ENERGIE UND WIRTSCHAFT

Energie: Versorgungssicherheit braucht seriöse Planungsgrundlagen!

Kritische Anmerkungen zum Bericht der Bundesnetzagentur zu „Stand und Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Elektrizität“ vom Januar 2023. Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Thomas Brockmeier, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau.

Grundsätzliches

Der o. g. Bericht der Bundesnetzagentur (BNetzA) ist mittelfristig angelegt und betrachtet den Zeitraum 2025 bis 2031. Er kommt im Kern zu dem Ergebnis, dass in diesem Zeitraum die Versorgungssicherheit mit Elektrizität in Deutschland selbst dann gewährleistet sei, wenn der sogenannte „Kohle-Ausstieg“ nicht erst 2038, sondern bereits 2030 erfolgt.
Positiv hervorzuheben ist, dass die BNetzA realistischerweise von einem höheren Gesamtstrombedarf in Deutschland ausgeht, als dies noch vor Kurzem der Fall war: So geht die BNetzA nunmehr von einem Bruttostromverbrauch von 750 TWh/Jahr aus; unter dem vormaligen Bundesminister für Wirtschaft und Energie Altmaier war mit 600 bzw. zuletzt, d.h. im Jahr 2021, mit 650 TWh/Jahr noch von deutlich niedrigeren Werten ausgegangen worden. Begrüßenswert ist zudem, dass von einer Beibehaltung des grundsätzlichen Marktdesigns ausgegangen wird. Allerdings bleibt abzuwarten, ob sich diese Annahme bewahrheiten wird, hat doch Bundeswirtschaftsminister Habeck bereits mehrfach seine Absicht erkennen lassen, das Strommarktdesign zu ändern.
Negativ fällt der insgesamt fast tendenziös erscheinende rote – oder besser: grüne – Faden einer gleichsam überoptimistischen „Grundhaltung“ aus. Dies äußert sich nicht nur in einer ganzen Reihe regelrecht wirklichkeitsfremder Annahmen, sondern wird bereits im vom BNetzA-Präsidenten Klaus Müller gezeichneten Vorwort erkennbar. Dort findet sich etwa die aufschlussreiche Formulierung, „ob es aus Versorgungssicherheitssicht verantwortbar (sei), am Pfad für einen Kohleausstieg im Jahre 2030 festzuhalten (sic!), wie es im Koalitionsvertrag (…) angestrebt ist.“ Dazu sei klarstellend angemerkt: Derzeit gibt es nur einen „Pfad“ für den Kohleausstieg – und zwar den nach Recht und Gesetz fixierten bis 2038!

Kritik im Detail: wirklichkeitsfremde Annahmen/Prämissen

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien einige wenige Beispiele genannt:
Bei allen Simulationen operiert die BNetzA fast ausschließlich mit dem sog. Day-Ahead-Markt, die Terminmärkte bleiben außen vor. Dies erscheint – vorsichtig formuliert – fragwürdig, werden doch gerade auf den Terminmärkten die überwiegenden Strommengen gehandelt.
Die BNetzAA geht davon aus, dass extrem ambitionierte Ausbauziele bei Wind- und Sonnenenergie erreicht werden – und zwar mit einem Zubau, der einer Verdreifachung (!) der Kapazitäten von 2021 entspräche (von 123 GW/2021 auf 360 GW/2030) – und das innerhalb von nur sieben Jahren. Angesichts des schleppenden Ausbautempos vor allem infolge langer Planungs-, Genehmigungs- und Realisierungszeiten erscheint dies völlig unrealistisch.
Bis 2031 sollen, so der ehrgeizige Plan, neue Gaskraftwerke (H2-Ready) im Umfang von 17 bis 21 GW entstehen. Diese Annahme erscheint nicht einfach nur überoptimistisch, sondern geradezu heroisch, wenn man bedenkt, dass dieser Zubau fast drei Vierteln der heute installierten Leistung von 29 GW entspräche. Wie soll dies angesichts der aktuellen „Gaslage“ gelingen? Weiterhin wird angenommen, dass neue Biomassekraftwerke im Umfang von 7 GW entstehen werden; ausgehend von den aktuellen Kapazitäten von 9,4 GW entspräche auch dies einem Zubau von rund 75 Prozent. Es bleibt völlig unklar, wie dies gelingen soll.
Ein weiteres Beispiel betrifft die Annahmen über die künftige Entwicklung der Brennstoffpreise: Die BNetzA geht davon aus, dass – mit Ausnahme des Preises für CO2-Zertifikate – die Preise aller Brennstoffe kontinuierlich sinken werden. Angesichts der eher zu- als abnehmenden Energienachfrage erscheint dies wirklichkeitsfremd. Zwar dürfte die Nachfrage nach fossilen bzw. „konventionellen“ Brennstoffen tendenziell durchaus abnehmen; angesichts des unzureichenden Tempos beim Ausbau der „Erneuerbaren“ und der grundsätzlichen Bedeutung der sogenannten „Regelenergie“ für die jederzeitige Gewährleistung der Netzstabilität erscheint die von der BNetzA angenommene Preisentwicklung jedoch kaum nachvollziehbar (von 2023 bis 2030, jeweils in Euro/MWh):
Gas
von 121,0
auf 28,0
Wasserstoff
von 185,6
auf 110,2
Leichtes Heizöl
von 82,1
auf 63,4
Steinkohle
von 35,3
auf 11,3

Richtigerweise betont die BNetzA die Bedeutung des planmäßigen Netzausbaus gemäß Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) und Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) für die Versorgungssicherheit. Ungeklärt bleibt jedoch, woher die BNetzA ihren Optimismus dafür nimmt, dass dieser Netzausbau auch tatsächlich „planmäßig“ erfolgen wird. Angesichts der bisherigen Verzögerungen allein beim SüdLink (geplante Inbetriebnahme war 2022, jetzt wird mit 2028 gerechnet) und auch beim SüdOstLink, der nun frühestens 2027 in Betrieb gehen soll, müsste man im Gegenteil doch sehr ins Grübeln kommen…
Insgesamt überrascht nicht, dass die BNetzA die Bedeutung eines raschen und umfangreichen Ausbaus der sogenannten „Erneuerbaren“ für eine möglichst große Gesamtkapazität betont. Dabei rückt allerdings in den Hintergrund, dass bereits heute 231 GW elektrische Leistung installiert sind, von denen mit 143 GW rund 62 Prozent auf erneuerbare Energien (62 %) entfallen; davon allerdings sind gerade einmal knapp 15 (!) GW (aus Wasser und Biomasse) „grundlastfähig“. Um wirklich von „Versorgungssicherheit“ in Deutschland sprechen zu können, werden indes bereits heute jederzeit Kapazitäten von mindestens 70, besser 80 GW gesicherter Leistung pro Stunde benötigt. Angesichts zunehmender Elektrifizierung weiterer Bereiche (E-Autos, Wärmepumpen etc.) dürfte dieser Mindestbedarf künftig noch zunehmen.

Fazit

Schon die griechischen Philosophen wussten: Aus Falschem folgt Beliebiges. Um etwas für Wirtschaft und Gesellschaft so Bedeutsames wie die Versorgungssicherheit mit Energie auch nur ansatzweise verlässlich vorhersagen zu können, braucht es zumindest eines: Realismus und Seriosität bei der Auswahl und Bemessung der Annahmen bzw. Prämissen. Daran lässt es der Bericht der Bundesnetzagentur deutlich mangeln. Hier muss nachgebessert werden!
„Energiepolitik: Wunschdenken und Schönfärberei gefährden die Versorgungssicherheit!“
Alarmruf der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände sowie der Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern in Sachsen-Anhalt
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