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Tarifierung von Waren im Außenhandel

Allgemeines

Das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung von Waren (HS-Abkommen) der Weltzollorganisation bildet die Grundlage der Kombinierten Nomenklatur (KN). Die KN ist ein systematisch aufgebautes Warenverzeichnis für den Außenhandel und schafft die Basis des EU-Zolltarifs.
Demnach ist jedes Handelsgut im grenzüberschreitenden Warenverkehr außerhalb der EU mit einer sogenannten Codenummer/Zolltarifnummer in der Zollanmeldung zu versehen. Für die Einfuhrseite erfolgt die Verschlüsselung der Warenbeschreibung auf der 11-stelligen Codenummer und im Bereich der Ausfuhr auf der 8-stelligen Zolltarifnummer/Kombinierten Nomenklatur. Auf Basis des Harmonisierten Systems sind die ersten 6-Stellen der Warenbezeichnungen und Zolltarifnummern prinzipiell weltweit einheitlich.
 Anhand von Codenummern/Zolltarifnummern für Waren bestimmen sich je nach Geschäftsrichtung (Einfuhr oder Ausfuhr) die Zölle, Steuern, Verbote und Handelsbeschränkungen (z. B. Exportkontrolle), Antidumpingregelungen, Ausgleichszölle, Genehmigungs- und Lizenzverfahren, Zollkontingente sowie Präferenzkalkulationen. Daher ist die korrekte Einreihung von Waren in den EU-Zolltarif im Handel mit Drittländern von großer Bedeutung.
Die Konsequenzen einer fehlerhaften Eintarifierung können vielseitig sein, wie  z. B. die Ausstellung von falschen Präferenznachweisen, die Nichtbeachtung von Ausfuhr­genehmigungspflichten oder die Ermittlung von unkorrekten Zollabgaben.

Rechtsgrundlagen

Die Rechtgrundlagen für die Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur bilden die Allgemeinen Vorschriften (AV) 1 bis 6 sowie die Abschnitts- und Kapitelanmerkungen in der jeweils gültigen Fassung der EG-Verordnung 2658/87.

Aufbau der Codenummer

 Das folgende Beispiel veranschaulicht den Aufbau der Codenummer für einen benzinbetriebenen, neuen Personenkraftwagen mit einem Hubraum von 1500 cm³.

Codenummer
förmliche Gliederung
87
Kapitel - Harmonisiertes System
8703
Position – Harmonisiertes System
870322
Unterposition-Harmonisiertes System
87032210
Kombinierte Nomenklatur / Zolltarifnummer
8703221000
TARIC
87032210000
Codenummer 
Bei der Ausfuhr des oben beschriebenen Personenkraftwagens müsste die 8-stellige Zolltarifnummer 87032210 in der Ausfuhranmeldung angegeben werden. Im Rahmen einer Einfuhr ist die 11-stellige Codenummer 87032210000 in der Einfuhrzollanmeldung zu verwenden.

Tarifierungsstruktur


Stoff- und Zweckkapital
Die Kombinierte Nomenklatur, die in 21 Abschnitte und 97 Kapitel unterteilt ist, fasst grundsätzlich ähnliche Waren in dieselben Bereiche zusammen. Die Kapitel sind in zwei weitgefassten „Stoff-“ oder „Zweck-“ Gruppierungen angelegt.

Die Stoff-Kapitel sind:
  • 1 bis 63 und 67 bis 83.
Die Zweck-Kapitel sind:
  • 64 - 66 und 84 - 97.

Beispiele für diese zwei Gruppierungen stellen die Kapitel 39 und 84 dar. Kapitel 39 umfasst „Kunststoffe und Waren daraus“ - stoffbezogene Waren. Kapitel 84 umfasst „Kernreaktoren, Kessel, Maschinen, Apparate und mechanische Geräte und Teile davon“ - zweckbezogene Waren. Es ist Tarifierungspraxis, dass die zweckbezogenen Kapitel in der Tarifierungshierarchie grundsätzlich Vorrang zu den stoffbezogenen Kapiteln haben. Hierdurch wird gewährleistet, dass die Ware, die tarifiert wird, im Vordergrund steht und nicht deren stoffliche Beschaffenheit. Auf diese Weise werden Waren einheitlich in die KN eingereiht.

Ein Beispiel in diesem Zusammenhang stellen Carbon-Elektroden, die namentlich von Kapitel 85 erfasst sind und nicht nach der stofflichen Beschaffenheit eingereiht werden, dar. Bei der Einreihung nach stofflicher Beschaffenheit kämen unter anderem die Kapitel 68 und 25 der KN in Frage. Somit wäre keine einheitliche Tarifierungspraxis für ein und dieselbe Ware aus unterschiedlichen Stoffen gewährleistet.

Abschnitts- und Kapitelanmerkungen
Neben den Allgemeinen Vorschriften 1 - 6 spielen die Abschnitts- und Kapitelanmerkungen im Rahmen der Tarifierung eine zentrale Rolle. Sie bestimmen Tarifierungsanwendungen indem sie Hinweise zu Ausschluss-, Einschluss, Erweiterungs- und Einschränkungsklauseln beinhalten. Zusätzlich definieren die Abschnitts- und Kapitelanmerkungen Positionen (ersten 4 Stellen der Zolltarifnummer), Unterposition (ersten 6 Stellen der Zolltarifnummer) und Wörter. Des Weiteren werden durch sogenannte „zusätzliche Anmerkungen“ Begrifflichkeiten auf der 8-stelligen Zolltarifnummer erläutert. Diese Hinweise beziehen sich auf das EU-Recht. Die zuvor genannten Kapitel- und Abschnittsanmerkungen resultieren vom Harmonisierten System. Sie haben also weltweite Gültigkeit bei Abkommensstaaten.

Die Anmerkungen stellen eine der häufigsten Fehlerquellen bei der Tarifierung von Waren dar. Sie werden oft nicht berücksichtigt, obwohl mit Ausnahme der Kapitel 50 und 53 alle anderen Kapitel der KN bedeutende Tarifanmerkungen neben den zusätzlich bestehenden Abschnittsanmerkungen beinhalten. Die Abschnittsanmerkungen umfassen grundsätzlich alle Kapitel, die von diesem Bereich erfasst sind. Kapitelanmerkungen haben lediglich ihre Geltung in diesem einen Kapitel. Allerdings gibt es keine Regel ohne Ausnahmen. Zahlreiche Abschnitts- und Kapitelanmerkungen in der Kombinierten Nomenklatur haben ihre Geltung über die gesamte KN. Ein Beispiel hierzu ist die Anmerkung 2a zu Abschnitt XV, welche Teile der allgemeinen Verwendungsart in der KN definiert und beschreibt wie diese Waren stets eintarifiert werden müssen. So sind Schrauben aus Eisen oder Stahl als Exempel unabhängig von ihrer Verwendungsart stets in die HS-Position 7318 einzutarifieren. Insbesondere führen Regelungen wie diese in der Tarifierungspraxis häufig zu Schwierigkeiten, da sich die Tarifierungshinweise in Abschnitten oder Kapiteln befinden können, die im Rahmen der Klassifizierung nicht in Betracht gezogen werden.

Führungs-Strich-System
Das Führungs-Strich-System gliedert die einzelnen Tarifierungsstufen in der KN. Es soll dazu dienen, dass nach der Festlegung der HS-Position im weiteren Verlauf der Tarifierung ein Vergleich lediglich auf derselben Tarifierungshierarchie erfolgt. In diesem Zusammenhang ermöglicht das Führungs-Strich-System neben der vordefinierten systematischen Vorgehensweise auch die einfache Verarbeitung der Informationen aus den unterschiedlichen Strukturebenen. Die verschiedenen Tarifierungsebenen werden wie folgt abgebildet: 
  • 5-stellige HS-Unterposition mit einem Führungs-Strich
  • 6-stellige HS-Unterposition mit zwei Führungs-Strichen
  • 7-stellige Zolltarifnummer mit drei Führungs-Strichen
  • 8-stellige Zolltarifnummer mit vier Führungs-Strichen
Zum Beispiel scheint die Tarifierung eines Baseballschlägers nach der Festlegung der HS-Position 9506 aufgrund der vielen Informationen/Untergliederungen sehr komplex zu sein. Allerdings können die abgebildeten Informationen nach den Tarifierungsstufen systematisch abgearbeitet werden. Im Rahmen des folgenden Beispiels sind die unterschiedlichen Ebenen mit verschiedenen Farben hervorgehoben.

Tarifierung eines Baseballschlägers
 
9506
Geräte und Ausrüstungsgegenstände für die allgemeine körperliche Ertüchtigung, Gymnastik, Leicht- und Schwerathletik, andere Sportarten (einschließlich Tischtennis) oder Freiluftspiele, in diesem Kapitel anderweit weder genannt noch inbegriffen; Schwimm- und Planschbecken
–  Ski und Skiausrüstungen für den Wintersport
9506 11
– –  Ski
9506 11 10
– – –  Langlaufski
– – –  Ski für den alpinen Skilauf
9506 11 21
– – – –  Monoski und Snowboards
9506 11 29
– – – –  andere
9506 11 80
– – –  andere Ski
9506 12 00
– –  Skibindungen
9506 19 00
– –  andere
–  Wasserski, Surfbretter, Windsurfer und andere Ausrüstungen für den Wassersport
9506 21 00
– –  Windsurfer
9506 29 00
– –  andere
–  Golfschläger und andere Golfausrüstungen
9506 31 00
– –  vollständige Golfschläger
9506 32 00
– –  Bälle
9506 39
– –  andere
9506 39 10
– – –  Teile von Golfschlägern
9506 39 90
– – –  andere
9506 40 00
–  Geräte und Ausrüstungen für Tischtennis
–  Tennis-, Federball- oder ähnliche Schläger, auch ohne Bespannung
9506 51 00
– –  Tennisschläger, auch ohne Bespannung
9506 59 00
– –  andere
–  Bälle, ausgenommen Golf- und Tischtennisbälle
9506 61 00
– –  Tennisbälle
9506 62 00
– –  aufblasbare Bälle
9506 69
– –  andere
9506 69 10
– – –  Kricket- und Polobälle
9506 69 90
– – –  andere
9506 70
–  Schlittschuhe und Rollschuhe, einschließlich Stiefel mit fest angebrachten Roll- oder  Schlittschuhen
9506 70 10
– –  Schlittschuhe
9506 70 30
– –  Rollschuhe
9506 70 90
– –  Teile und Zubehör
–  andere
9506 91
– –  Geräte und Ausrüstungsgegenstände für die allgemeine körperliche Ertüchtigung, Gymnastik oder Leicht- und Schwerathletik
9506 91 10
– – –  Übungsgeräte mit Systemen zum Einstellen unterschiedlicher Belastungen
9506 91 90
– – –  andere
9506 99
– –  andere
9506 99 10
– – –  Kricket- und Poloausrüstungen, ausgenommen Bälle
9506 99 90
– – –  andere

Da Baseballschläger nicht in einer der fett markierten 5-stelligen HS-Unterpositionen namentlich genannt werden, ist die korrekte Tarifierung im Bereich „andere - 95069“ in dieser Stufe. Im Bereich „andere“ werden alle nichtgenannten Waren auf dieser Tarifierungsstufe aufgegriffen. Unter der nächsten 6-stelligen HS-Unterpositionsebene ist eine weitere Auswahl zu treffen, ob der Baseballschläger als „Ausrüstungsgegenstände für die allgemeine körperliche Ertüchtigung, Gymnastik oder Leicht- und Schwerathletik“ oder als „andere“ einzutarifieren ist. Baseballschläger sind nicht Ausrüstungsgegenstände für die allgemeine körperliche Ertüchtigung, Gymnastik oder Leicht- und Schwerathletik und werden deshalb auch auf dieser Tarifierungsebene wieder dem Bereich „andere - 950699“ zugeordnet. Für die weitere Tarifierungsebene muss eine Auswahl zwischen „Kricket- und Poloausrüstungen, ausgenommen Bälle“ und wiederholt dem Bereich „andere“ erfolgen. Baseballschläger fallen nicht unter den Bereich Kricket- und Poloausrüstungen, deshalb ist die korrekte Eintarifierung der Bereich „andere - 9506999“. Da es keine weitere Untergliederung auf der 8-stelligen Ebene gibt, wird die 8-Stelle mit einer „0“ ergänzt. Somit werden Baseballschläger unter der Zolltarifnummer 95069990 eingereiht.

Tarifierungsprozess

 Der Tarifierungsprozess besteht im Wesentlichen aus zwei Stufen. Die erste Stufe betrifft stets die Identifizierung der Ware, welche in die KN eintarifiert werden soll. Der zweite Schritt im Tarifierungsprozess ist die Anwendung der Allgemeinen Vorschriften 1 - 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur. Diese zwei grundlegenden Prinzipien können zu einem 5-stufigen Prozessschema wie folgt ausgeweitet werden:
  • Identifizierung der Ware
  • Ermittlung und Auswahl der KN-Bereiche, Abschnitte und Kapitel, von denen die Ware erfasst sein kann
  • Ermittlung und Auswahl der möglichen HS-Positionen in den zuvor bestimmten Bereichen
  • Eintarifierung der Ware auf der 4-stelligen HS-Positionsebene unter Berücksichtigung der Abschnitts- und Kapitelanmerkungen
  • Eintarifierung der Ware auf der 8-stelligen KN-Ebene unter Berücksichtigung der Abschnitts- und Kapitelanmerkungen
Identifizierung der Ware
Die Identifizierung einer Ware ist ein schwieriger und enorm wichtiger Bestandteil der Tarifierungspraxis, weil die weiteren Schritte in der Tarifierung auf dieser initialen Einstufung aufbauen. Die KN und deren Rechtsgrundlagen beinhalten keine offiziellen Anwendungshinweise für diesen Prozess, so dass es oft zu subjektiven Fehleinschätzungen kommt. Die Folge ist eine fehlerhafte Einreihung.

Allerdings können ein paar grundlegende Leitsätze angewandt werden, damit eine objektive Warenidentifikation erfolgen kann. Zum einen sollte die Ware im Rahmen der Beschreibungen der KN und zum anderen außerhalb der Strukturen der KN identifiziert werden. Durch diesen Doppelprozess können subjektive Entscheidungstatbestände minimiert und der als häufig sehr komplex empfundene Bereich angeordnet werden.

Für die Identifizierung der Ware außerhalb der KN sollten im Rahmen von Tarifierungen folgende Fragen berücksichtigt werden:
  • Um was für eine Ware handelt es sich?
  • Welche Funktion hat die Ware?
  • Wie führt die Ware ihre Funktion aus?
  • Aus welchen Bestandteilen setzt sich die Ware zusammen?
  • Wer kauft, verkauft und verwendet die Ware?
  • In welcher Form wird die Ware importiert?
  • Wie ist die Ware verpackt?

Ermittlung und Auswahl der möglichen KN-Bereiche
Nach dem Prozess der Warenidentifizierung sind diese Informationen in die Systematik der KN umzusetzen. Hierzu ist die Ermittlung und Auswahl der möglichen KN-Bereiche, von denen die Ware erfasst sein kann, von Bedeutung. Deshalb sollten alle erdenklichen Abschnitte und Kapitel der Kombinierten Nomenklatur in dieser Phase der Tarifierung berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang ist es natürlich wichtig, Kenntnis über die Inhalte der KN zu haben. Das Inhaltsverzeichnis der KN kann hierbei als gutes Hilfsmittel genutzt werden. Voreilige Ausschlüsse von Bereichen können im weiteren Prozess nicht mehr korrigiert werden. Zusätzlich sollten die folgenden drei Kapitel stets berücksichtigt werden, da viele Waren von diesen Sammelkapiteln erfasst sind, die aber nicht auf den ersten Blick diesen Bereichen zugeordnet werden.

  • Kapitel 42 umfasst unter anderem Lederwaren, Sattlerwaren, Reiseartikel, Handtaschen, und ähnliche Behältnisse und Waren aus Därmen.
  • Kapitel 83 beinhaltet verschiedene Waren aus unedlen Metallen, wie z. B. Schlösser, Beschläge, aber auch Haken und Ösen.
  • Kapitel 96 enthält unter dem Titel „verschiedene Waren“, die sowohl vom Zweck als auch von der stofflichen Beschaffenheit sehr verschieden sind. Beispiele sind Reisezusammenstellungen zur Körperpflege, Reißverschlüsse, Farbstifte, Datumstempel sowie Babywindeln.

Ermittlung und Auswahl der möglichen HS-Positionen
In dieser Tarifierungsstufe sind die HS-Positionen aus den vorausgewählten Abschnitten oder Kapiteln zu ermitteln. Bei der Bestimmung sollte die Beschreibung der Ware, der Zweck, die stoffliche Beschaffenheit und die Art des Importzustandes (z. B. zerlegt oder unvollständig) berücksichtigt werden. Nach dieser Voreinstufung der Ware auf unterschiedliche HS-Positionen kommt im nächsten Schritt die erstmalige Anwendung der Allgemeine Vorschrift 1 zu tragen, damit die korrekte Tarifierung auf den ersten vier Stellen (HS-Position) der Zolltarifnummer erfolgen kann.

Eintarifierung auf HS-Positionsebene
Gemäß der Allgemeinen Vorschrift 1 sind für die Einreihung von Waren in die HS-Positionsebene lediglich der Wortlaut der HS-Positionen und die entsprechenden Abschnitts- und Kapitelanmerkungen von Bedeutung. Dieser Grundsatz gilt, soweit in den HS-Positionen, in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln sowie in den nachstehenden Allgemeinen Vorschriften 2 - 5 (besondere Tarifierungsfälle) nichts anderes bestimmt ist. Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel dienen hierbei nur als Hinweise und stellen somit keine rechtliche Grundlage im Rahmen der Tarifierung dar.
Eintarifierung auf KN-Ebene
Die Allgemeine Vorschrift 6 ist die Erweiterungsvorschrift der Allgemeinen Vorschrift 1. Waren, die aufgrund von der Allgemeinen Vorschrift 1 in eine HS-Position eingereiht wurden, sind auf Grundlage der AV 6 weiter in die HS-Unterposition einzureihen. Maßgebend für die Einreihung von Waren in die HS-Unterposition einer HS-Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und die vorstehenden Allgemeinen Vorschriften 2 - 5. Soweit in den Unterpositionen und Unterpositions-anmerkungen nichts anderes bestimmt ist, gelten die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln bei dieser AV ebenfalls. In dieser Vorschrift wird zusätzlich auf eine bedeutende Grundregel hingewiesen, dass ein Vergleich der HS-Unterpositionen lediglich auf derselben Hierarchiestufe (Führungs-Strich-System) zu erfolgen hat. Die Regelungen der AV 6 werden auch für Einreihungen von Waren auf die siebte und achte Stelle – KN-Ebene – analog angewendet.
Beispiel
Zur praktischen Veranschaulichung der fünf Stufen des Tarifierungsprozesses folgt ein Beispiel für die Einreihung einer Sporttasche. 
Identifizierung der Ware
Innerhalb des Identifikationsprozesses können folgende Merkmale der Sporttasche festgestellt werden:
  • Die Funktion ist das Tragen von Sportartikeln
  • Die Sporttasche besteht aus gewebtem Baumwollmaterial
  • Sie hat sportliche Motive an den Seiten
  • Begleitdokumente weisen auf eine sportliche Nutzung zum Tragen von Sportartikeln, wie Schuhe, T-Shirts und etc. hin 
Ermittlung und Auswahl der möglichen KN-Bereiche
Im Rahmen der Ermittlung und Auswahl der möglichen KN-Bereiche kommen folgende Kapitel in Frage:
  • Kapitel 42 erfasst Reiseartikel und ähnliche Behältnisse
  • Kapitel 52 erfasst Baumwolle
  • Kapitel 62 erfasst gewebte Kleidung und Bekleidungszubehör
  • Kapitel 63 erfasst andere konfektionierte Spinnstoffwaren
  • Kapitel 95 erfasst unter anderem Sportgeräte sowie Teile und Zubehör
Die Sammelkapitel 83 und 96 sollten im Rahmen der Erstermittlung ebenfalls berücksichtigt werden.
Die Kapitel 52 und 62 können nach einer Prüfung eliminiert werden. Kapitel 52 erfasst nur Baumwolle und nicht Baumwollartikel. Kapitel 62 beinhaltet ausschließlich Kleidung und Bekleidungszubehör. Die Sammelkapitel 83 und 96 können ebenfalls für die weiteren Tarifierungsschritte eliminiert werden, da deren Inhalte nicht relevant sind.
Ermittlung und Auswahl von möglichen HS-Positionen
Für die Einreihung der Sporttasche kommen folgende HS-Positionen in Betracht:
  • 4202 für Reiseartikel und ähnliche Behältnisse
  • 6307 für andere konfektionierte Waren und
  • 9506 für Geräte und Sportausrüstungen
Eintarifierung der Ware auf HS-Positionsebene
Nach der Vorausauswahl von möglichen HS-Positionen ist die Allgemeine Vorschrift Nummer 1 zur Anwendung zu bringen, damit die korrekte Einreihung in die entsprechende HS-Position erfolgen kann. Im Rahmen der Analyse der Abschnitts- und Kapitelanmerkungen werden Sporttaschen durch die Anmerkung 1d von Kapitel 95 von der HS-Position 4202 ausgeschlossen. Somit ist die Position 9506 in der weiteren Tarifierung nicht zu berücksichtigen. Zusätzlich schließt die Anmerkung 1i von Abschnitt XI, welche auch Kapitel 63 beinhaltet, Waren aus Spinnstoffen der HS-Position 4202 aus diesem Abschnitt aus. Als Gegenkontrolle ist der Wortlaut „Taschen für Sportartikel“ in der HS-Position 4202 zu finden. Somit ist die Sporttasche gemäß der Allgemeinen Vorschrift 1 unter der HS-Position 4202 einzureihen.
Eintarifierung der Ware auf der KN-Ebene
Die Eintarifierung der Sporttasche in die Kombinierte Nomenklatur wird anhand der HS-Position 4202 abgebildet. Die einzelnen Tarifierungsschritte von der HS-Position zur HS-Unterposition und von der HS-Unterposition zur 8-stelligen Kombinierten Nomenklatur sind fett markiert. 
4202
Reisekoffer, Handkoffer, Kosmetikkoffer und Aktenkoffer, Aktentaschen, Schultaschen, Brillenetuis, Etuis für Ferngläser, Fotoapparate, Filmkameras, Musikinstrumente oder Waffen und ähnliche Behältnisse; Reisetaschen, Isoliertaschen für Nahrungsmittel oder Getränke, Toilettentaschen (Necessaires), Rucksäcke, Handtaschen, Einkaufstaschen, Brieftaschen, Geldbörsen, Kartentaschen, Zigarettenetuis, Tabakbeutel, Werkzeugtaschen, Taschen für Sportartikel, Schachteln für Flakons oder Schmuckwaren, Puderdosen, Besteckkästen und ähnliche Behältnisse, aus Leder, rekonstituiertem Leder, Kunststofffolien, Spinnstoffen, Vulkanfiber oder Pappe, oder ganz oder überwiegend mit diesen Stoffen oder mit Papier überzogen:
– Reisekoffer, Handkoffer, Kosmetikkoffer und Aktenkoffer, Aktentaschen, Schultaschen und ähnliche Behältnisse:
4202 11
– – mit Außenseite aus Leder oder rekonstituiertem Leder:
4202 11 10
– – – Aktenkoffer, Aktentaschen, Schultaschen und ähnliche Behältnisse
4202 11 90
– – – andere
4202 12
– – mit Außenseite aus Kunststoff oder aus Spinnstoffen:
– – – aus Kunststofffolien:
4202 12 11
 – – – – Aktenkoffer, Aktentaschen, Schultaschen und ähnliche Behältnisse
4202 12 19
– – – – andere
4202 12 50
– – – aus formgepresstem Kunststoff
4202 12 99
– – – aus anderen Stoffen, einschließlich Vulkanfiber:
4202 12 91
– – – – Aktenkoffer, Aktentaschen, Schultaschen und ähnliche Behältnisse
4202 19
– – andere:
4202 19 10 
– – – aus Aluminium
4202 19 90 
– – – aus anderen Stoffen
– Handtaschen, auch mit Schulterriemen, einschließlich solche ohne Handgriff:
4202 21 00 
– – mit Außenseite aus Leder oder rekonstituiertem Leder
4202 22
– – mit Außenseite aus Kunststofffolien oder Spinnstoffen:
4202 22 10 
– – – aus Kunststofffolien
4202 22 90 
– – – aus Spinnstoffen
4202 29 00 
– – andere
– Taschen- oder Handtaschenartikel:
4202 31 00
– – mit Außenseite aus Leder oder rekonstituiertem Leder
4202 32
– – mit Außenseite aus Kunststofffolien oder Spinnstoffen:
4202 32 10 
– – – aus Kunststofffolien
4202 32 90 
– – – aus Spinnstoffen
4202 39 00 
– – andere
– andere:
4202 91
– – mit Außenseite aus Leder oder rekonstituiertem Leder:
4202 91 10 
– – – Reisetaschen, Toilettentaschen (Necessaires), Rucksäcke und Taschen für Sportartikel
4202 91 80 
– – – andere
4202 92
– – mit Außenseite aus Kunststofffolien oder Spinnstoffen:
– – – aus Kunststofffolien:
4202 92 11
– – – – Reisetaschen, Toilettentaschen (Necessaires), Rucksäcke und Taschen                               für Sportartikel
4202 92 15
– – – – Behältnisse für Musikinstrumente
4202 92 19
– – – – andere
– – – aus Spinnstoffen:
4202 92 91
– – – – Reisetaschen, Toilettentaschen (Necessaires), Rucksäcke und                               Taschen für Sportartikel
4202 92 98
– – – – andere
4202 99 00
– – andere
Da in den 5-stelligen HS-Unterpositionen (1-Führungs-Strich) keine der Warenbeschreibungen auf die Sporttaschen zutreffend ist, erfolgt die Einreihung anhand der sogenannten Unterposition „andere“. HS-Positionen „andere“ stellen Catch-All-Tatbestände dar. Sie kommen dann zum Einsatz, wenn die Warenbeschreibungen auf die zu tarifierende Ware nicht zutreffen.
Im weiteren Schritt ist für die 6-stellige HS-Unterposition (2-Führungs-Striche) eine Auswahl zwischen Taschen mit einer Außenseite aus Leder oder rekonstituiertem Leder oder Taschen mit einer Außenseite aus Kunststofffolien oder Spinnstoffen zu treffen. Im Rahmen der Warenidentifikation wurde ermittelt, dass die Sporttasche aus gewebtem Baumwollmaterial besteht. Die Eingliederung erfolgt in der HS-Unterposition. 420292. Für die 7-stellige KN (drei Führungs-Striche) ist eine weitere Auswahl zwischen den Untergliederungen Kunststofffolien und Spinnstoffen zu machen. Da die Sporttasche aus Spinnstoffen (Baumwolle) besteht, ist sie dieser KN zuzuordnen. Im letzten Schritt ist eine Bestimmung zwischen Reisetaschen, Toilettentaschen, Rucksäcken und Taschen für Sportartikel und zwischen der Catch-All-KN „andere“ zu treffen. Da im Wortlaut der KN die Taschen für Sportartikel explizit aufgeführt sind, ist die Sportasche der Zolltarifnummer 42029291 (vier Führungs-Striche) zuzuweisen.
Rund 95 Prozent der Tarifierungen erfolgen unter den Anwendungen der AV 1 und 6. Ist es hingegen aufgrund von besonderen Umständen nicht möglich, Waren im Rahmen dieser Vorschriften einzureihen, so sind die Allgemeinen Vorschriften 2 - 5 in der entsprechenden Reihenfolge anzuwenden.
Die Allgemeinen Vorschriften AV 2 – 5
Die Allgemeinen Vorschriften 2 - 5 kommen bei bestimmten Tarifierungsumständen zum Einsatz. Der 5-stufige Einreihungsprozess wird durch die Anwendung dieser Spezialvorschriften nicht beeinträchtigt. Die AV 2 - 5 kommen nur zur Anwendung wenn in der jeweiligen Vorstufe kein Einreihungsergebnis ermittelt werden kann.
Allgemeine Vorschrift 2
Die Allgemeine Vorschrift 2 ist in zwei Teilbereiche 2a und 2b eingeteilt. Sie findet Verwendung bei der Ermittlung von HS-Positionen für:
  • unvollständige Waren (2a)
  • unfertige Waren (2a)
  • zerlegte Waren (2a)
  • noch nicht zusammengesetzten Waren (2a)
  • Warenmischungen und (2b)
  • Waren aus unterschiedlichen Stoffen. (2b) 
AV 2a
Die AV 2a weitet die Anwendung der Wortlaute der HS-Positionen aus. Somit können grundsätzlich Waren, welche die vorgenannten Kriterien erfüllen, ebenfalls wie eine vollständige, fertige, montierte oder zusammengesetzte Waren eintarifiert werden. Wichtig für die Umsetzung der Vorschrift ist, dass Waren, die unter der Anwendung dieser Regelung eingereiht werden sollen, die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale einer vollständigen, fertigen, montierten oder zusammengesetzten Ware haben müssen. Der Aspekt des „wesentlichen Beschaffenheitsmerkmales“ stellt in der Tarifierungspraxis eine Grauzone dar. Dieser Punkt wird häufig als sehr schwierig empfunden, da es eine subjektive Einschätzung ist. Zusätzlich kann in diesem Zusammenhang auch keine prinzipielle Faustregel erstellt werden, da jeder Einzelfall in sich selber betrachtet werden muss. Bei derartigen Fällen ist es stets ratsam Rücksprach mit Experten zu halten.

AV 2b
Die AV 2b beschreibt lediglich die Vorgehensweise bei Warenmischungen und bei Waren, die aus unterschiedlichen Stoffen bestehen. Die AV 2b gibt keine Antwort auf die Tarifierungsfrage, sondern lotst den Tarfierer für die Anwendung der AV 3.

Anwendungsbeispiele AV 2a
Tarifierungsgestand in unserem ersten Exempel ist ein Kugelschreiber, der grundsätzlich von der HS-Position 9608 als Fertigware erfasst ist. Dem Kugelschreiber in unserem Beispiel fehlt der Namensdruck. Somit ist das Schreibwerkzeug unvollständig. Zusätzlich fehlt die Kappe dem Kugelschreiber und stellt zugleich eine unfertige Ware dar. Des Weiteren ist der Kugelschreiber für einen avisierten Exportvorgang in einem noch nicht zusammengesetzten Zustand und soll in dieser Form aus verpackungstechnischen Gründen durchgeführt werden.
Nun stellt sich für den Exporteur die Frage, unter welcher HS-Position der Kugelschreiber einzureihen ist?
Damit der Kugelschreiber im Rahmen der AV 2a in die entsprechende HS-Position 9608 für Kugelschreiber eintarifiert werden kann, muss er im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale einer Fertigware aufweisen.

Erfüllt der Kugelschreiber im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der Fertigware?
In dem aufgeführten Beispiel ist es sehr naheliegend, dass der Kugelschreiber die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines fertigen und vollständigen Schreibers erfüllt und dadurch in die HS-Position 9608 eingereiht wird. Tatbestände wie zerlegt oder noch nicht zusammenmontiert beeinflussen nicht die Einreihung einer Ware. Im weiteren Schritt müsste der Kugelschreiber unter der Anwendung der AV 6 in die HS-Unterposition und in die KN eingereiht werden.

Wie würde die Einreihung bewertet werden, wenn die Mine des Kugelschreibers fehlen würde?
In diesem Fall ist es sehr wahrscheinlich, dass die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale nicht vorliegen und somit alle Einzelteile in die KN gesondert eingereiht werden müssen.

Wie würde die Einreihung bewertet werden, wenn die Feder fehlen würde?
Unter diesen Voraussetzungen ist es naheliegend zu behaupten, dass die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale einer Fertigware vorliegen, obwohl die Funktionalität ebenfalls wie in der vorgenannten Konstellation nicht gegeben ist. Positive oder negative Funktionalität ist nicht als das allentscheidende Kriterium zu bewerten. Jeder Tarifierungsfall ist gesondert zu beachten.

Anwendungsbeispiele AV 2b
Das nächste Beispiel betrifft eine Warenmischung aus Weizen und Hafer. Gesondert betrachtet, fällt Weizen unter die HS-Position 1001 und Hafer unter die HS-Position 1004. Da in derartigen Mischkonstellationen mehr als nur eine HS-Position in Frage kommt, kann die Tarifierung nicht im Rahmen der AV 2b stattfinden. Die Tarifierung von Mischungen erfolgt unter der Anwendung der AV 3.

Das nächste Beispiel bezieht sich auf Waren, die aus unterschiedlichen Stoffen bestehen. Solch ein Exempel stellt eine mit Zinn verzierte Fruchtschale aus Glas dar. Glaswaren zur Verwendung an Tischen werden in die HS-Position 7013 eingereiht. Sogenannte „andere“ Waren aus Zinn werden in der HS-Position 8007 zugeordnet. Bei Waren, die aus verschiedenen Stoffen bestehen, kommen ebenfalls mehr als nur eine HS-Position in Betracht. Somit ist eine Einreihung in die HS-Position nach den Vorgaben der AV 2b wiederholt nicht möglich. Im nächsten Verfahrensschritt muss hierdurch die AV 3 berücksichtigt werden.

Allgemeine Vorschrift 3
Die Allgemeine Vorschrift 3 ist in drei Teilbereiche 3a, 3b und 3c unterteilt und in der genannten Reihenfolge anzuwenden. Sie kommt bei Waren zum Einsatz, die aufgrund der vorstehenden Vorschrift, AV 2b oder aus einem anderen Grund, nicht in eine einzige HS-Position zugeordnet werden konnten. Begründet kann die Anwendung dieser Vorschrift z.  B. sein, wenn es sich bei den Waren um Sets (Beauty-Sets) oder zusammengesetzte Waren (ein Stift mit einem integrierten Rechner) handelt beziehungsweise mehrere Warenbeschreibungen von unterschiedlichen HS-Positionen zutreffend sind.
AV 3a
Die AV 3a schreibt vor, dass HS-Positionen mit einer genaueren Warenbezeichnung Vorrang zu HS-Positionen haben, die allgemeiner gehalten sind. Zwei oder mehrere Positionen, von denen sich jede

  • nur auf ein Teil der in einer gemischten oder zusammengesetzten Ware enthaltenen Stoffe oder
  • nur auf einen oder mehrere Bestandteile für einen für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzusammenstellung bezieht,

werden im Hinblick auf diese Waren als gleich genau betrachtet. Dies ist auch der Fall, wenn eine von diesen eine genauere oder vollständigere Warenbezeichnung enthält.
Anwendungsbeispiele für die AV 3a:
Sicherheitsgläser, gehärtet und laminiert, für Luftfahrzeuge werden durch den genaueren Wortlaut der Position in die HS-Position 7007 eingereiht, da die HS-Position 8803 lediglich eine allgemeine Warenbeschreibung für Teile von Luftfahrzeugen beinhaltet.
Ein Beauty-Set, vorbereitet für den Einzelverkauft, mit einer Seife (HS-Position 3401), einem Beutel Badesalz (HS-Position 3307) und einem Waschlappen (HS-Position 6302) kann nicht im Rahmen der Vorgaben der AV 3a eingereiht werden, da die einzelnen HS-Positionen und deren Warenbeschreibungen als genau gleich gewertet werden müssen. In derartigen Zusammenstellungen ist die AV 3b zur Anwendung zu bringen.
AV 3b
Die AV 3b gibt vor,
  • dass Mischungen,
  • Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen sowie
  • Warenzusammenstellungen, die für den Einzelverkauf aufgemacht sind 
und nicht nach der AV 3a eingereiht werden können, nach dem Stoff oder Bestandteil einzutarifieren sind, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestanteil ermittelt werden kann.
Dies ist nach der AV 2a die zweite Vorschrift, die eine Regelung zum wesentlichen Charakter eine Ware enthält und so der für die Einreihung der ausschlaggebende Faktor ist. Wie bereits erläutert, ist die Auslegung des wesentlichen Charakters einer Ware oft subjektiv und somit eine Grauzone in der Tarifierung. Entscheidend ist allerdings die Auffassung der Zollverwaltung als hierfür zuständige Behörde. Mögliche Auslegungsgründe für einen wesentlichen Charakter können unter anderem Wertigkeiten oder Gewichtsverhältnisse von Stoffen oder Bestandteilen sowie der Hauptnutzungszweck einer Ware sein.
Anwendungsbeispiele für die AV 3b:
Schutzanzüge für Radiologen, die aus Kautschuk und Textilartikeln bestehen, werden in die HS-Position 4015 „Kautschuk und Waren daraus“ eingereiht, da der Kautschuk den wesentlichen Charakter (Schutz vor UV-Strahlen) der Schutzanzüge verleiht.
Handtaschen mit Edelmetallen werden in die HS-Position 7115 eintarifiert, da die Edelmetalle den wesentlichen Charakter der Handtasche verleihen, obgleich die Funktionalität (Hauptzweck) nicht davon betroffen ist.
Ein Beauty-Set bestehend aus einem Handspiegel (HS-Position 7009), einer Bürste (HS-Position 9603) und einem Kamm (HS-Position 9615) kann nach den Vorschriften des 3b eingereiht werden, da keines der Bestandteile dem Set einen wesentlichen Charakter verleiht. Bei derartigen Fällen ist die nächste AV, 3c, zur Anwendung zu bringen.
AV 3c
Die AV 3c schreibt vor, dass Waren, die nicht nach den Allgemeinen Vorschriften 3a und 3b eingereiht werden können, in die zuletzt genannte Position, zuzuweisen sind. Hierbei sind die in gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen zu berücksichtigen.
Anwendungsbeispiel für die AV 3c:
Das Beauty-Set aus unserem Beispiel der AV 3b besteht aus
  • einem Handspielgel – Position 7009
  • einer Bürste – Position 9603 und
  • einem Kamm – Position 9615 
Gemäß den Vorgaben der AV 3c wird der Set in die HS-Position 9615 eingereiht.
Allgemeine Vorschrift 4
Waren, die nach den vorstehenden Allgemeinen Vorschriften nicht eingereiht werden können, werden in die Position der Waren eingereiht, denen sie am ähnlichsten sind.
Obwohl diese Regelung Bestandteil der Allgemeinen Vorschriften ist, sollte sie durch die Subjektivität der Tarifierung nicht angewandt werden. Seit Einführung des HS-Abkommens wurden nur wenige Einreihungen im Rahmen dieser Regelung getroffen.
Allgemeine Vorschrift 5
Die AV 5 betrifft den Umgang mit Behältnissen und Verpackungen. Sie ist zwei Teile untergliedert. AV 5a bezieht sich auf die Anwendung von Tarifierungen von Behältnissen und die AV 5b von Verpackungen.
AV 5a
Die AV 5a schreibt zusätzlich zu den vorstehenden Allgemeinen Vorschriften vor, dass Behältnisse für Fotoapparate, Musikinstrumente, Waffen, Zeichengeräte, Schmuck und ähnliche Behältnisse, die zur Aufnahme einer bestimmen Ware oder Warenzustellung besonders gestaltet oder hergerichtet und zum dauernden Gebrauch geeignet sind, wie die Waren eingereiht werden, für die sie bestimmt sind. Diese Regelung tritt nur in Kraft, wenn die Behältnisse mit diesen Waren gestellt und üblicherweise zusammen mit ihnen verkauft werden. Allerdings findet die Vorschrift keine Anwendung, wenn die Behältnisse der Ware den wesentlichen Charakter verleihen.
Konkret bedeutet dies, dass die Behältnisse
  • mit den Waren verkauft werden müssen,
  • zum Verbleib und Schutz der Ware dienen,
  • keine sinnvolle anderweitige Verwendung haben können,
  • zur dauerhaften Verwendung konzipiert wurden sowie
  • der Ware nicht den wesentlichen Charakter verleihen. 
Anwendungsbeispiele für die AV 5a:
Gitarrenkoffer, die gleichzeitig mit einer Gitarre geliefert werden, sind gemäß der HS-Position 9202 für Gitarren einzureihen. Der Gitarrenkoffer erfüllt alle erforderlichen Kriterien der AV 5a. Sollte der Gitarrenkoffer nicht mit der Gitarre geliefert werden, ist der Koffer als eigenständige Handelsware in die HS-Position 4202 einzutarifieren.
Eine Zigarettenetui aus Gold mit Zigaretten wird in die HS-Position 7114 eingereiht und nicht in die HS-Position 2402 für Zigaretten, da das Etui aus Gold der Ware den wesentlichen Charakter verleiht.
AV 5b
Die AV 5b gibt vorbehaltlich der AV 5a vor, dass Verpackungen wie die darin enthaltenen Waren eingereiht werden, wenn sie zu Verpackung dieser Waren üblich sind. Die Allgemeine Vorschrift gilt nicht verbindlich für Verpackungen, die eindeutig zur mehrfachen Verwendung geeignet sind.
Anwendungsbeispiele für die AV 5b
Verpackungen und Verpackungsmaterialien wie z. B. Kisten, Kartons, Säcke, Schaum oder Papieruntertrennungen werden wie die Ware eintarifiert, die sie beschützen.
Ausnahmen bilden Gasflaschen oder Ölfässer. Diese können nicht wie die beinhalteten Waren eingereiht werden, weil sie Verpackungsarten darstellen, für eine mehrfache Verwendung geeignet ist.
Hilfsmittel
 Das Tarifieren von Waren stellt für viele Unternehmen eine Herausforderung dar. Im internationalen Handel ist die Zolltarifnummer das zentrale Ordnungskriterium. Zur Erleichterung der Einreihung von Waren können die unterschiedlichen Hilfsmittel, die im Folgenden kurz erläutert werden, eingesetzt werden.
Inhaltsverzeichnis
Zusätzlich zur Untergliederung der KN in stoff- und zweckbezogene Kapitel ist das Inhaltsverzeichnis ein guter Einstiegspunkt bei der Tarifierung von Waren. Obwohl es nicht Bestandteil des HS-Übereinkommens ist, d. h. auch keinen offiziellen Charakter im Rahmen des Warenverzeichnisses der EU besitzt, kann grundsätzlich hierdurch eine Erstauswahl der in Frage kommenden Abschnitte und Kapitel für die Einreihung ermittelt werden.
 Stichwortverzeichnis
Das alphabetische Stichwortverzeichnis kann das Auffinden der gesuchten Waren in der KN erleichtern; es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das Verzeichnis ist ebenfalls nicht Bestandteil des HS-Abkommens und dient lediglich als Hilfsmittel.
HS-Erläuterungen
Oft gibt es Interpretations- und Auslegungsschwierigkeiten bei Tarifierungsentscheidungen. Die Erläuterungen tragen zur Deutung der einzelnen HS-Positionen bei, ohne jedoch rechtsverbindlich zu sein. Da sie allerdings vom Komitee des HS-Abkommens publiziert werden, stellen sie die offiziellen Ausführungsbestimmungen und die Betrachtungsweise des Komitees dar.
Verbindliche Zolltarifauskünfte
Aufgrund von unterschiedlichen Auffassungen zu Einreihungen haben Unternehmer die Möglichkeit beim Hauptzollamt in Hannover eine verbindliche Zolltarifauskunft zu beantragen. Das Hauptzollamt erteilt grundsätzlich nur verbindliche Zolltarifauskünfte für Einfuhren und Einfuhrvorhaben. Deshalb sollte der Antrag auch bei Tarifierungsfragen für Ausfuhrgeschäfte entsprechend als Einfuhrantrag gestellt werden. Verbindliche Zolltarifauskünfte sind grundsätzlich ab dem Erteilungsdatum für 6 Jahre auf dem gesamten Zollgebiet der EU gültig.
Europäische Verbindliche Zolltarifauskunft-Datenbank
Die Europäische Verbindliche Zolltarifauskunft-Datenbank ist eine Sammlung von verbindlichen Zolltarifauskünften mit deren Entscheidungsgrundlagen von den Zollbehörden der Mitgliedstaaten. Bei Tarifierungs- und Auslegungsfragen können diese Entscheidungen als wertvolle Interpretationshilfen dienen.
Grundsätzlich haben die verbindlichen Auskünfte aktuell eine Gültigkeit von 6 Jahren (Entscheidungen ab Mai 2016 nur noch 3 Jahre) und gelten in der gesamten Union, unabhängig davon, durch welchen Mitgliedstaat sie erteilt wurden.
Unter dem folgenden Link finden Sie den Zugang zur Datenbank Europäische Verbindliche Zolltarifauskünfte:
Letzte Aktualisierung: Juli 2021