smart machines“ wird zu einem
cyber-physikalischen
System.
Die
Komponenten in solchen Systemen
kommunizierenaber nicht nur untereinander,
sondern auch mit den Werkstücken, die sie
bearbeiten sollen. Die Werkstücke tragen mit
einem Funkchip, Strichcode oder sonstiger
Technik ein Gedächtnis – sozusagen ihren
digitalen Lebenslauf – und werden so zu
einem „smart product“, bei dem stets klar ist,
wann das Produkt auf welcher Maschine
einen Veredelungsprozess durchlaufen hat.
Solche „smart products“ sind zudem in
der Lage, auf den Prozess ihrer Fertigung
aktiv Einfluss zu nehmen und in die Abläufe
einzugreifen. Über die Kommunikation mit
den Maschinen können sie beispielsweise
freie Kapazitäten finden, um sie zu belegen.
Was im Idealfall heißt: Arbeitsvorbereitung
und Losgrößen werden überflüssig. Die
Produktion reguliert sich selbst. Das Produkt
wird vom Objekt zum Subjekt. Einen
Paradigmenwechsel nennt Professor
Wolfgang Wahlster vom Deutschen
Forschungszentrum
für
Künstliche
Intelligenz im Innovationsmanager diesen
Sachverhalt.
Dr. Michael Arndt
ist bei der Bosch
Thermotechnik in Lollar verantwortlich für die
Entwicklung vernetzter Systeme.
Foto: pm
Bender in Grünberg hat bereits einen großen
Schritt in Richtung Industrie 4.0 gewagt.
Manfred Nicklas, Bereichsleiter Produktion der
Bender Gmbh
&
Co.KG.
Foto: pm