Seit jeher für die Seele

Seit 1850 wird in Sitzendorf figürliches Porzellan produziert. Seitdem hat sich die Manufaktur im Thüringer Wald durch Höhen und Tiefen gekämpft – mit Leidenschaft und immer mit viel Menschlichkeit.
Als Wilhelm Liebmann 1850 die Erlaubnis des Fürsten erhielt, eine Porzellanmanufaktur in Sitzendorf zu errichten, hat er wohl noch nicht an das Jahr 2025 gedacht. Doch die von ihm gegründete Manufaktur gibt es noch heute und sie feiert 175. Geburtstag. Liebmann soll als Gastwirt vor allem an der Produktion von Geschirr für seine Kneipe interessiert gewesen sein. Das sei jedoch ein Gerücht, meint die heutige Geschäftsführerin der Manufaktur, Carla Hermann: „Ich habe in alten Schriften nachgewühlt und hier ist immer nur figürliches Porzellan gemacht worden.“ Hermann arbeitet seit 1984 in der Manufaktur und führt den Betrieb heute gemeinsam mit ihrem Mann. Das Geheimnis hinter dem 175-jährigen Bestehen sei die persönliche Kundenbindung, so die 68-Jährige: „Wir verkaufen hier keine Brötchen. Wir müssen uns hier um die Kunden kümmern. Wir müssen uns mit den Leuten befassen.“ Figuren, Uhren, Kronleuchter und Tafelschmuck aus Porzellan – das stellen sie seit den Anfangsjahren bis heute in Sitzendorf her.
Porzellanfiguren sind Produkte für die Seele.

Carla Hermann, Geschäftsführerin Sitzendorfer Porzellanmanufaktur GmbH

Aus Ostthüringen zur Weltausstellung

Dabei gibt es die Porzellankultur in Sitzendorf schon weit länger als 175 Jahre. Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts erfindet hier der Theologe Georg Heinrich Macheleid das Porzellan, selbstständig und unabhängig von anderen, die es ihm gleichtaten. Doch bevor sich die Produktion in Sitzendorf etablieren konnte, beorderte der Fürst Johann-Friedrich von Schwarzburg-Rudolstadt Macheleid in die Nähe seiner Rudolstädter Residenz. Nach nur zwei Jahren kommt die Produktion in Sitzendorf für fast ein Jahrhundert zum Erliegen.
Im Jahre 1908 startet ein talentierter Künstler seine Karriere in der Porzellanmanufaktur. Max Siegel, ein Junge aus dem Dorf, plant und modelliert Porzellanprodukte – entwickelt sich zu einem wahren Könner. Eine seiner Kreationen wird auf der Weltausstellung 1911 in Turin mit der Goldmedaille ausgezeichnet. In Sitzendorf sind heute 90 Prozent der circa 10.000 vorhandenen Modelle Kreationen von Max Siegel. „Er hat sich immer aufgeregt, wenn jemand nicht so gut war wie er, aber es konnte eben auch keiner so gut wie er“, erinnert sich Carla Hermann, die Siegel als Schulkind persönlich erlebt hat. 1968 stirbt Siegel. Vier Jahre später erfolgt die Enteignung des Betriebs durch die DDR-Regierung.

Wirtschaftsfaktor, Wende und Krisen

Über die Zeit entwickelt sich die Manufaktur zu einem Wirtschaftsfaktor und bedeutenden Arbeitgeber in der Region. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad seien die Menschen aus den umliegenden Dörfern zur Werkstatt gekommen, um zu arbeiten. Generationen von Familien hätten in Sitzendorf einen Job gehabt, erzählt Carla Hermann. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg kommt auch die Innovationskraft. Die Spezialität der Sitzendorfer ist die Technik des „Spitzenlegens“. Dabei werden Baumwollelemente in das Porzellan eingearbeitet. So können Figuren mit Kleidern oder Anzügen verziert werden. Die Wiedervereinigung 1990 ändert die Voraussetzungen abermals. Wie viele Unternehmer sehen sich auch Carla und ihr Mann Uwe Hermann mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Der Preisdruck steigt, doch es gelingt Schritt für Schritt, die Porzellanprodukte gewinnbringend in die ganze Welt zu verkaufen: „Wir haben viel nach Japan und die USA geliefert“, erinnert sich die Geschäftsführerin.
Die Bedeutung von globalen Ereignissen zeigt sich dann im Jahr 2012. Als Folge der Finanzkrise muss die Sitzendorfer Porzellanmanufaktur Insolvenz anmelden. Eine harte Zeit, in der das Geschäft wenig Unterstützung erhalten habe, sagt Uwe Hermann. „Wir haben uns da wirklich herausgekämpft“, erzählt der 72-Jährige stolz. Schon 2013 endet das Insolvenzverfahren und die Manufaktur bleibt als GmbH bestehen.

Nachfolge gesucht

Im Verkaufsraum der Manufaktur finden sich heute detailliert gestaltete Porzellanfiguren – historische Kutschen mit Pferdegespann, verzierte Tafelservices oder biblische Geschichten. Hochwertige Handarbeit, ganz im Sinne von Max Siegel. Carla und Uwe Hermann verkaufen derzeit vorwiegend an Privatpersonen und Sammler. Es ist ein Geschäft für die Liebhaber des Porzellans.
Seit der Corona-Pandemie führen die Hermanns die Manufaktur ohne Angestellte. Ihnen gehe es jetzt um den vollständigen Erhalt der Modellsammlung in Sitzendorf. Carla Hermann wünscht sich vor allem Wertschätzung für das kulturelle Erbe und die Wiederbelebung des Tourismus in der Region. Die Bekanntheit der Thüringer Porzellantradition könne dazu genutzt werden. „Wir sind ja auch beide im Rentenalter, deshalb würde ich mich freuen, wenn wir die Modelle als Kulturgut bald in neue ordentliche Hände übergeben können, sodass die Porzellanmanufaktur in Sitzendorf bestehen bleibt.“
Sitzendorf als Teil der Thüringer Porzellanstraße

Kaolin, Feldspat und Quarz – drei Zutaten, die ein ganz besonderes Material entstehen lassen: das Porzellan. Weiß und strahlend kann es sein, ganz zart und filigran, besonders groß und robust, unglaublich heiß und zickig. Porzellan existiert heute in den vielfältigsten Bereichen, auf dem Tisch, in der Hochtechnologie, der Dekoration und der Elektronik. Feine Porzellanspitze trifft auf Unverwüstliches, echte Handarbeit auf hochmoderne Fertigung von Roboterhand, Strohblumendekor auf getauchtes Silber. In Thüringen lebt eine über 250-jährige Tradition fort, die weltweit ausstrahlt. Die Thüringer Porzellanstraße zeigt die Kunstfertigkeit des Erbes sowie die Weiterentwicklungen der Moderne und vereint alle Betriebe unter der Dachmarke Thüringer Porzellan.

sitzendorf-porzellan.de

thueringer-porzellan.de
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