DIHK-Einschätzung

Beginn einer neuen Realität

DIHK-Präsident Peter Adrian und DIHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Wansleben mit einer Einschätzung zur aktuellen Weltwirtschaftssituation und der dringenden Bitte an alle Unternehmen, die IHK-Arbeit mit Fällen aus der Praxis zu unterstützen.
DIHK-Präsident Peter Adrian und Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben
© DIHK/Werner Schuering
Uns fliegen geradezu die Fetzen um die Ohren – in der Politik, in den Unternehmen und auch bei IHKs, AHKs und DIHK. Wer hätte gedacht, dass in Deutschland und einigen europäischen Nachbarländern bei der Energie die Versorgungssicherheit nicht mehr gegeben ist und die Energiepreise durch die Decke gehen? Und allmählich wird klar: Das, was wir gerade erleben, ist – abgesehen vom akuten Energiemangel – nicht eine Krise, die am 24. Februar 2022 begonnen hat und absehbar definiert zu Ende geht. Das, was wir erleben, ist der Beginn einer neuen Realität in der Welt
Durch den russischen Angriff auf die Ukraine ist der selbstverständliche Umgang miteinander auf internationaler Ebene nicht mehr gegeben. Wir haben es jetzt mit politischen Unsicherheiten zu tun, mit Vertrauensverlust und – als eine wesentliche Folgerung daraus – mit der Notwendigkeit, einseitige und zu große Abhängigkeiten drastisch zu verringern. Wer kauft was wo? Wer produziert was wo? Wer verkauft was wo? Diese Fragen stellen sich jetzt völlig neu. Oder anders ausgedrückt: Die Globalisierung sortiert sich neu. Der Wettbewerb der Standorte läuft jetzt unter völlig anderen Vorzeichen. Aktuell verliert Deutschland. Die Energiepreise explodieren, viele Rohstoffe sind knapp und wegen der nachlaufenden Lieferschwierigkeiten durch Corona haben wir es zusätzlich mit Versorgungsengpässen bei Halb- und Fertigwaren zu tun. Inflation – wer hätte noch vor wenigen Monaten gedacht, dass wir einmal damit zu tun haben werden? Die deutsche Handelsbilanz ist erstmals seit 2008 negativ und der Euro verliert im Vergleich zu anderen wichtigen Weltwährungen stark an Außenwert. 

Stichwort „Fuel Switch“

Aktuell – das ist klar – stehen für jedes Unternehmen die eigene Energieversorgung und der Umgang mit den exorbitant hohen Energiekosten im Vordergrund. IHKs und DIHK streiten für pragmatische Lösungen. So liefert das Energiesicherungsgesetz nicht wirklich die notwendige Rechtssicherheit beim “Fuel Switch”, also bei der Umstellung von Gas auf Öl. Eine gut gemeinte “Genehmigungsfiktion” für sechs Monate hilft kaum, wenn parallel weiter ein offizielles Zulassungsverfahren notwendig ist, das mindestens acht Monate dauert. Unternehmerinnen und Unternehmer, die hier verantwortlich und schnell reagieren, dürfen keinem Behörden-Ping-Pong ausgesetzt oder gar noch wegen einer nicht beschaffbaren Genehmigung kriminalisiert werden. Hier geht es um einen echten Energie-Notstand. Deshalb muss eine klare, pragmatische und verlässliche Duldungsregelung her. Das gilt auch für die Anpassung anderer Vorschriften an die neue Realität: Oder sollen wir das Richtige tun und dabei bewusst gegen Gesetze verstoßen müssen? 
Informieren Sie uns zu Ihrem konkreten Fall, bei dem der “Fuel Switch” aus formalen Gründen nicht geklappt, per E-Mail an Steffi Keil keil@gera.ihk.de und Mathias Prieske prieske@gera.ihk.de. Anhand konkreter Fälle können wir diese Themen auf den politischen Ebenen intensiv ansprechen, auch bei den Genehmigungsbehörden vor Ort. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat dem DIHK zugesagt, wenn eben möglich, jedem einzelnen Fall nachzugehen.

Stichwort „Notfallzahlungen“

Auch bei den Notfallzahlungen wegen der hohen Strom- und Gaspreise haben wir von Anfang an darauf hingewiesen, dass eine Beschränkung auf stromintensive Betriebe in Zeiten einer Gaspreiskrise viel zu kurz gesprungen ist. Wir werden uns weiterhin für eine Ausdehnung auf zusätzliche Branchen einsetzen und bereits jetzt in Brüssel für eine Verlängerung des erweiterten Beihilferahmens bis mindestens Ende 2023 werben. Schließlich wird die Energiepreiskrise nicht zum 31.12.2022 verschwunden sein.
Sie haben Probleme bei der Antragsstellung beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA)? Auch hierzu senden Sie uns bitte ein E-Mail an Steffi Keil keil@gera.ihk.de und Mathias Prieske prieske@gera.ihk.de. Wir leiten diese Fälle weiter und der DIHK wird direkt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz informieren.

Stichwort „Zinserhöhung und Globalisierung“

Die EZB hat begonnen, die Zinsen zu erhöhen. Das ist notwendig und richtig. Allerdings sind wir als Wirtschaft in einer gewissen Sandwich-Situation: Zu hohe Inflationsraten sind schädlich, allein schon wegen der damit verbundenen Kalkulationsunsicherheit. Zu hohe Zinsen würgen die Konjunktur ab. In der “konzertierten Aktion” der Bundesregierung arbeiten wir (IHK-Organisation) mit. Die Diskussion mit dem Bundeskanzler und den involvierten Ressortchefs zeigt das Ausmaß der Herausforderung. Der DIHK setzt sich dafür ein, zusätzlich das Angebot auszuweiten und nicht nur via Zinserhöhungen auf die Reduktion der monetären Nachfrage zu setzen. Umso wichtiger ist es, jetzt die Neusortierung der Globalisierung offensiv anzugehen. Wir brauchen weniger eine Diskussion darüber, was wir in Zukunft nicht machen. Vielmehr brauchen wir die Offenheit dafür, dass Unternehmen unter den erheblich schwierigeren Bedingungen hierzulande, in Europa und insbesondere weltweit ihre Chancen finden und nutzen können. Deshalb arbeiten bereits viele Unternehmen intensiv an der Diversifizierung und Resilienz ihrer Lieferketten. Das können sie aber nur schaffen, wenn sie bei neuen Partnerschaften unterstützt und nicht durch immer mehr zusätzliche Vorschriften ausgebremst werden. Die Politik muss dafür die WTO stärken und Handelsverträge voranbringen. Und natürlich steht die bange Frage im Raum, wie die Unternehmen ab dem 1.1.2023 vor diesem Hintergrund mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ganz konkret vor Ort umgehen können. Unsere AHKs in aller Welt haben die Themen voll auf dem Radar und sind bereits sehr aktiv.

Stichwort „Geschwindigkeit und Bürokratie“

Und wir hier in Deutschland müssen uns fragen: Haben wir wirklich alle erkannt, wie sehr die massiven globalen Verwerfungen viele Gewohnheiten zuhause in Frage stellen? Damit wir in der neuen Welt von heute und morgen noch im Wettbewerb mithalten können, müssen wir in vielen Bereichen radikal umsteuern. So können unsere Unternehmen und unsere Volkswirtschaft nur an Aktionsfähigkeit gewinnen, wenn wir auf allen Ebenen schneller und unbürokratischer werden. Insofern ist der Neubau der Talbrücke Rahmede (A45) nicht nur die Beseitigung eines für die regionale Wirtschaft und ihre Beschäftigten unerträglichen Engpasses. Der Neubau ist zugleich auch Lackmus-Test für Deutschland insgesamt. Mindestens fünf Jahre soll dies nach den bisherigen Prognosen vom Amt dauern. Im italienischen Genua war die doppelt so lange Morandi-Brücke zwei Jahre nach ihrem spektakulären Einsturz wieder komplett befahrbar, womit die Messlatte definiert ist. Die IHKs vor Ort sind aktiv und der DIHK auch im Gespräch mit dem Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Volker Wissing. Aber eins ist natürlich klar: Schneller werden muss Deutschland nicht nur beim Ausbau der regenerativen Energien oder bei Infrastrukturprojekten. Schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren brauchen unsere Unternehmen auch, wenn sie um-, an- und neu bauen oder zum Beispiel Zulassungen für neue Produkte benötigen. 

Stichwort „IHK-Arbeit“

Gemeinsam mit den Unternehmen gehen auch IHKs, AHKs und DIHK die jetzt vor uns liegenden Herausforderungen tatkräftig an – z.B. um Unternehmen zusammenzubringen und aus der Praxis für die Praxis gegenseitige Unterstützung zu organisieren. Die IHK-Organisation hat genau im Blick, unter welchem Stress die Unternehmen in Deutschland jetzt täglich stehen. Diesen unmittelbaren Praxisbezug der IHK-Arbeit realisiert zunehmend auch die Politik – nicht zuletzt deshalb, weil wir die konkreten Problemstellungen dank Ihrer Rückmeldungen und der engen Zusammenarbeit von IHKs, AHKs und DIHK in Berlin und Brüssel platzieren können. Immerhin ist die direkte Kommunikation mit dem Bundeskanzler und den involvierten Bundesministerinnen und Bundesministern bemerkenswert intensiv und offen.
Wirtschaftlich ist das, was wir erleben, eine Zeitenwende. Wir sind jetzt alle gefordert. 
“Wir schaffen das” ist angesichts der Tragweite der Herausforderungen und der tiefgreifenden Veränderungen zu platt. Es ist vielmehr wichtig, die jetzige Situation als unsere neue Normalität anzunehmen, unternehmerisch Fuß zu fassen und alles daran zu setzen, dass sich die Entwicklung wieder zum Besseren wendet. Denn auch wirtschaftlich ist das, was wir erleben, eine Zeitenwende. Wir sind jetzt alle gefordert. Unser eigener Wohlstand und der unserer nachfolgenden Generationen steht auf dem Spiel. Es liegt an uns, diese Herausforderung selbst anzugehen und möglichst andere Akteure in Politik wie Gesellschaft mitzureißen. Viel kann uns gelingen, wenn wir alle Kräfte mobilisieren, Ballast abwerfen und Blockaden überwinden. Es ist, wie es ist – vielleicht jetzt aber auch unsere gemeinsame Chance. Diese zu nutzen, dafür arbeiten wir. Dieser Aufgabe fühlen wir uns auch persönlich verpflichtet. 
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