Arbeitszeiterfassung

Stand: Januar 2023
Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sind Arbeitgeber verpflichtet, die gesamte Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen.
Die Entscheidung bringt weitreichende Folgen mit sich. Wir informieren Sie, wie es zu dieser Entscheidung kam, was die Entscheidung des BAG konkret aussagt und was Arbeitgeber jetzt tun sollten.

1. Bisherige gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeiterfassung

Im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gibt es aktuell keine Verpflichtung zur generellen Aufzeichnung der Arbeitszeit.
Nach § 16 Abs. 2 ArbZG sind Arbeitgeber verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit nach § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Es galt somit bisher schon, dass Überstunden und die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen aufgezeichnet werden müssen.
Gesonderte Aufzeichnungspflichten galten bereits zudem u.a. für:
  • Geringfügig Beschäftigte (Minijobber), § 17 Abs. 1 MiLoG
  • Arbeitnehmer in den in § 2a SchwarzArbG genannten Wirtschaftsbereichen
  • Arbeitnehmer im Straßentransport, § 21a Abs. 7 ArbZG
  • Arbeitnehmer in der Fleischwirtschaft, § 6 Abs. 1 GSA Fleisch
  • Bestimmte Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG), § 19 Abs. 1 AEntG
  • Bestimmte Leiharbeitnehmer, § 17c Abs. 1 AÜG
Bislang war die überwiegende Auffassung, dass im deutschen Recht keine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung existiert.
Für alle überraschend hat das BAG aber nun entschieden, dass bereits jetzt eine generelle Aufzeichnungspflicht besteht.

2. Wie es zur Entscheidung des BAG kam („Stechuhr-Urteil“ des EuGH)

Bereits im Jahr 2019 fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein maßgebendes Urteil, wonach ein nationales Arbeitsrecht mit der EU-Grundrechtecharta unvereinbar sei, wenn Arbeitgeber nicht verpflichtet sind, die tägliche Arbeitszeit jedes Mitarbeiters aufzuzeichnen (EuGH, Urteil vom 14.5.2019, Az.: C-55/18).
Nach dem EuGH müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Aus dieser EuGH-Entscheidung wurde vielfach der Schluss gezogen, dass der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des EuGH erst noch umsetzen müsse (was bis heute nicht geschehen ist) und Arbeitgeber ohne entsprechende gesetzliche Neuregelung nicht verpflichtet seien, die gesamte Arbeitszeit aller Arbeitnehmer aufzuzeichnen.

3. Verpflichtung zur generellen Arbeitszeiterfassung nach der BAG-Entscheidung

In seinem Beschluss vom 13. September 2022 (BAG, Beschluss vom 13.9.2022, Az. 1 ABR 22/21) entschied das BAG, dass Arbeitgeber jetzt schon kraft Gesetztes verpflichtet sind, die gesamten Arbeitszeiten aller Arbeitnehmer aufzuzeichnen.
In der Entscheidung des BAG ging es um einen Rechtsstreit zwischen einem Arbeitgeber und einem Betriebsrat und die Frage, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht. Das BAG lehnte ein Initiativrecht ab. Entscheidend für alle Arbeitgeber (auch solche ohne Betriebsrat) ist aber die überraschende Begründung: 
Der Arbeitgeber sei bereits jetzt gesetzlich verpflichtet, ein Zeiterfassungssystem einzuführen, mit dem die Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers erfasst werden kann, daher stünde dem Betriebsrat kein Initiativrecht zu. Denn Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen nach § 87 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nur, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht existiert.
Die Pflicht zur generellen Arbeitszeiterfassung ergebe sich aus der Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), welche europarechtskonform auszulegen sei.
§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet Arbeitgeber allgemein, „für eine geeignete Organisation zu sorgen und erforderliche Mittel bereitzustellen“, um Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten.
Da die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten und der Ruhezeiten nach dem ArbZG arbeitsschutzrechtlichen Zwecken dient, gehöre die Arbeitszeiterfassung zu den dem Arbeitgeber obliegenden „erforderlichen Maßnahmen“ des Arbeitsschutzes, so das BAG.

4. Was Arbeitgeber jetzt tun müssen

Inzwischen liegen die ausführlichen Entscheidungsgründe vor. Aus diesen können folgende Vorgaben für Arbeitgeber abgeleitet werden:
  • Die Pflicht zur generellen Arbeitszeiterfassung gilt ab sofort.
  • Die Arbeitszeiterfassung muss in jedem Fall objektiv, verlässlich und für jeden Arbeitnehmer einsehbar sein.
  • Es muss ein System eingeführt werden, das Beginn, Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich etwaiger Überstunden erfasst.
  • Nach allgemeinem Verständnis müssen auch der Beginn und das Ende der Ruhepausen aufgezeichnet werden, auch wenn dies der BAG-Entscheidung nicht explizit zu entnehmen ist. Denn Ruhepausen sind gesetzlich vorgeschrieben, gehören aber laut ArbZG nicht zur Arbeitszeit und müssen entsprechend abgezogen werden, um die Dauer der Arbeitszeit zu ermitteln. Ein pauschaler Abzug von Pausen (beispielsweise Mittagspause 30 Minuten) genügt nicht.
  • Solange der Gesetzgeber keine konkretisierende Regelung getroffen hat, bleibt die Art und Weise der Arbeitszeiterfassung (etwa handschriftlich, über Excel-Tabellen, analoge/digitale Stechuhren, Online-Zeiterfassung über den Arbeitsplatz-PC oder -Laptop oder mobile Zeiterfassung über eine App) dem Arbeitgeber überlassen. Bei der Auswahl sind insbesondere die Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer und die Eigenheiten des Unternehmens (insbesondere seine Größe) zu berücksichtigen. Reine Schichtpläne genügen aber nicht.
Hinweis: Bei einer digitalen/elektronischen Lösung (hier gibt es kostenlose und kostenpflichtige Varianten) sollte darauf geachtet werden, dass die Software nicht nur die Arbeitszeitdaten erfasst. Die Software muss fälschungssicher und datenschutzkonform sein. Insbesondere sollte beim Anbieter nachgefragt werden, wo sich der Speicherort befindet (innerhalb oder außerhalb der Europäischen Union). Sie sollte möglichst auch verknüpfbar sein mit Systemen, die im Unternehmen bereits genutzt werden.
  • Es wäre auch grundsätzlich denkbar, verschiedene Systeme im Unternehmen oder Betrieb einzuführen – etwa differenziert je nach Art der von den Arbeitnehmern ausgeübten Tätigkeiten.
  • Laut BAG ist es nicht ausgeschlossen, die Arbeitszeiterfassung als solche an die Arbeitnehmer zu delegieren. Arbeitgeber haben aber die tatsächliche und korrekte Erfassung der Arbeitszeiten sicherzustellen und (jedenfalls durch regelmäßige Stichproben) zu kontrollieren.
  • Das System darf nicht nur angeboten werden. Arbeitgeber können also ihren Mitarbeitern nicht freistellen, ob sie das Zeiterfassungssystem nutzen oder nicht. Sie müssen auch dafür Sorge tragen, dass es tatsächlich genutzt wird. 
  • Gesetzlich vorgeschrieben und damit der Mitbestimmung des Betriebsrats entzogen ist das „Ob“ der Einführung eines Zeiterfassungssystems. Bei der näheren Ausgestaltung und Durchführung (dem „Wie“) dieses Systems steht dem Betriebsrat jedenfalls nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht zu. Soll ein elektronisches Zeiterfassungssystem eingeführt werden, ist der Betriebsrat auch nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beteiligen. 
In Unternehmen/Betrieben, in denen die Arbeitszeiten nicht erfasst werden, sollten Arbeitgeber überlegen, welches Zeiterfassungssystem für das eigene Unternehmen kurzfristig/langfristig umsetzbar ist. Existiert bereits ein Zeiterfassungssystem, sollte dieses daraufhin überprüft werden, ob die Vorgaben des BAG erfüllt sind.
Das Bundesarbeitsministerium hat im Anschluss an die BAG-Entscheidung ein FAQ veröffentlicht, in dem auf die wichtigsten Fragen zur Arbeitszeiterfassung eingegangen wird.

5. Drohen Bußgelder bei Verstößen?

Das ArbSchG sieht derzeit keine direkten Sanktionen für einen Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG vor. Ein Verstoß gegen diese Regelung stellt keine Ordnungswidrigkeit nach § 25 ArbSchG dar.
Eine bußgeldbewährte Ordnungswidrigkeit kann aber entstehen, wenn die Arbeitsschutzbehörde (dies sind die Gewerbeaufsichtsämter) einen Verstoß feststellen. Dann kann sie nach § 22 Abs. 3 ArbSchG eine konkrete Anordnung zur Einrichtung eines Arbeitszeiterfassungssystems erlassen. Erst wenn der Arbeitgeber einer solchen Anordnung nicht oder nicht innerhalb einer gesetzten Frist nachkommt, kann ein Bußgeld verhängt werden.

6. Gilt die Zeiterfassungspflicht auch für leitende Angestellten?

Ob die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auch für leitende Angestellte gilt, ist derzeit nicht eindeutig.
§ 5 Abs. 3 BetrVG definiert den Begriff des leitenden Angestellten im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn. Aber Achtung: Nicht jede Führungskraft ist automaisch ein leitendender Angestellter. Leitende Angestellte kennzeichnet insbesondere aus, dass sie zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind. Faktisch ist das also ein sehr kleiner Kreis. Ob diese von der Entscheidung des BAG erfasst werden, wird derzeit unterschiedlich gesehen. Man wird vermutlich annehmen können, dass leitende Angestellte nach obiger Definition von der Entscheidung des BAG ausgenommen sind, weil es in der Entscheidung nur um Initiativrechte des Betriebsrats ging und der Betriebsrat leitende Angestellte nicht vertritt. 
Auch vom persönlichen Geltungsbereich des Arbeitszeitgesetzes sind leitende Angestellte i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG ausgenommen.
Das Arbeitsschutzgesetz hingegen erfasst jedoch auch leitende Angestellte.
Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber in dieser wichtigen Frage eine klarstellende Regelung treffen wird. Die EU-Arbeitsschutzrichtlinie lässt jedenfalls zu, dass „leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbständiger Entscheidungsbefugnis“ ausgenommen werden.

7. Ist Vertrauensarbeitszeit noch möglich?

Die Vertrauensarbeitszeit ist bislang gesetzlich nicht geregelt. Darunter versteht man in der Regel, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit weitestgehend selbst bestimmen kann. Meist wird lediglich das Volumen der wöchentlichen oder monatlichen Arbeitszeit vertraglich festgelegt. Beginn und Ende der Arbeitszeit wird vom Arbeitgeber aber nicht vorgegeben. Der Fokus liegt nicht auf die Kontrolle der Arbeitszeiten, sondern der Arbeitgeber vertraut darauf, dass der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten erfüllt und die ihm aufgetragene Arbeit erledigt.
Vertrauensarbeitszeit im Sinne einer selbstbestimmten Lage der Arbeitszeit ist weiterhin möglich und wird wohl auch künftig erhalten bleiben. Vertrauensarbeitszeit heißt jedoch nicht mehr, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit nicht aufzeichnen müssen, selbst wenn der Arbeitgeber ihnen insoweit vertraut. Auch hier müssen die Arbeitszeiten vollständig erfasst werden, was einen zusätzlichen organisatorischen Aufwand mit sich bringt.

8. Was gilt für Homeoffice und mobiles Arbeiten?

Auch Homeoffice und mobiles Arbeiten sind weiterhin möglich. Allerdings sind auch diese Arbeitszeiten vollständig zu erfassen.

9. Ausblick: Was ist vom Gesetzgeber zu erwarten?

Das Bundesarbeitsministerium hat angekündigt, die Entscheidung des BAG aufzugreifen und zeitnah (noch im ersten Quartal 2023) eine praktikable gesetzliche Regelung vorzuschlagen. Es ist davon auszugehen, dass flexible Arbeitszeitmodelle wie Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich bleiben werden. Dies sieht der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien ausdrücklich vor. Zudem ist zu erwarten, dass die bestehende Bußgeldregelung des § 22 ArbZG auf die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ausgedehnt wird. Denkbar ist auch, dass die Gesetzesreform Ausnahmen oder Erleichterungen bei der Arbeitszeiterfassungspflicht für bestimmte Unternehmen (etwa wegen der Eigenart oder der Größe) beinhalten wird. Es bleibt auch abzuwarten, ob die gesetzliche Regelung konkret regeln wird, in welcher Form die Arbeitszeit aufgezeichnet werden muss. 
Aktuell wurden noch keine Gesetzentwürfe vorgelegt.