"Hätte es sich länger hingezogen, ich hätte das nicht mehr durchgehalten.“
Auf dem Gelände der ehemaligen Kokerei Hansa in Dortmund ist eine hochkarätige Eventgastronomie entstanden, die in jeder Hinsicht das Ruhrgebiet feiert. Der Weg dorthin war lang und steinig. Doch das Durchhaltevermögen hat sich mehr als gelohnt.
VON MARIO OLESCHKO
Es ist vor allem der massive Kontrast, der sofort fesselt. Einerseits die maroden Gebäude der ehemaligen Kokerei Hansa: ein riesiges Geflecht aus bröckelndem Backstein und rostigen Rohren. Zeugen der Stahlindustrie, die in der Region einst vorherrschend war – nun von Büschen und Bäumen überwuchert. Und andererseits, mittendrin und Teil des Kokereigeländes, ein Tempelder feinen Küche. Hochwertig ausgestattet. Mit drei schlanken, gut sechs Meter hohen Schwarzoliven, die sich bis zur Decke strecken in einer lichtdurchfluteten Halle, in der Bilder regionaler Künstlerinnen und Künstler gekonnt in Szene gesetzt sind.
In einer Nische mit bequemen Sitzgelegenheiten – zwischen Ober- und Untergeschoss – steht ein eleganter schwarzer Flügel. Ihm gegenüber, im oberen Geschoss, zieht eine wuchtige, stählerne Industrieanlage von anno dazumal die Blicke auf sich. Wo einst schwer malocht wurde, gönnen sich Menschen heute eine Auszeit, genießen morgens im „ButterRaum“ Kaffee und Croissants oder abends – eine Etage tiefer – im „SchwarzGold“ die sorgsam durchchoreografierten Menüs von Küchenchef Pierre Beckerling. Vor gut anderthalb Jahren haben die beiden Gastronomiebetriebe unter demselben Dach geöffnet. Und jüngst hat der Guide MICHELIN das „SchwarzGold“ mit einem Stern geadelt.
Paradebeispiel für den Wandel
„So einen Laden hätte man in Dortmund damals nicht für möglich gehalten“, sagt Sascha Nies zufrieden lächelnd. „Aber wenn wir hier nur eine 08/15-Gastronomie aufgezogen hätten, dann hätte das einfach nicht funktioniert.“ Was der Geschäftsführer des Unternehmens dinner&co hier geschaffen hat, ist ein Paradebeispiel für die Veränderung, die die gesamte Region durchlaufen hat, und die sie heute prägt: Anpassungsfähigkeit, Adaption – und dabei Altes mit Neuem verbinden.
In gewisser Weise sind die beiden Gastrobetriebe ein Aushängeschild, denn sie sind eingebettet in das Gesamtkonzept von dinner&co. Mit der Waschkaue, dem Salzlager und der Kompressorenhalle bietet Nies drei verschiedene Eventlocations in der Kokerei Hansa. Bis zu 1.200 Gäste kann das riesige Salzlager aufnehmen. 1997 startete dinner&co als Caterer, 2021 haben Nies und sein Team das „5-days“ am Phoenix-See eröffnet. 2016 keimte der Wunsch auf, die alte Kokerei Hansa mit neuem Leben zu füllen, und die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur in Dortmund ging auf ihn zu, um ein Gastrokonzept zu entwickeln. 2020 begann Nies mit der Umsetzung der ambitionierten Pläne.
Ein Mammutprojekt voller Hürden
Ein Video von Adolf Winkelmann auf der Homepage von dinner&co zeigt einen kleinen Teil der Entstehungsgeschichte des Mammutprojekts. Vier Jahre hat es gedauert, bis die Pforten sich endlich öffneten. Die ersten Bilder des Videos zeigen eine Industrieruine, ein unüberschaubares Chaos an Gerümpel und Dreck – und mittendrin: Sascha Nies, der mit leuchtenden Augen detailverliebt erzählt, wie alles später einmal aussehen soll, wenn es fertig ist. Der Weg dorthin war steinig und voller Rückschläge. Er verschlang immens viel Zeit, Geld und Nerven. Immer wieder gab es Verzögerungen – nicht zuletzt wegen der Pandemie. Fenster wurden nicht rechtzeitig fertig. Baugenehmigungen zogen sich hin. „Und bei manchen Wänden, die geöffnet wurden, dachtest du dir nur: Ach du Sch ...“, erinnert sich Nies. Und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren planmäßig schon eingestellt worden–ohne dass die Location fertig war.
Scheitern war keine Option mehr
Gab es Zweifel? Das Gefühl, dass die ganze Sache einfach zu groß ist und ihm über den Kopf wächst? Nies überlegt nicht lange. „Nein. Denn je länger das Projekt dauerte, je mehr Zeit und Geld hineinflossen, desto stärker war klar, dass Scheitern keine Option war. Das hätte meinen Ruin bedeutet.“ Und er hatte auch Hilfe. Da war die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur in Dortmund, die ebenfalls über den Willen und das Durchhaltevermögen verfügte, das Projekt zu stemmen. Da war die Hausbank, die ihm versicherte: „Wir stehen hinter Ihnen!“ Und seine Ehefrau, die ihm klar machte: „Wir ziehen das durch, es gibt kein Zurück!“. „Und dann war und ist da ein wahnsinnig tolles Team, das unfassbar viel Engagement reingesteckt hat“, sagt der Unternehmer dankbar. „Mehr, als ich jemals hätte erwarten können!“
Junger schlägt die alten Pächter
Schon mit 19 Jahren bewarb sich Nies um die Leitung einer Kantine, die zu einem Werk eines japanischen Konzerns gehörte – ohne abgeschlossene Ausbildung zum Koch, und ohne Erfahrung. „Ich war ja erst 19 Jahre alt. Ich hatte doch nichts zu verlieren!“ Den japanischen Chef hatte diese Chuzpe beeindruckt. Bis dato hatte er mit den Pächtern eher schlechte Erfahrungen gemacht. „Er sagte mir damals: Ich hatte in sechs Jahren sieben alte Esel. Jetzt will ich sehen, wie ein junger sich schlägt“, sagt Nies im Rückblick. Es lief. Und zwar so gut, dass der Chef ihm eines Tages sagte, der Konzern werde das regionale Werk aus wirtschaftlichen Gründen in sieben Jahren aufgeben. „Ich hatte also genug Zeit, mir etwas Neues aufzubauen.“ dinner&co wurde aus der Taufe gehoben. Mittlerweile betreut der Caterer zahlreiche Locations in Nordrhein-Westfalen. Der „ButterRaum“ und vor allem das „SchwarzGold“ sind dabei die Sahnehäubchen. Die Karte des frischgebackenen Sternerestaurants listet unter anderem Currywurst. Doch warum sollte man eine Gourmetadresse besuchen, um dort Currywurst zu essen? „Weil unsere anders ist!“, sagt Nies mit einem breiten Grinsen. „Es ist auch keine Fleisch-Currywurst, sondern ein vegetarisches Gericht.“ Das Sternerestaurant hat den Anspruch, die regionale Küche auf ein neues Niveau zu heben. Es will Altbekanntes in ein neues Licht rücken. Der Name „SchwarzGold“ kommt dabei nicht von ungefähr: Der Raum ist schwarz und dementsprechend dunkel. Die von warm-weißem Licht beleuchteten und mit goldenem Leder bezogenen Tische ragen hier wie helle kleine Inseln heraus.
„Das Spiel mit dem Licht hat mich schon immer fasziniert“, erzählt der Geschäftsführer, während er sich zufrieden umschaut – und dann eine sehr persönlichen Erinnerung teilt. Als die beiden Genuss-Locations das erste Mal Gäste willkommen hießen, da war das „für mich der glücklichste Moment der ganzen Reise”. Im selben Atemzug war es allerdings auch der härteste: „Mir wurde in diesem Augenblick klar, wie erschöpft ich war. Hätte es sich länger hingezogen, ich hätte das nicht mehr durchgehalten.“