Interview mit Thomas Chmielnik

"Wir stehen vor einem massiven Wendepunkt"

Vor einer abwartenden Haltung in Sachen KI warnt Thomas Chmielnik, Head of AI bei AIVISOR in Unna. Zu zögerliche Unternehmen, sagt er, könnten den Anschluss verlieren.
Das Thema KI treibt derzeit viele Unternehmen um – wie nehmen Sie es wahr?
Sehr intensiv. Allein mein beruflicher Alltag steht spätestens seit Mitte 2022 ganz im Zeichen der künstlichen Intelligenz. Zuvor beschäftigte ich mich überwiegend privat mit KI, da in meinem Kundensegment kaum Bedarf bestand. Der Launch von OpenAI‘s ChatGPT im November 2022 löste jedoch einen medialen Hype aus, der 2023 an Dynamik gewann. Dies führte zu rasanten Veränderungen in der Geschäftswelt und beeinflusst bereits heute unser soziales Miteinander sowie unser Privatleben.
Die IHK hat bereits eine Reihe von Veranstaltungen zu diesem Thema geboten, etwa KI-Sprechstunden und Praxisworkshops, die auch von Ihnen begleitet wurden. Welche Fragen treiben die Unternehmen am meisten um?
Die Fragen, die Unternehmen stellen, sind äußerst vielfältig. Sie reichen von grundlegenden Anfragen wie „Wo kann KI mir helfen?“ bis hin zu spezifischen Use-Cases und deren Machbarkeit. Im vierten Quartal 2023 lag der Fokus vor allem auf Verständnisfragen zur KI: Ist es nur ein vorübergehender Trend? Wie funktioniert KI? Welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus für mein Unternehmen? Besonders im Fokus standen Möglichkeiten zur Prozessautomatisierung, zur Kostenreduktion und zur Übertragung mühsamer, ineffizienter, wiederkehrender Aufgaben auf KI-Systeme. Ebenso wurden neue Vertriebswege und Dienstleistungen thematisiert.
In welchen Feldern können Sprechstunden und Praxisworkshops helfen? Und wo liegen die Grenzen?
Sie sind hervorragende Plattform für unbeschwerte, fachkundige Gespräche über KI, unabhängig vom Kenntnisstand der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Im Gegensatz zu offenen Webinaren ermöglichen sie eine schnelle, individuelle Beantwortung spezifischer Fragen. Neben jeder Menge Tipps gibt’s auch praxisnahe Anleitungen für eigene KI-Projekte, etwa zur Automatisierung der eigenen Social-Media-Kanäle. Allerdings haben diese Formate auch ihre Grenzen. Für eine tiefergehende Exploration der KI-Potenziale eines Unternehmens sind erfahrene Expertinnen und Experten unerlässlich. Sie helfen, spezifische Anwendungsfelder zu identifizieren und strategische Pläne zu entwickeln.
Warum ist es wichtig für Unternehmen, das Thema nicht zu vernachlässigen?
Ich stoße oft auf eine abwartende Haltung: „Lasst zuerst andere KI einsetzen. Wir steigen ein, wenn es sich bewährt hat.“ Während diese Strategie bei langwierigen Digitalisierungsprojekten und den damit verbundenen Change-Management-Prozessen durchaus Sinn machte, ist sie im Zeitalter der KI nicht mehr tragbar. Die rapide Entwicklung im letzten Jahr hat deutlich gemacht, dass KI in vielen Branchen eine disruptive Kraft entfaltet. Unternehmen, die hier früh einsteigen, könnten einen kaum einholbaren Vorsprung erlangen.
In welchen Geschäftsbereichen liegt besonderes Potenzial zum Einsatz von KI?
Das kann man so pauschal nicht beantworten, da es in nahezu allen Geschäftsbereichen Use-Cases für die KI gibt. Um nur einige Beispiele zu nennen: Kundenservice: Einsatz von Chatbots und virtuellen Assistenten, die Kundenanfragen effizient und rund um die Uhr bearbeiten können. Marketing: Personalisierte Werbung und Kundenansprache durch Datenanalyse und Mustererkennung. Knowledge-Management: Wissensverlust durch Mitarbeiterabgänge mithilfe von KI ausgleichen. Produktion: Optimierung von Fertigungsprozessen. Logistik und Supply Chain Management: Verbesserung der Lieferketteneffizienz durch Vorhersageanalysen, Routenoptimierung und Lagerverwaltung.
Oft ist die Nutzung von KI auch mit Unsicherheit verbunden – auch mit Blick auf unklare Rechtslagen. Wie beurteilen Sie das?
Neben Datenschutz und Rechtssicherheit ist insbesondere die Angst vor KI ein bedeutendes Thema. In Gesprächen mit Beschäftigten stoße ich häufig auf Unsicherheiten bezüglich der KI-Entwicklung, vor allem hinsichtlich der Arbeitsplatzsicherheit. Oftmals sind diese Ängste unbegründet, doch ist es für Unternehmen essenziell, diese Befürchtungen ernst zu nehmen. KI wirkt für viele noch wenig greifbar, und die schnell erzielten, beeindruckenden Ergebnisse können verunsichern. Und Datenschutz sowie Rechtssicherheit sind in der Tat Bereiche, die in der KI-Welt intensiv diskutiert werden und das Jahr 2024 prägen werden. Wir erwarten alle gespannt den EU-AI-Act, der wichtige rechtliche Rahmenbedingungen setzen soll.
Wo liegen besondere Herausforderungen – und was sollten Unternehmen beim Einsatz von KI zwingend beachten?
Ich empfehle, die Verantwortung für KI-Projekte auf höchster Unternehmensebene anzusiedeln und von dort aus über eine KI-Task-Force gesamten Unternehmen zu verankern. Weitere wichtige Punkte sind u. a.: externe Beratung hinzuziehen, Faktor Geschwindigkeit und Datenqualität, kleine Use-Cases statt großer KI-Würfe. Durch die Berücksichtigung dieser Aspekte können Unternehmen sicherstellen, dass sie die Vorteile der KI voll ausschöpfen, während sie gleichzeitig die damit verbundenen Herausforderungen bewältigen.
Ein Blick in die Zukunft: Welche Aufgaben werden in zehn Jahren in Unternehmen von einer KI gelöst?
Es ist schwierig, hier konkrete Vorhersagen für die nächsten zehn Jahre zu treffen. Wer das Jahr 2023 und die rasante Entwicklung der KI-Welt verfolgt hat, weiß, dass Prognosen über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren kaum noch möglich sind. Wir stehen vor einem massiven Wendepunkt in vielen Bereichen, was langfristige Vorhersagen obsolet macht. Unternehmen in zehn Jahren werden vermutlich nicht mehr mit den Unternehmen von heute vergleichbar sein. Die Art und Weise, wie wir arbeiten, wie Entscheidungen getroffen werden und wie wir mit Kunden und Partnern interagieren, wird sich durch die fortlaufende Integration und Weiterentwicklung von KI grundlegend verändern.
Die Fragen stellte Lara Willberg

ZUR PERSON Thomas Chmielnik
Thomas Chmielnik, Jahrgang 1976, war 15 Jahre lang Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der CONQUER Marketing & Sales Consulting GmbH in Unna. Im Januar 2024 übernahm er als Head of AI, zusammen mit europäischen Partnern, den Aufbau von AIVISOR, einen Geschäftszweig der DeESA GmbH, der sich auf die KI-Beratung und Entwicklung von KI-Modellen für KMU spezialisiert. Nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann (IHK) studierte er an der Ruhr-Universität Bochum Wirtschaftswissenschaften mit dem Abschluss Diplom-Ökonom. Das Thema KI beschäftigt ihn sowohl beruflich als auch privat seit vielen Jahren, und mittlerweile ist Chmielnik als ein gefragter Experte auf diesem Gebiet etabliert
KI-Sprechstunden bei der IHK
Gemeinsam mit Andreas Becker von der TU Dortmund sowie Thomas Chmielnik von AIVISOR bietet die IHK zu Dortmund jeden Monat via Teams Online-Sprechstunden zum Thema KI. Ob es um Einschätzungen zum Geschäftsmodell geht, Tipps zum Einsatz von KI-Tools oder um Rat rund um konkrete Umsetzungsstrategien: Die Fachleute stehen von 9:00 bis 12:00 Uhr für vier jeweils 40-minütige, individuelle Beratungsgespräche zur Verfügung. Die Gespräche sind offen für alle Branchen und kostenlos. Termine: 23. Februar / 22. März / 26. April / 24. Mai / 28. Juni / 26. Juli / 30. August / 20. September / 11. Oktober / 29. November / 20. Dezember
Anmeldung und weitere Infos unter: https://events.dortmund.ihk24.de/ki2203