THEMA FEBRUAR

Das Schlimmste ist die Ungewissheit

„Es wäre schön, bald nichts mehr von Corona zu hören“, sagt Michaela Jahn-Neubert. Dabei weiß die Jenaer Gastronomin, die – verantwortlich für das Corona-Management – gemeinsam mit dem Geschäftsführer Andreas Jahn die historische Gaststätte und das Hotel „Zur Noll“ leitet, dass das wohl ein „frommer“ Wunsch bleibt. „Seit zwei Jahren sehen wir uns mit einer Situation konfrontiert, wie wir sie bis dahin nicht kannten. Unternehmer aller Wirtschaftszweige mussten von jetzt auf gleich mit drastischen Einschnitten zurechtkommen.“ „Der erste Lockdown löste bei uns schon große Betroffenheit und auch Ängste aus. Doch schnell haben wir den Schalter umgelegt und nach Lösungsansätzen gesucht, um mit der Situation umzugehen.“

Nach vorne blicken mit Hindernissen

Das Schlimmste für die eigentlich immer optimistische Unternehmerin: Es ist bis heute nichts mehr planbar, weder Umsatz und Personal noch die Angebote für die Gäste. „Als Unternehmerin bin ich es gewohnt, immer nach vorne zu denken. Deshalb ist die Corona-Krise für mich auch eine Chance, unser Geschäftsmodell zu hinterfragen und Strukturen neu zu ordnen. Doch unter dem ständigen Wechsel von Öffnung und Hoffnung im Sommer und neuen Einschnitten im Herbst und Winter ist nur schwer zu planen und zu kalkulieren.“ Auch die gerade in Aussicht gestellten Öffnungsklauseln sind für sie mit den Erfahrungen der letzten beiden Jahre nur bedingt Grund zum Optimismus. Ein Zurück zum „alten Normal“ wird es wohl nicht geben. Zu tief sind die Einschnitte und Änderungen.

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Die Noll-Azubis nutzen die Zwangspausen für Prüfungsvorbereitungen. © Gasthaus „Zur Noll“
Arbeitsmarkt leergefegt

Einerseits hätte sich das schon länger bestehende Fachkräfte- und Mitarbeiterdefizit noch verschärft. „Viele meiner Mitarbeiter waren verunsichert über ihre berufliche Perspektive und haben sich neue Jobs gesucht. Auch wenn wir wieder komplett öffnen dürften, geht das nicht. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt – nicht nur Fachpersonal, auch Hilfskräfte sind kaum zu bekommen.“ Ähnlich sehe es beim Berufsnachwuchs aus. „Wir haben zwar weiterhin acht Azubis, von denen zwei im Sommer auslernen, aber bis heute noch keine Bewerbungen für die ab Herbst zu besetzenden freien Lehrstellen“, erzählt Michaela Jahn-Neubert. „Zum Glück können wir in diesem Jahr wieder Praktikumstage mit dem IHK-Schülercollege anbieten und einige andere Aktionen durchführen. Ich hoffe, dass wir einige Schüler für eine Ausbildung begeistern können“, schlägt ihr Optimismus wieder durch.

Gäste verunsichert

Andererseits sind auch die Gäste verunsichert. Preiserhöhungen bei Energie und vielen Produkten und die Änderung des kompletten Lohngefüges durch die Mindestlohnerhöhung führen zwangsläufig auch zu Preiserhöhungen bei Bewirtung und Übernachtung. „Sind Gäste bereit, das zu tragen?“, fragt sich Michaela Jahn-Neubert. Angesichts von weniger Einkommen durch Kurzarbeit und steigenden Verbraucherpreisen ist sie da skeptisch. „Wir müssen Mitarbeitern und Gästen gegenüber unser Image stärken und werden den Gästen erklären müssen, warum mehr Qualität, Klimaschutz und soziale Löhne nicht ohne Preissteigerungen möglich sind.“
Auch außerhalb der Corona-Politik macht sich das Gefühl breit, dass die Politik in Deutschland immer wirtschaftsfeindlicher agiert und nur noch umverteilen will. Mittel zum Umverteilen müssen aber vorher auch verdient werden.”

Michaela Jahn-Neubert

Klare Linie der Politik und Verständnis für Wirtschaft fehlen

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Michaela Jahn-Neubert Anfang Dezember 2020 vor dem Gasthaus „Zur Noll“ mit einem „Suppe to go“-Stand (Der Handel hatte noch bis Mitte Dezember geöffnet). © Gasthaus „Zur Noll“
Anders als zu Beginn der Pandemie haben wir heute Erfahrungen mit der Situation, aber es gibt noch immer keinen klaren Fahrplan. Wir leben weiter von einer Entscheidung zur nächsten“, kritisiert sie Politiker und politische Entscheider. „Durch die damit verbundenen Unsicherheiten ist die Lage in vielen Unternehmen sehr kritisch“, so ihre Befürchtung. Das nähme ihnen jede Möglichkeit, ihr Geschäftskonzept anzupassen und zu planen. Während die Umsatzentwicklung unsicher ist, blieben die Kosten für Miete, Energie und laufende Verträge gleich. „Die Soforthilfe zu Pandemiebeginn konnte da für uns einige Finanzierungslücken schließen. Die jetzigen Hilfsangebote greifen erst bei Umsatzeinbrüchen von über 30 Prozent und bieten keinen echten Ausgleich. Wer nicht genügend Rücklagen hat, kann das nicht überleben. Auch außerhalb der Corona-Politik macht sich das Gefühl breit, dass die Politik in Deutschland immer wirtschaftsfeindlicher agiert und nur noch umverteilen will. Mittel zum Umverteilen müssen aber vorher auch verdient werden.”
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