„Seit Mitte des Jahres sind wir in einer Schieflage“

Der Rückblick auf das Jahr 2023 ist massiv getrübt. Was anfangs noch vielversprechend aussah, konnte sich im Laufe des Jahres nicht realisieren. Im Gegenteil, die Lage hat sich zugespitzt.
Es ist das Zusammenspiel von erschwerten Bedingungen, dass die Betriebe belastet. Der Dreiklang von hohen Energiepreisen, dem Fachkräftemangel und einer ausufernden Bürokratie führt zu schwierigen Rahmenbedingungen im Alltag. Positiv könnten sich KI-Entwicklungen auswirken, erklärt IHK-Präsident Rainer Schwarz im Interview.
Herr Schwarz, wie hat sich die Konjunktur im Jahresverlauf entwickelt?
Bei der Konjunkturumfrage zum Jahreswechsel 2022/2023 war die Stimmung zwar auch nicht gerade gut, es zeichnete sich aber ein vorsichtiger Optimismus ab. Immerhin! Einige Branchen wie Finanzdienstleistungen oder Tourismus waren im Aufwind. Im Frühsommer hellte sich die Stimmung dann weiter auf, ausgelöst durch anziehende Exporte und nachlassende Lieferengpässe. Doch dann haben sich diese positiven Anzeichen quasi innerhalb kürzester Zeit in Luft aufgelöst.
Welche Gründe haben diesen Abschwung bewirkt?
Eine Reihe von Faktoren hat zu der Schieflage geführt, die seit Mitte des Jahres eingetreten ist. Ein Gießener Dienstleister aus dem Gesundheitssektor hat es mit den Worten beschrieben: „Im August war der Kipppunkt.“ Mit den hohen Energiepreisen, dem Fachkräftemangel und hohen bürokratischen Belastungen haben sich die wirtschaftlichen Aussichten stark eingetrübt – man kann es als „giftigen Dreiklang“ bezeichnen.

Deutschlandweit zeigt sich, dass sich im Vergleich zum Frühjahr nahezu alle Indikatoren verschlechtert haben.
Wie stellt sich die Lage in den Unternehmen dar?
Stark betroffen ist beispielsweise der Handel. Konsumenten sind zurückhaltend aufgrund der nach wie vor sehr hohen Inflationsrate. In den Betrieben wiederum drücken die gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten die Schere zwischen Ertrag und Kosten immer weiter auseinander. Damit werden rundum die Anpassungsfähigkeit, die Standhaftigkeit und die Geduld der Betriebe auf eine harte Probe gestellt.
Sehen Sie die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe auf den Weltmärkten gefährdet?
Es ist bedrückend, aber kein Zufall, dass sich Deutschland nunmehr am unteren Ende der Wachstumsskala im OECD-Vergleich mit allen anderen Industrienationen befindet. Erst im September wurden auch wieder die Schätzungen für das jährliche Wirtschaftswachstum nach unten revidiert. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sagen nunmehr eine Schrumpfung im laufenden Jahr voraus. Die Wirtschaftsleistung werde um 0,6 Prozent sinken, heißt es in der neuen Gemeinschaftsdiagnose der Institute. Diese haben ihre bisherige Vorhersage vom Frühjahr um 0,9 Prozentpunkte nach unten korrigiert, so stark wie selten zuvor. Von einem Rückgang geht auch die OECD aus. Sie erwartet ein Negativwachstum in Deutschland in Höhe von 0,2 Prozent.
Was kann den Betrieben wieder Zuversicht vermitteln?
Eine gravierende Verbesserung der schwierigen wirtschaftlichen Lage und ein neuer tragfähiger Aufschwung sind aktuell leider nicht erkennbar. Für die gesamte Wirtschaft ist es wichtig, dass wieder ein Grundvertrauen entsteht. Die politischen Rahmenbedingungen müssen dringend verbessert werden, wir als IHK drängen die Verantwortlichen zum Beispiel dazu, Bürokratie abzubauen, Genehmigungsverfahren zu verkürzen, Etwas Positives zum Schluss, das uns bei aller Besorgnis Optimismus geben kann: Positive Impulse dürften von Künstlicher Intelligenz ausgehen. Auf unserer Vollversammlung im September sagte ein Digitalunternehmer in seinem Vortrag, dass es in den 18 Jahren, seitdem sein Unternehmen bestehe, eine solche digitale Sprunginnovation in der IT noch nicht gegeben habe. Also hoffen wir auf das Beste - und bleiben wir zuversichtlich!

Herausgegeben am 01.12.2023
Pressemeldung Nr. 78
Verantwortlich für den Inhalt: Doris Steininger, Tel. 06031/609-1100
Pressestelle: Doris Steininger, Tel. 06031 / 609-1100
Stand: 08.12.2023