Forderungspapier zum Landeshaushalt
Die Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Erfurt hat am 24. April 2024 das folgende Forderungspapier beschlossen. Es bündelt die Interessen und Bedürfnisse unserer Mitgliedsunternehmen im Hinblick auf den Landeshaushalt Thüringens.
„Wir adressieren das, was in den letzten Jahren haushaltspolitisch nicht angegangen wurde, obwohl es notwendig gewesen wäre. Die regionale Wirtschaft fordert im Kern eine Konsolidierung des Landeshaushaltes, konsequente Personaleinsparungen, den Rückzug des Staates aus Bereichen der freien Wirtschaft, die Umschichtung hin zu investiven Ausgaben und einen neuen Anlauf zu einer Funktional- und Verwaltungsreform. Unsere Unternehmer erwarten zurecht, dass der Staat einen vernünftigen und sachgerechten Umgang mit den Haushaltsmitteln führt. Hohe, absehbare Pensionsverpflichtungen und eine derzeit konjunkturell schwache Situation in der Wirtschaft können mittel- und langfristig den Landeshaushalt belasten. Darauf muss sich der Freistaat unbedingt vorbereiten. So, wie es jetzt läuft, kann es nicht weitergehen.“, Dieter Bauhaus, Präsident der IHK Erfurt
- Forderung 1: Konsequente Konsolidierung des Haushalts
Wir fordern eine verantwortungsbewusste Haushaltspolitik, die durch ausgeglichene Budgets und gezielte Wirtschaftsinvestitionen Thüringens Produktivität steigert und Abhängigkeiten minimiert.Im Sinne einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik muss die künftige Landespolitik auf eine konsequente Konsolidierung des Landeshaushaltes hinwirken. Die Ausgaben dürfen die Einnahmen nicht überschreiten. Vor dem Hintergrund der aktuellen großen wirtschaftlichen Herausforderungen und der hohen Abhängigkeit Thüringens von Ausgleichszahlungen müssen künftige Haushalte verstärkt auf Maßnahmen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik zur Steigerung der Produktivität und der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und des Wirtschaftsstandortes ausgerichtet werden. Dazu gehören wichtige Investitionen und Impulse für wirtschaftliches Wachstum. Auch die konsequente Umsetzung der gesetzlichen Schuldenregelung sollte wieder Anwendung finden und Kreditschulden getilgt werden. Vor dem Verteilen steht immer das Erwirtschaften.
- Forderung 2: Rücklagen nur für Notlagen verwenden
Wir fordern die strikte Haushaltsdisziplin und effiziente Steuermittelverwendung, wobei Entnahmen aus der Haushaltsausgleichsrücklage ausschließlich für Notfälle und unvorhersehbare Ausgaben reserviert bleiben sollen, um die Konsolidierung zukünftiger Haushalte zu sichern.Entnahmen aus der Haushaltsausgleichsrücklage dürfen nur zu dafür vorgesehenen Anlässen, nämlich in Notlagen, erheblichen konjunkturellen Schwankungen, unvorhersehbaren Ausgaben oder starken Minderungen von Einnahmen, erfolgen. Eine Entnahme zur Deckung von regulär geplanten Ausgaben bzw. zur Finanzierung weiterer Ausgabenwünsche innerhalb der Haushaltspläne lehnen wir ab. Ferner stellen Festlegungen von globalen Minderausgaben oder Streckungen von Kredittilgungsverpflichtungen keine hinreichende Strategie zur notwendigen Konsolidierung zukünftiger Haushalte dar.
- Forderung 3: Sachgerechte und realistische Haushaltsaufstellung
Wir fordern eine sachgerechte und realistische Haushaltsaufstellung, die auf Erfahrungen basiert, Doppelstrukturen vermeidet und investive Ausgaben fördert, um Thüringen zukunftsfest zu gestalten und wirtschaftliches Wachstum zu sichern.Überzeichnete Förderprogramme oder nicht abgerufene Investitionsmittel belegen, dass die Haushaltspläne stärker auf Erfahrungen der vergangenen Haushaltsjahre basieren und realistischer veranschlagt werden müssen. Darüber hinaus muss der Haushaltsgesetzgeber darauf achten, den Aufbau von Doppelstrukturen zu vermeiden, Modellprojekte mit hohen Förderanteilen schneller in Selbstfinanzierung zu überführen und institutionelle Förderungen auf ihre Notwendigkeit zu überprüfen. Der Staat und seine landeseigenen Gesellschaften sollten sich aus den Aufgaben zurückziehen, die in Selbstverwaltung bzw. durch die freie Wirtschaft erledigt werden können. Ferner sollte die Landespolitik daran arbeiten, den Anteil investiver gegenüber konsumtiven Ausgaben zu erhöhen, um die Wirtschaft anzukurbeln, den Freistaat zukunftsfest aufzustellen und Sanierungsstau zu beseitigen
- Forderung 4: Effizienz bei Förderprogrammen erhöhen
Wir fordern mehr Wirtschaftlichkeit und Vereinfachung in Förderprogrammen, um unnötige Verwaltungskosten und Doppelstrukturen zu eliminieren und somit sowohl Unternehmen als auch den Landeshaushalt Thüringens zu entlasten.Zur Stärkung der Wirtschaftskraft sollte ein zielgerichteter und wirksamerer Einsatz von Fördermitteln erfolgen. Förderprogramme, bei denen unverhältnismäßig hohe Kosten entstehen und niedrige Effekte erzielt werden, müssen eingestellt werden. Insbesondere muss der Verwaltungsaufwand zur Steuerung von Förderprogrammen in einem deutlich positiven wirtschaftlichen Verhältnis zum avisierten Fördereffekt stehen. Unverhältnismäßig hohe Verwaltungskosten und Doppelstrukturen im Thüringer Förderregime sind unwirtschaftlich und führen im Ergebnis zu Unwirksamkeit. Beides gehört auf den Prüfstand und muss künftig vermieden werden.
- Forderung 5: Bedarfsgerechte Personalpolitik
Wir fordern eine solide Personalpolitik, die durch konsequenten Stellenabbau und fortschreitende Digitalisierung der Verwaltung unnötige Ausgaben reduziert und so zur Zukunftssicherung des thüringischen Haushalts beiträgt.Die Landesverwaltung muss einen ernsthaften Pfad des Stellenabbaus aufzunehmen, denn allein die Personalausgaben umfassen mehr als ein Viertel der Gesamtausgaben und stellen damit eine wichtige Stellschraube dar. Stellenabbau mindert Personalkosten und perspektivisch Pensionslasten für den Freistaat. Ferner müssen die Digitalisierung der Verwaltung weiter vorangetrieben und in diesem Zusammenhang Prozesse konsequent optimiert werden, sodass unnötige Personalausgaben durch digitalisierte und optimierte Verwaltungsverfahren abgebaut werden können. In Anbetracht weiter sinkender Einwohnerzahlen, einer absehbaren Ruhestandswelle der Landesbediensteten und der ohnehin bereits hohen Quote an Bediensteten des Landes im Verhältnis zur Einwohnerzahl würde ein solcher Pfad zur Zukunftssicherung künftiger Haushalte beitragen.
- Forderung 6: Sparsamkeit bei Verbeamtungen
Wir fordern eine rigorose Ausgabenkritik und die verantwortungsvolle Bildung von Pensionsrückstellungen, gepaart mit bedachten Verbeamtungen in kritischen Sektoren, um die finanzielle Belastung Thüringens nachhaltig zu steuern.Laut jüngstem Pensionsbericht des Thüringer Finanzministeriums werden sich die Pensionsansprüche, die zuletzt bei knapp über 400 Mio. Euro lagen, bis zum Jahr 2042 auf mehr als 1,2 Mrd. Euro verdreifachen, da über 28.000 Beamte in den Ruhestand gehen werden. Zukünftige Verbeamtungen müssen daher mit Augenmaß erfolgen und sollten insbesondere nur in ausgewählten, hoheitlich wichtigen Bereichen – wie Sicherheit und Bildung – vorgenommen werden.
- Forderung 7: Konsequente Aufgabenkritik und Abbau von Bürokratie
Wir fordern die Vereinfachung von Verwaltungsprozessen und einen konsequenten Bürokratieabbau, verbunden mit einer verstärkten Nutzung digitaler Technologien, um die Haushaltskonsolidierung Thüringens voranzutreiben und langfristig Ausgaben zu reduzieren.Jeder komplizierte Prozess und jede neue Bürokratie kosten Geld. Daher sind neue Gesetze mit Befristungen zu versehen, so dass die Möglichkeit besteht, diese nach Fristablauf auslaufen zu lassen. Mittelfristig müssen staatliche Aufgaben reduziert werden, um nachhaltig Ausgaben reduzieren zu können. Kriterien staatlich notwendiger Aufgaben und Standardabsenkungen in verschiedenen unternehmerischen Bereichen sollten daher künftig noch stärker berücksichtigt werden. Zudem muss eine konsequente Nutzung von digitalisierten Verfahren und Anwendungen Künstlicher Intelligenz auf den Weg gebracht werden.
- Forderung 8: Leistungsfähigkeit der Kommunen absichern
Wir fordern eine Neugestaltung der Funktional- und Verwaltungsreform, die durch umfassende Digitalisierung und Anlehnung an realwirtschaftliche Prozesse die Effizienz steigert und dem demographischen Wandel sowie dem Fachkräftemangel in Thüringens Verwaltungen Rechnung trägt.Die kleinteilige Thüringer Verwaltungsstruktur kostet nicht nur viel Geld, sondern ist vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung nicht mehr zeitgemäß. Komplexe Verwaltungsprozesse können in dieser Kleinteiligkeit nicht mehr in der gebotenen Schnelligkeit erledigt werden. Zudem fehlt zunehmend qualifiziertes Personal in den Verwaltungen. Mittels umfassender Digitalisierung können Verwaltungen Abläufe und Verfahren effizienter gestalten. Der Freistaat muss sich ernsthaft mit der Transformation und der Verbesserung von Schnittstellen der unterschiedlichen Verwaltungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene befassen.
Thematischer Sachstand
Der Landeshaushalt 2024 umfasst ein Gesamtvolumen von rund 13,5 Mrd. Euro. Erneut stieg damit das Haushaltsvolumen auf ein Rekordniveau (Vgl. Beginn der Legislatur 2019: 10,5 Mrd. Euro, d.h. Anstieg um fast 30 Prozent). Wesentlicher Treiber sind inflationsbedingte Preissteigerungen sowie Tarifsteigerungen für Bedienstete. Konsequente Einsparungen oder gar eine umfassende Ausgabenkritik der Landesregierung sind bisher nicht erfolgt. Der Altschuldenstand hat sich zuletzt durch die Aufnahme von Krediten zur Bewältigung der Pandemie- und Energiekrise erhöht und beläuft sich aktuell auf ca. 15,5 Mrd. Euro. Der Haushaltsgesetzgeber hat sich auf eine Tilgung in Form einer Reduktion in der Rücklagenentnahme geeinigt und entsprechend der „Schuldenbremse“ auf weitere Kreditaufnahmen verzichtet. Das strukturelle Haushaltsdefizit beläuft sich derzeit auf ca. 683 Mio. Euro.
Dadurch droht künftigen Landesregierungen ein hohes Finanzloch bei gleichzeitig geringen Rücklagen. Die zuletzt prosperierende Entwicklung der Steuereinnahmen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Finanzkraft des Freistaates unverändert niedrig bleibt und weiterhin eine hohe Abhängigkeit von Ausgleichszahlungen innerhalb des bundesstaatlichen Finanzausgleichs besteht. Im Jahr 2022 belegte Thüringen erneut den letzten Platz im Steuerkraftranking der Länder. Im Jahr 2022 betrug die Personalausgabenquote 27,1 Prozent – das waren 1,4 Prozent mehr als im Vorjahr.
Im Vergleich der Vollzeitäquivalente der Flächenländer je 10.000 Einwohner wies Thüringen 2021 nach dem Saarland den zweithöchsten Wert auf. Trotz mehrerer Rekordhaushalte in den letzten Jahren ist es nicht gelungen, notwendige Investitionen in die Zukunft des Landes vorzunehmen. Weiterhin besteht eine große Diskrepanz zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben. Letztere müssten deutlich erhöht werden, um den Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort gerecht zu werden. Allerdings sind die im Haushalt budgetierten Mittel für Investitionen an vielen Stellen nicht vollständig ausgeschöpft worden.