Die Aufwände nehmen auch für uns zu

Stephan Rotering, Jahrgang 1971, ist seit 2015 parteiloser Bürgermeister der Gemeinde Bönen im Kreis Unna. Bei den Kommunalwahlen im September tritt er nicht mehr als Kandidat an. Ein Gespräch über die Möglichkeiten und Grenzen der kommunalen Verwaltung.
Herr Rotering, viele Kommunen klagen darüber, den Rotstift ansetzen zu müssen. Wie sieht es angesichts dessen mit dem gestalterischen Spielraum aus?
Die Situation, wie sie sich aktuell und auch künftig darstellen wird – immer mehr Belastungen aufgrund von Aufgaben, die Bund und Land auf die Kommunen herunterbrechen – war damals, als ich das Amt in Bönen übernahm, noch nicht so extrem wie heute. Klar, auch für Bönen mussten wir schon damals einen Haushaltssanierungsplan aufstellen, um aus dem Finanzloch herauszukommen. Das war seinerzeit aber noch lösbar, und wir hatten dann auch Spielraum. Die Sozialleistungen sind jetzt exorbitant in die Höhe gegangen, hinzu kommen die jüngsten Tarifabschlüsse für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst – die ich allen gönne, die aber viel Geld kosten. Das wirkt sich natürlich beides auf die Kassenlage aus.
Ist denn die Einnahmenseite so schlecht – Stichwort höhere Hebesätze bei der Grundsteuer?
Da müssen wir genauer hinschauen. Der Anhebung liegt die Neubewertung der Grundstücke im Zuge der Grundsteuerreform zugrunde. Diese Neubewertung hat in Bönen zu Einbußen bei den Messbeträgen geführt. Bei der Grundsteuer A hat die Gemeinde beschlossen, den Hebesatz auf 1.191 Hebesatzpunkte zu setzen (ein Plus von 536 Punkten, Anm. der Red.), um Einnahmen in gleicher Höhe wie im Vorjahr zu erzielen. In unserer Gemeinde liegt das Aufkommen Grundsteuer B bei etwa sieben Millionen Euro. Und dies bereits seit etwa 2017 – also ohne jeglichen Inflationsausgleich. Unser Steuerhebesatz bei der Grundsteuer B liegt jetzt bei 992 Punkten (plus 52 Punkte, Anm. der Red.), wobei Wohn- und Nichtwohngebäude gleich besteuert werden.
Warum?
Es wurde darauf verzichtet, einen aufkommensneutralen Hebesatz festzusetzen, weil das zu einer überproportionalen Belastung der Wohngrundstücke geführt hätte. Das bedeutet im Ergebnis allerdings Einkommensverluste von aktuell rund 1,9 Millionen Euro für die Kommune. Die müssen an anderer Stelle kompensiert werden. Das geht meiner Meinung nach künftig nur über eine Differenzierung der Hebesätze. Dann geraten wir allerdings schnell in Bereiche, die nicht mehr vertretbar wären, auch mit Blick auf die Unternehmen. Diese Entwicklung gibt es nicht nur in Bönen–das geht vielen Kommunen ähnlich.
Bürgermeister sind heutzutage also dazu verdammt, den Mangel zu verwalten?
Bund und Land bestellen die Musik – die Kommunen müssen das dann umsetzen und bezahlen. Die Auflagen wachsen. Wir wollen immer höher, schneller, weiter. Das ist irgendwann nicht mehr bezahlbar. Die Kommunen leiden darunter, sofern sie nicht so gewerbesteuerstark sind wie einige wenige Kommunen in NRW. Doch planungstechnisch ist es wiederum auch nicht gut, von der Volatilität der Gewerbesteuer abhängig zu sein. Insofern: Ja, ich sehe massive Probleme auf die Kommunen zukommen.
Unternehmen beklagen, dass kommunale Entscheidungsprozesse – Baugenehmigungen etwa – sich generell zu lange hinziehen. Was wiederum die wirtschaftliche Entwicklung hemmt.
Es stimmt, Unternehmen haben heutzutage deutlich mehr Auflagen zu erfüllen als früher, und natürlich stellt das eine Belastung für die Betriebe dar. Auf der Verwaltungsebene sieht das Thema Bürokratie dabei nicht anders aus: Die Aufwände und Fallzahlen nehmen zu. Gleichzeitig haben auch wir – ebenso wie die Unternehmen – mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen und müssen zusehen, mit den gegebenen Ressourcen zu arbeiten.
Ein weiteres Hemmnis: Mobilität. Sowohl die Betriebe als auch die Bürgerinnen und Bürger kritisieren die verstopften Straßen.
Wir wissen: Unsere eigene Autobahn-Anschlussstelle an die A2 ist am Limit. Schon jetzt fahren dort täglich rund 7.000 Fahrzeuge. Auch hier gibt es jedoch Entwicklungen, die eine Kommune allein nicht beeinflussen kann. Verkehre verändern sich – teils sehr schnell. Hamm beispielsweise will mit dem neuen Multi Hub die eigene wirtschaftliche Entwicklung fördern. Dieser Multi Hub wird Auswirkungen auf den Verkehr der umliegenden Kommunen haben. Es bringt meiner Meinung aber nichts, sich da gegenseitig einen Schwarzen Peter zuzuschieben. Wichtig ist es, sich mehr an einen Tisch zu setzen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, anstatt dass jeder einzeln für sich schaut.
Könnte mehr ÖPNV eine Lösung bieten – gerade für Berufspendler?
Mehr ÖPNV setzt eine Infrastruktur voraus, die attraktiv ist und funktioniert. Insbesondere im ländlichen Bereich ist der Pkw am bequemsten für viele. Und bauliche Maßnahmen sind auch nicht so leicht in der Umsetzung – selbst wenn das Geld da sein sollte. Das betrifft viele Bereiche, um nochmal auf die Baugenehmigungen zurückzukommen. Jeder möchte eine starke Wirtschaft, mehr Arbeitsplätze, eine bessere Anbindung der Gewerbegebiete – aber doch bitte nicht vor der eigenen Haustür! Das ist ein Riesenproblem. Das Anspruchsdenken der Menschen ist heute größer. Das erschwert es, Kompromisse zu finden.
Als parteiloser Bürgermeister sind Sie politisch ungebunden. Fehlt parteilosen Bürgermeistern nicht der Rückhalt einer Partei?
Das sehe ich nicht so. Als ich 2015 als Kandidat antrat, wurde ich von vier Parteien unterstützt – auch ohne Parteibuch. Ich finde es wichtig, pragmatisch nach Lösungsansätzen zu suchen, und zwar unabhängig von ideologischen Parteivorgaben. Ein Bürgermeister sollte neutral sein. Das ist meiner Meinung nach der Grund dafür, warum immer mehr parteilose Bürgermeister ins Amt kommen. Und grundsätzlich hängt es ohnehin immer von den Personen ab, mit denen man zusammenarbeitet – über alle Parteigrenzen hinweg.
Nach zehn Jahren im Amt treten Sie nun nicht mehr an …
Bürgermeister dieser Gemeinde zu sein, ist ein großartiger Job! Was ich allerdings zugeben muss, ist, dass man in diesem Job schneller altert. Die zeitliche Belastung, die mit einem solchen Amt verbunden ist, ist sehr hoch – bis zu 60, 70 Stunden die Woche. Die Aufgaben werden nicht weniger, sondern mehr. Und irgendwann ist man dann an einem Punkt angelangt, bei dem man sich fragt, was gesundheitlich noch vertretbar ist.
DAS INTERVIEW FÜHRTE MARIO OLESCHKO
Zur gesamten September (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 8235 KB)-Ausgabe der Ruhr Wirtschaft