Verbotskultur und Negierung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen führen in eine Abwärtsspirale

Mit einer Gründlichkeit, die ihresgleichen sucht, ist der Abstieg der deutschen Wirtschaft eingeleitet worden. Während die Energieabhängigkeitsquote in Deutschland von 1990 um 20 Prozentpunkte auf nunmehr 63,5 Prozent angestiegen ist, leitete die deutsche Politik den Ausstieg aus der Atom- und Kohleverstromung seit 2011 konsequent ein, ohne Vorkehrungen für die Energiesicherheit getroffen zu haben. Jetzt – in der Zeitenwende zwischen Perestroika und Tyrannis – rächt sich diese Politik mit immer schwerwiegenderen Folgen wie explodierenden Strom- und Gaspreisen. Hinzu kommt eine ernsthafte Gefährdung der Grundlastfähigkeit wegen des Abschaltens der letzten verbliebenen drei Atomkraftwerke zum Ende des Jahres. Und anders als private Verbraucher sind gewerbliche Strom- und Gasbezieher nicht über eine Versorgungspflicht abgesichert. Die wichtige Frage der Grundlastfähigkeit werden wir daher am 15. November in der Veranstaltung „Energiepolitik von morgen: Ist die Grundlastfähigkeit gesichert?“ mit Professor Harald Schwarz von der TU Cottbus thematisieren.
Doch damit nicht genug: Viele Unternehmen berichten, dass sie keine Lieferangebote mehr für Energie bei auslaufenden Gas- oder Stromverträgen erhalten. Und zu der Frage, wie ohne Energie eine Produktion aufrechterhalten werden soll, tappen wir alle im Dunkeln. Fakt ist aber schon heute, dass kein Industrieland weltweit gleichzeitig aus Kernenergie und Kohle ausgestiegen ist – dieser Teil des Problems ist hausgemacht.
Die deutsche Schadensbilanz kommt auch an der Lage auf den Zuliefermärkten und an der Inflations- und Währungspolitik nicht vorbei. Die Lockdowns während der Corona-Pandemie haben nicht nur vielen Unternehmen immense Schäden zugefügt, sie führten auch zu Verwerfungen auf den Transportwegen. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist der weltweite Containerumschlag aus dem Ruder gelaufen. Die Staus von Containerschiffen vor den Häfen und die hohe Bedeutung der Schifffahrt für den Gütertransport treiben Preise nach oben. Produktionsschritte verzögern sich, weil Waren nicht mehr rechtzeitig eintreffen.
Wie konnte es zu dieser prekären Situation kommen? Das ganze Verbotspaket der vergangenen Jahre ist für die Wirtschaft zu einer explosiven Mischung geworden. Verbote allein, seien sie auch durch eine ganze Reihe von Unterstützungsmaßnahmen abgefedert, sind keine Lösung. Besonders wichtig sind jetzt klare Antworten für staatliche Fördermaßnahmen. So muss neben dem Instrument der Kurzarbeit auch der Fördermechanismus der Coronahilfen für besonders betroffene Unternehmen reaktiviert werden. Steuerliche Anreize, die Verlängerung des Verlustvortrags sowie KfW-Förderprogramme sind weitere wichtige Maßnahmen. Zentraler Dreh- und Angelpunkt ist aber eine wissenschaftlich valide Bewertung der EU-Sanktionspolitik für die hiesige Wirtschaft und der nationalen Energiepolitik, die sich nicht scheut, wirtschaftspolitische Korrekturen zu fordern. Uns ist sehr wohl bewusst, dass für die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung nicht nur die aktuelle Bundesregierung, sondern auch die vorangegangenen Bundesregierungen verantwortlich sind, bei denen die Nachhaltigkeit der politischen Entscheidungen eher eine untergeordnete Rolle spielte. Es braucht jetzt Zeichen von Verlässlichkeit sowie Signale für Mut und Hoffnung in einer Lage, die davon gekennzeichnet ist, dass viele Unternehmensexistenzen und das gesellschaftliche Gefüge insgesamt bedroht sind.
Editorial von IHK-Präsident Rainer Schwarz und IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Matthias Leder im Wirtschaftsmagazin, Ausgabe 10/2022
Pressemeldung Nr. 60
Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Matthias Leder, Tel. 06031 / 609-1000
Pressestelle: Doris Hülsbömer, Tel. 06031 / 609-1100
Stand: 20.09.2023