Fünf Kilometer Gleis fehlen!

Für den Zellstoffproduzenten Mercer Rosenthal gibt es ein unüberwindbares Hindernis: das Höllental. Denn die Schienen durch das Tal, auf denen einst Züge fuhren, gibt es heute nicht mehr. Dabei birgt die Höllentalbahn ein großes Potenzial für Wirtschaft, Klima und Tourismus.
„Die Trasse ist nach wie vor dem Schienenverkehr gewidmet“, sagt Maik Glüher, während er auf den Prellbock am Ende der Gleise in Blankenstein schaut. Der Logistikleiter der Mercer Rosenthal GmbH ärgert sich, denn bis 1945 konnten hier noch Züge fahren – rüber nach Bayern durchs Höllental bis in den Ort Marxgrün. Heute ist davon nur zu träumen, denn durch die deutsche Teilung wurde die sogenannte Höllentalbahn unterbrochen und bis heute nicht reaktiviert. Für Maik Glüher und seinen Arbeitgeber Mercer ist dieser Umstand eine vertane Chance.

Holz – Zellstoff – Güterzug

Mercer ist ein weltweit agierender Forst- und Holzindustriekonzern. Mit Standorten in Nordamerika und Deutschland hat sich die Firma vor allem der Nachhaltigkeit verschrieben – konzentriert sich auf Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft. Nach der Wiedervereinigung übernahm Mercer die Zellstofffabrik Rosenthal in Blankenstein im Süden des Saale-Orla-Kreises. Mit 390 Mitarbeitern ist die Fabrik heute ein wichtiger Arbeitgeber in der Region.
In Blankenstein wird vor allem Zellstoff für die Herstellung unterschiedlicher Papiersorten gefertigt. Beim Transport der Produkte zum Kunden setzt das Unternehmen auf die Schiene. Ungefähr 70 Prozent des Zellstoffverkaufs wurden 2024 mit Güterzügen transportiert. „Mit diesem Anteil sind wir in unserer Branche deutschlandweit Spitzenreiter“, freut sich Logistikleiter Glüher. Auch für die Anlieferung von Rundholz zur Fabrik hat Mercer vorgesorgt und für neun Millionen Euro ein Logistikterminal mit Gleisanbindung gebaut.
Güter auf die Schiene – das wird bei Mercer gelebt. Doch das volle Potenzial können sie hier nicht ausschöpfen. Es fehlen fünfeinhalb Kilometer Gleis – durchs Höllental zwischen dem thüringischen Blankenstein, dem Sitz der Zellstofffabrik, und dem bayerischen Ort Marxgrün.

Höllentalbahn: Ja, bitte!

Dass die Gleise fehlen, stört den Ostthüringer Zellstoffproduzenten schon lange. Eine Zugverbindung von Blankenstein gen Süden durch das Höllental bis nach Hof und weiter zum tschechischen Grenzort Aš wäre für Mercer ein wirtschaftlicher Vorteil: „Aktuell kommen die Züge mit Rundholzlieferungen an der tschechisch-deutschen Grenze an. Das Holz wird dann auf LKWs umgeladen und zu unserer Fabrik nach Blankenstein gefahren“, erklärt Glüher. Ein großer logistischer Aufwand. Mercer wünscht sich deshalb, dass der Gleisanschluss durch das Höllental wiederhergestellt wird. So könnten die Züge direkt zur Zellstofffabrik durchfahren. „Die Trasse existiert ja noch und müsste nur saniert werden. Verglichen mit anderen Projekten ist der Aufwand also deutlich geringer“, argumentiert der Logistikleiter. Die lokale Verkehrsinitiative Höllennetz e.V. schätzt die Kosten der Reaktivierung auf circa 15 Millionen Euro.
Mercer geht davon aus, dass mit der Höllentalbahn der Transport mehrerer hunderttausend Tonnen Rundholz, Hackschnitzel und Zellstofflieferungen auf der Schiene möglich wäre. Ein Eisenbahnwaggon könne so ungefähr zweieinhalb LKWs ersetzen – Straßenentlastungen und Emissionssenkungen inklusive.

Überall Uneinigkeit

Bei den Wirtschaftsakteuren auf der Thüringer Seite des Höllentals herrscht Einigkeit. Der Lückenschluss muss hergestellt werden. „Die Höllentalbahn ist von herausgehobener Bedeutung für die regionale Wirtschaft und sinnvoll in ihrer Zielsetzung, mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen“, sagt Almut Weinert, Geschäftsbereichsleiterin Wirtschaft und Technologie der IHK Ostthüringen. Die Thüringer Landesregierung empfahl Ende 2023 im „Masterplan Schiene“, die Strecke nur für den Güterverkehr zu reaktivieren. Für den Personenverkehr sei die Auslastung zu gering.
Das könne jedoch wirtschaftlich nicht dargestellt werden, kritisiert der Geschäftsführer von Mercer Rosenthal, Dr. Christian Sörgel. Die Studie der Landesregierung schätze die touristischen Potenziale der Region falsch ein: „Der Landkreis Hof plant aktuell den Bau der längsten Fußgänger-Hängebrücke der Welt über das Höllen- und das benachbarte Lohbachtal. Laut Prognosen werden hunderttausende Besucher erwartet“, sagt Sörgel. Durch den Lückenschluss könnten Touristen mit der Höllentalbahn reisen. Straßen, Parkplätze und Umwelt würden entlastet, so der Geschäftsführer.
Doch es gibt ein weiteres Problem. Nur circa 500 Meter der ehemaligen Zuglinie liegen im Saale-Orla-Kreis. Ein Großteil der Strecke liegt auf bayrischem Landesgebiet. Und dort sind die Zweifel an der Höllentalbahn noch größer. Die Gegner befürchten eine Belastung des Naturschutzgebietes, durch das die Gleise verlaufen würden. Mercer-Geschäftsführer Sörgel meint, dass die Kritiker die Vorteile der Reaktivierung übersehen: „Wir haben hier eine für den Bahnverkehr gewidmete Trasse. Es ist selten so einfach, Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern.“ Hinzu komme, dass das Verkehrsaufkommen im Güterbereich zwei bis drei Züge pro Tag nicht überschreiten werde, zumal moderne Güterzüge auch deutlich geräuschärmer unterwegs seien, verspricht Christian Sörgel.

Nicht mehr als Absichtserklärungen

Und jetzt? Wie geht es weiter? Aus der Politik kommen zumindest kleine positive Signale. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bekräftigte nach einem Grenzlandtreffen im Januar 2025 mit den Landeschefs aus Sachsen und Thüringen sein Engagement für eine Stärkung der Zugverbindungen von Bayern nach Ostdeutschland. Die Höllentalbahn sei zur Erreichung dieses Ziels „wichtig“, so Söder auf einer Pressekonferenz. Für die Zellstoffproduzenten von Mercer bleibt zu hoffen, dass nach Jahrzehnten des Redens der Bau nun zügig vorangetrieben wird.
Nachhaltigkeit und Forschung bei Mercer Rosenthal

Für die Zellstoffproduktion verwendet Mercer Holzhackschnitzel und Hölzer, die sich nicht als Bauholz eignen. Durch die chemische Extrahierung der holzbasierten Cellulosefasern kann Kraftzellstoff hergestellt werden. Nebenprodukte dieses Prozesses wie Tallöl oder Lignin verwertet Mercer weiter. Die Biochemikalie Lignin zum Beispiel, die der Zellwand von Pflanzen Stabilität verleiht, verbrennt das Unternehmen aktuell als nachwachsenden Rohstoff für die Energiegewinnung. Nach eigenen Angaben kann sich die Zellstofffabrik so komplett selbst und 50.000 weitere Haushalte mit Wärme- und Elektroenergie versorgen.

Mercer möchte zukünftig weitere Möglichkeiten für den stofflichen Einsatz von Lignin, etwa für die Klebstoffindustrie oder den Batteriebetrieb, ausloten und so fossilbasierte Chemikalien ersetzen.

Mercer Rosenthal gibt an, nur Holz aus nachhaltig zertifizierter Forstwirtschaft zu verarbeiten.

de.mercerint.com
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