INTERVIEW

Wir müssen unsere Stärken nutzen dürfen!

Die neue Vollversammlung der IHK beginnt ihre Arbeit in einer wirtschaftlich sehr angespannten Zeit. Die ­Coronakrise ist vielerorts noch nicht wirklich über­wunden. Der Krieg in der Ukraine und der sehr turbulente Energiemarkt bringen weitere zum Teil existenzbedrohende Einschnitte. Hinzu kommen Fachkräfteknappheit, Digitalisierungs- und Investitionsstau sowie eine praxisferne Wirtschaftspolitik. Die Wirtschaft ist gefordert wie nie, aber ihr Handlungsspielraum wird immer weiter eingeschränkt – die IHK fordert ein wirtschaftspolitisches Umdenken.
Im Interview sprechen IHK-Präsident Dr. Ralf-Uwe ­Bauer und IHK-Hauptgeschäftsführer Peter Höhne über politisch geprägte Entscheidungen, deren Folgen  für die Unternehmen und was sich aus Sicht der Wirtschaft dringend ändern muss.

Welche Sorgen und Nöte brennen den Unternehmen unter den Nägeln?

Dr. Bauer: Energiekrise, Personalmangel, zunehmender Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit, Bürokratie führen seit Jahren mit unterschiedlichen Prioritäten die Liste der größten Konjunkturrisiken an. Mich beunruhigt am meisten, dass viele politische Entscheidungen quasi am „grünen Tisch“ getroffen ­werden – zuviel zentraler planerischer Ansatz ohne Rücksicht und Folgenabschätzung – gegen die Wirtschaft und nicht mit ihr, zum Beispiel in der Energiepolitik. Das schädigt den Wirtschaftsstandort Deutschland ganz massiv. Zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik geht so nicht.

Was läuft schief in der Energiepolitik? 

Peter Höhne: So einiges. Die Wirtschaft braucht eine stabile, zuverlässige und bezahlbare grundlastfähige Energieversorgung. Der immer noch einseitig auf ­Sonne und Wind ausgerichtete Ausbau der Energieerzeugung – ohne ausreichende Netze und Speicher – kann das nicht absichern.
Dr. Bauer: Die Energiewende können wir nur mit ­einem technologieoffenen Energiemix aus verschiedenen technologischen Ansätzen schaffen. Das heißt: Innovationsansätze in der Breite der Unternehmen müssen technologieoffen gefördert werden. Es erfordert viel mehr Geld für konkrete Transferprojekte insbeson­dere der kreativen kleinen und mittleren Unternehmen sowie eine Unterstützung einer breiten Innovations­offensive „Energie der Zukunft“, um neue technische und technologische Ansätze zu erproben, wirtschaftlich und ökologisch zu bewerten und dem Markt als ­Angebot zur Verfügung zu stellen. Nur so können ­unternehmerischer Ideenreichtum und Innovationskraft genutzt werden. 

Was bedeutet das für die Unternehmen?

Dr. Bauer: Die Energiewende läuft am Bedarf und der Realität der Unternehmen vorbei. Wenn dann noch geopolitische Faktoren Energie weiter verknappen, wird aus politisch motivierter einseitiger Energiepolitik eine handfeste Energiekrise. Die Folge: Deutschland ist der teuerste Stromstandort Europas. Unternehmen reagieren mit Zurückstellung von Investitionen und Produkt­innovationen oder sehen sich nach anderen Stand­orten für Firmenerweiterungen um. Ganze Branchen, nicht nur die energieintensive Industrie, auch Tourismus, Dienstleistungssektor oder Bau, erleben massive Einschränkungen.
Peter Höhne: Wir brauchen dringend ein wirtschaftspolitisches Umdenken. Der deutsche Sonderweg wird so nicht funktionieren. Unsere Forderung ist: Unvoreingenommen die Erschließung aller uns zur Verfügung stehenden Energiequellen prüfen! Es macht wenig Sinn, Fracking oder Atomenergie in Deutschland zu ver­teufeln, aber Fracking-Gas mit schlechter CO2-Bilanz zu importieren oder als Lastenausgleich Atomstrom aus europäischen Nachbarländern zu beziehen. Da müssen sich politische Entscheider schon fragen lassen, ­warum in der Übergangszeit bis zu einer Komplettversorgung mit alternativer Energie nicht auf die verfügbaren konventionellen Energiequellen als Ausgleich zurückgegriffen wird.
Dr. Bauer: Es gibt viele erfolgversprechende Ansätze in der Wirtschaft und Wissenschaft. Um die auch umsetzen und nutzen zu können, muss dringend der planwirtschaftliche Ansatz mit Einschränkungen, Verboten und künstlicher Verteuerung verlassen, die Genehmigungswut und der Regulierungsdrang deutlich zurückgefahren werden. Nicht nur sagen, sondern auch wirklich machen – jetzt!
Aufwendige Genehmigungs-, Planungs- und Förder­verfahren und immer mehr einschränkende Anfor­derungen an Unternehmen in Deutschland sind ­kontraproduktiv und entmutigend. Wir müssen unsere ­Stärken nutzen dürfen!

Sie sehen also Unternehmer massiv in ihrer Entscheidungsfreiheit einschränkt?

Dr. Bauer: Staatliche Anreize und Impulse fördern ­Innovationen und Investitionen wirksamer und erfolgversprechender als immer neue Verbote und Auflagen. Die Politik sollte viel bewusster die Stärken unseres Mittelstandes nutzen und fördern. Was passiert stattdessen: Das neue Gebäudeenergiegesetz soll so vollgepackt werden mit Auflagen und Vorschriften, dass Bauen für viele Firmen und auch Familien unbezahlbar wird. Zeithorizonte zur Umsetzung, gewünscht von Idealisten, helfen nicht die gegebenen Realitäten zu verändern. Es müssen belohnende Anreize geschaffen werden, die Investitionen der Unternehmen, der privaten Personen und des Staates massiv in Bewegung setzen. Eine deutliche nachhaltige Reduzierung der Elektroenergiepreise würde in der Breite eine freiwillige Umstellung auf neue Technik und Technologie ­befördern. Es gibt zu viele staatliche und kommunale Interessenlagen an hohen Zusatzkosten, die schnellstens abgebaut werden sollten.
Peter Höhne: Die Eingriffe des Staates in die Unternehmen nehmen seit Jahren rasant zu. Ich meine nicht nur Bürokratie für Berichts- und Nachweispflichten, Genehmigungsverfahren usw. Unternehmen müssen auch immer mehr eigentlich staatliche Aufgaben ­stemmen. Beispiel Lieferkettengesetz: Unternehmen müssen Auflagen zu Menschrechtskonformität erfüllen, an die der Staat sich selbst nicht hält, wie beim Ölkauf in arabischen Staaten. Beispiel Energieprämie: Mit seiner Energiepolitik hat der Staat zu den enorm gestiegenen Energiepreise beigetragen – und verspricht den Menschen Ausgleichszahlungen. Finanzieren ­sollen die aber die Unternehmen, egal, ob sie das auch leisten können. Sie tun es häufig trotzdem, weil sie ihre Mitarbeiter halten wollen.

Immer häufiger fehlen den Unternehmen ­Mitarbeiter. Wie reagieren die Firmen darauf?

Dr. Bauer: Offene Stellen nicht besetzen zu können, ist schon zur Regel geworden. Rund die Hälfte der ­Unternehmen quer durch alle Branchen berichten ­darüber. Viele Unternehmen setzen daher verstärkt auf Automatisierung. Ich kann den Unternehmen nur ­raten, alle Ressourcen für weniger Beschäftigung durch Investitionen zu nutzen. Wir haben aber auch mehr als 30 Prozent der Beschäftigten in Deutschland in der ­öffentlichen Hand. Auch hier muss dringend gegengesteuert werden. Darauf muss sich auch die Investi­tionsförderung einstellen. Zu oft sind noch Erhalt und Ausbau von Arbeitsplätzen Voraussetzung für staat­liche Förderung.
Peter Höhne: Unternehmen investieren mehr und sehr kreativ in Ausbildungsmanagement und vor allem in Firmenkultur und Mitarbeiterbindung – daran führt kein Weg mehr vorbei. Mit unseren IHK-Angeboten zur Berufsorientierung, zur Personalentwicklung durch Qualifikation und Weiterbildung oder auch zur Ge­winnung von Azubis und Fachkräften aus dem Ausland unterstützen wir sie dabei seit Jahren.

Sind ausländische Fachkräfte und Azubis eine Lösung?

Peter Höhne: Für einige Unternehmen ist das bereits Alltag – vor allem bei hoher internationaler Vernetzung. Auch die IHK hat ihre Angebote ausgebaut und sensibilisiert die Unternehmen für diesen Weg. In ­Ländern wie Usbekistan, der Türkei oder Mexiko sind wir dabei, gemeinsam mit Partnern vor Ort Strukturen und standardisierte Prozesse aufzubauen, um junge Menschen für eine Ausbildung und berufliche Zukunft in Deutschland zu gewinnen. 

Vor diesem Hintergrund: Hat der Wirtschaftsstandort Deutschland eine Zukunft? 

Dr. Bauer: Auf jeden Fall – wenn die Politik sich darauf besinnt, dass in der Wirtschaft die Werte geschaffen werden, die Verwaltung, Sozialstaat, Lebensniveau und politische Ziele, wie Energiewende, gewährleisten. Wir müssen zu unseren Stärken zurückfinden: eine leistungs- und wettbewerbsfähige Wirtschaft. Das geht nur mit der Wirtschaft und nicht gegen sie. 
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