THEMA APRIL 2024

Transformation und Krisenbewältigung nicht gegeneinander ausspielen

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) skizziert in ihrem aktuellen Jahresgutachten, wie eine transformative F&I-Politik aussehen sollte: Energie- und Mobilitätswende, nachhaltige Landwirtschaft sowie die Digitalisierung seien eine Herkulesaufgabe ohne Masterplan. Die Expertenkommission befürchtet unter anderem, dass die langfristige Transformationsorientierung einer eher kurzfristig ausgerichteten Krisenbewältigungspolitik weichen könnte. Damit würde das Gelingen der Transformationen in weite Ferne rücken.

Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft als Herkules-Aufgabe

Die Folge ist eine verschärfte Konkurrenz von langfristiger Transformationsorientierung und kurzfristiger Krisenbewältigung um staatliche Budgets.

Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission


Die Bundesregierung hat von ihrer Vorgängerin eine Aufgabe übernommen, für die es keine Vorbilder und keinen Masterplan gibt: die Bewältigung der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Diese umfasst u.a. die Energie- und Mobilitätswende, die Schaffung einer nachhaltigen Landwirtschaft sowie die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. „Das Gelingen der Transformation setzt eine Vielzahl technologischer und sozialer Innovationen voraus, die unseren Umgang mit Technologien ebenso verändern wie die Produktion, den Konsum und unser individuelles Verhalten gegenüber Natur und Gesellschaft“, prognostiziert Professor Uwe Cantner von der Universität Jena und Vorsitzender der Expertenkommission. Entsprechend groß ist die Gestaltungsaufgabe für die Politik. Diese Aufgabe zu übernehmen, wird der jetzigen Bundesregierung nicht leicht gemacht. Schließlich erfordern weitere aktuelle Krisen, sei es der Krieg in der Ukraine, die Desintegration der Weltwirtschaft oder die rezessiven Nachwirkungen der Corona-Pandemie, ein entschlossenes Handeln und hohe finanzielle Einsätze. „Die Folge ist eine verschärfte Konkurrenz von langfristiger Transformationsorientierung und kurzfristiger Krisenbewältigung um staatliche Budgets“, so Cantner.

Transformationsorientierte Politik bislang wenig konsistent

Viele Maßnahmen sind weder zeitlich noch inhaltlich gut aufeinander abgestimmt. Dadurch verlieren wir wertvolle Zeit, was sich für die weitere Entwicklung als nachteilig erweisen könnte.

Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission


Die Expertenkommission konstatiert, dass die Bundesregierung die Notwendigkeit der Transformation erkannt und auch erste Schritte in die richtige Richtung unternommen hat. „Allerdings ist die transformationsorientierte Politik bislang wenig konsistent. Viele Maßnahmen sind weder zeitlich noch inhaltlich gut aufeinander abgestimmt“, kritisiert Cantner. „Dadurch verlieren wir wertvolle Zeit, was sich für die weitere Entwicklung als nachteilig erweisen könnte. Schließlich hatten wir in Deutschland noch zu Beginn der Legislaturperiode deutlich bessere wirtschaftliche Voraussetzungen, um die Transformationspolitik mit Schwung voranzutreiben. Jetzt müssen wir die Transformationen aus einer konjunkturellen Stagnation heraus und im Kontext massiver außenpolitischer Bedrohungen bewältigen.“ Die Expertenkommission befürchtet daher, dass die langfristige Transformationsorientierung einer eher kurzfristig ausgerichteten Krisenbewältigungspolitik weichen könnte. Damit würde das Gelingen der Transformationen in weite Ferne rücken.

Langfristige Ziele in kurzfristigen Maßnahmen berücksichtigen

Es sollten beispielsweise die Mittel aus dem Sondervermögen Bundeswehr auch für Forschung im Bereich Cybersicherheit und künstliche Intelligenz eingesetzt werden.

Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission


Um die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft nicht zu gefährden, empfiehlt die Expertenkommission der Bundesregierung, langfristige und strukturelle Ziele in kurzfristig angelegten Maßnahmen zu berücksichtigen. „So sollten beispielsweise die Mittel aus dem Sondervermögen Bundeswehr auch für Forschung im Bereich Cybersicherheit und künstliche Intelligenz eingesetzt werden“, rät Cantner. „Schließlich ist die Schnittmenge zwischen militärischer und ziviler Forschung vergleichsweise groß und der Bezug zur digitalen Transformation unmittelbar gegeben.“

Sozialen Ausgleich beim transformativen Wandel von Anfang an mitdenken

Die ursprüngliche Nichtberücksichtigung sozialer Aspekte hat gezeigt, wie schnell die gesellschaftliche Transformationsbereitschaft nachdrücklich beschädigt werden kann.

Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission


Ferner sollten politische Maßnahmen so ausgestaltet werden, dass sie die sozialen Probleme beim transformativen Wandel von Anfang an mitberücksichtigen und für einen sozialen Ausgleich sorgen. Als Beispiel dafür, wie es nicht laufen sollte, verweist Cantner auf das Gebäudeenergiegesetz: „Die ursprüngliche Nichtberücksichtigung sozialer Aspekte hat gezeigt, wie schnell die gesellschaftliche Transformationsbereitschaft nachdrücklich beschädigt werden kann.“

Suche nach innovativen Lösungen dem Markt überlassen

Lösungen für Transformationsprobleme sollten vornehmlich im marktlichen Kontext erarbeitet und gefunden werden.

Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission


Wichtig ist es nach Ansicht der Expertenkommission auch, bei der Suche nach innovativen Lösungen für bestehende Probleme nicht zu sehr auf den Staat zu setzen, sondern dies vielmehr der Wirtschaft zu überlassen. „Dieser Ansatz impliziert, dass Lösungen für Transformationsprobleme vornehmlich im marktlichen Kontext erarbeitet und gefunden werden sollten“, so Cantner. „Dabei kann der Staat die Entwicklung von einer alten, nicht mehr erwünschten Technologie hin zu einer neuen Technologie durch Anschubinvestitionen und klug gesetzte Anreize anstoßen. Danach sollte er die weitere Lösungsfindung allerdings dem Markt überlassen. Eine solche Politik setzt auf die Kreativität und die Motivation der Akteure und steht damit im Gegensatz zu einer ‚klassischen‘ Gebots- und Verbotspolitik, bei der politisch vorgeschriebene Lösungen umgesetzt werden müssen.“
Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) 
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet seit 2008 wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.

e-fi.de
Mehr Informationen und Download EFI-Gutachten 

ihk.de/gera
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