Wirtschaftspolitisches Resümee zum 100-Tage-Programm der Thüringer Landesregierung
Am 18.3. fand, auf Einladung der neuen Landesregierung, die Auftaktsitzung zum "Pakt für Wachstum und Arbeitsplätze" mit Vertretern aus Kammern, Wirtschaftsverbänden, Sozialverbänden, Gewerkschaften statt. Anlässlich des Auftaktes wurde eine Gemeinsame Erklärung unterzeichnet
Die neue Thüringer Landesregierung hat in ihrem 100-Tage-Programm zahlreiche wirtschaftsrelevante Maßnahmen angekündigt und teilweise bereits umgesetzt. Die IHK Erfurt erkennt den politischen Gestaltungswillen an, mahnt jedoch in zentralen Bereichen die konkrete Umsetzung und ambitioniertere Zielsetzungen an.
„Die weiter angespannte wirtschaftliche Lage erfordert höchste Priorität für Wirtschaft und konkrete Entlastungsmaßnahmen. Die Landesregierung hat sich in den ersten 100 Tagen zu beidem bekannt, auch mit ersten Ergebnissen, wie den Erleichterungen der Vergabe. Um die Wirtschaftskraft unserer Region zu stärken, müssen nun schnell weitere sichtbare und wirksame Maßnahmen folgen. Die Unternehmen erwarten einen wirtschaftlichen Aufbruch mit klaren Impulsen beim Bürokratieabbau und der Beschleunigung von Verwaltungsprozessen, die Schaffung wettbewerbsfähiger Energiepreise, gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels. Zuvorderst ist eine Konsolidierung des Landeshaushaltes und der Abbau von Personal erforderlich zugunsten notwendiger Investitionen.“, Dr. Cornelia Haase-Lerch, Hauptgeschäftsführerin der IHK Erfurt
- 1. Bildung und Ausbildungsreife: Fortschritte bei der Bekämpfung des Unterrichtsausfalls erwartet
Die Maßnahmen zur Sicherung der Unterrichtsversorgung, insbesondere durch gezielte Ressourcensteuerung, Einstellungsgarantien und Flexibilisierungen, werden von der IHK Erfurt ausdrücklich begrüßt. Sie stärken die Ausbildungsreife und damit die Grundlage für die duale Ausbildung, ein Kernanliegen der IHK Erfurt.
Dennoch bleibt abzuwarten, inwiefern diese Maßnahmen auch tatsächlich zu einer Reduktion des Unterrichtsausfalls führen und somit den Übergang in die duale Ausbildung vereinfachen. - 2. Wirtschaftsdialoge: Vielversprechende Ansätze, konkrete Maßnahmen gefordert
Die Etablierung eines strukturierten „Pakts für Wachstum und Arbeitsplätze“ ist ein richtiger Schritt. Die Einbindung der IHK Erfurt in wirtschaftspolitische Abstimmungsprozesse ist essenziell. Auch die Wiederaufnahme des Automotive-Branchendialogs wird positiv bewertet.
Der Dialog allein reicht jedoch nicht – es braucht spürbare Standortverbesserungen, etwa bei Investitionsbedingungen, Infrastruktur und Innovationsförderung und eine notwendige Strategie und Maßnahmen für die Fortentwicklung der Automobil(zulieferer)industrie in der Region. - 3. Fachkräftestrategie: Fortschritt mit Umsetzungslücke
Die Einbindung neuer Partner und die Arbeit an Standards für Fachkräftezuwanderung sind wichtige Impulse. Auch die geplante Absicherung der Finanzierung von Meisterbonus und Meisterprämie wird positiv bewertet.
Die IHK Erfurt mahnt jedoch an, dass die festgelegten Standards (z. B. B2-Sprachniveau) noch nicht in der Praxis umsetzbar sind – etwa wegen fehlender Sprachkurse.Es besteht dringender Handlungsbedarf zur tatsächlichen Erschließung internationaler Fachkräftepotenziale, allen voran die Schaffung einer zentralen Ausländerbehörde zur Durchführung beschleunigter Fachkräfteverfahren. - 4. Bürokratieabbau und Vergaberecht: Positive Impulse, aber keine Trendwende
Die Erhöhung der Wertgrenzen im Vergaberecht wird als wichtiges Signal gewertet. Auch der Bürokratiemelder und die Paragrafenbremse sind erste Schritte.
Die IHK fordert jedoch ambitioniertere Zielmarken wie eine „One-in-Two-out“-Regel sowie eine Stärkung des Normenkontrollrates mit echter Wirkungskompetenz. Hier fehlt noch der konsequente politische Wille zur echten Entlastung der Wirtschaft. - 5. Verwaltungsmodernisierung: Gute Ansätze – der digitale Kulturwandel steht aus
Der digitale Bauantrag und die ELiA-Plattform im Immissionsschutz sind zukunftsweisend. Auch der Digitalbeirat, der Praxis- und Digitalcheck sowie die KI-Strategie bieten Potenzial.
Allerdings sieht die IHK Erfurt den geplanten Personalaufbau kritisch (z. B. zusätzliche Digitalstaatssekretärin und neue Abteilungsleitung mit hoher Besoldung). Ferner muss im Zusammenhang mit der Digitalisierung unbedingt auch eine Vereinfachung und Standardisierung der Verwaltungsverfahren einhergehen, um eine Beschleunigung zu ermöglichen. - 6. Landeshaushalt: Beschlossen, aber ohne wirtschaftspolitische Weichenstellung
Der Haushaltsbeschluss bringt Planungssicherheit, doch aus Sicht der IHK Erfurt wurde die Chance verpasst, notwendige strukturelle Weichen zu stellen.
Die Haushaltsstrukturkommission wird als Hoffnungsträger für künftige Konsolidierung, Investitionsoffensiven und klare Aufgabenkritik mit dem Ziel des effizienteren Personaleinsatzes gewertet. Die IHK Erfurt fordert explizit einen Rückzug des Staates aus nicht-notwendigen Bereichen, einen Stellenrückbau in der Landesverwaltung auf ein angemessenes Maß, eine effizientere Förderpolitik und mehr investive Ausgaben. - 7. Planungs- und Dateninfrastruktur gestärkt: Planungssicherheit, Netzzugang und angemessene Verfahrenslaufzeiten gewährleisten
Mit der Aufhebung des überholten Windenergieerlasses, dem Aufbau eines landesweiten Wärmekatasters sowie der Einrichtung eines Entsiegelungsfonds hat die Landesregierung wichtige Grundlagen zur Verbesserung der planerischen Rahmenbedingungen geschaffen.
Die IHK Erfurt begrüßt diese Schritte ausdrücklich, da sie zur Beschleunigung von Genehmigungsprozessen und datenbasierten Entscheidungsfindung beitragen. Gleichwohl ist für Unternehmen entscheidend, dass Planungssicherheit, Netzzugang und angemessene Verfahrenslaufzeiten gewährleistet sind. Die reine Bereitstellung von Daten oder Rechtsänderungen muss durch praxisnahe Unterstützungsangebote ergänzt werden, um Investitionen in Erneuerbare Energien und Standortentwicklungen tatsächlich zu beschleunigen. - 8. Impulse für Standortmarketing und Regionalentwicklung: Weitsicht erforderlich
Ansätze wie digitale Verkaufsstellen, die neue Landesmarke „Grünes Herz“ und die Ansiedlung der TeleVisionale sollen Impulse für ländliche Räume, Tourismusentwicklung und den Medienstandort Thüringen setzen.
Die IHK Erfurt begrüßt zielgerichtete Versorgungskonzepte in strukturschwachen Räumen und die Stärkung des Medienstandortes. Bei den digitalen Verkaufsstellen sollte jedoch dringend beachtet werden, dass diese den stationären Handel nicht verdrängen.
Fazit und wirtschaftspolitische Bewertung
Die Landesregierung hat in kurzer Zeit eine Vielzahl wirtschaftsrelevanter Initiativen angestoßen und damit erste wichtige Impulse gesetzt. Die IHK Erfurt erkennt Fortschritte bei Personalgewinnungskonzepten im Schulwesen, bei Dialogformaten, in der Digitalisierung der Verwaltung und in einzelnen Entbürokratisierungsschritten an. Gleichwohl müssen den Dialogen zeitnah konkrete weitere wirksame Schritte folgen.
Empfehlungen für weitere Schritte:
- Strukturelle Konsolidierung des Landeshaushalts und gezielte Investitionsausrichtung
- Fortführung des Bürokratieabbaus und Weiterentwicklung der Paragrafenbremse hin zu einer „One-in-Two-out“-Logik
- Konsequente Schritte in Richtung Beschleunigung, Digitalisierung und Standardisierung von Verwaltungsprozessen, vorrangig im Bereich von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie in der Fördermittelvergabe
- Fortschreibung der Fachkräftestrategie unter Berücksichtigung notwendiger Qualitätsstandards für die Anwerbung sowie Ausbau der Sprachangebote
- Stärkere Investitionsanreize zur Transformation der Wirtschaft, besonders im Energiebereich
Die IHK Erfurt steht bereit, die nächsten Schritte kritisch-konstruktiv zu begleiten – im Sinne eines starken und zukunftsfesten Wirtschaftsstandorts Thüringen.
Das Resümee der IHK Erfurt basiert auf einer fachlichen Bewertung der hauptamtlichen Interessenvertretung unter Einbezug der wirtschaftspolitischen Forderungen zur Landtagswahl 2024, den Forderungspapieren zum Landeshaushalt und zur Fachkräftesicherung sowie dem energiepolitischen Positionspapier der IHK Erfurt.