Sachverständigenwesen
Teil vier unserer Serie über Rechtsfragen widmet sich dem Sachverständigenwesen. Mit den von ihr öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen stellt die IHK Gerichten, Unternehmen, aber auch privaten Auftraggebern kompetente und unabhängige Experten auf fast 300 verschiedenen Fachgebieten der Wirtschaft zur Verfügung. Die bekanntesten und zugleich durch die meisten Sachverständigen vertretenen drei Sachgebiete sind Immobilienbewertung, Schäden an Gebäuden sowie Kraftfahrzeugschäden und -bewertung.
Wer darf sich in Deutschland eigentlich „Sachverständiger“ nennen?
Fast könnte man meinen, Jeder der dies wolle. Jedenfalls gibt es einen gesetzlichen Schutz für die Bezeichnung schlicht als „Sachverständiger“ in Deutschland nicht. Dennoch wird im Rechts- und Geschäftsverkehr unter einem Sachverständigen regelmäßig eine unabhängige, unparteiische sowie integre Person verstanden, die auf einem oder mehreren bestimmten Sachgebieten über besondere Kenntnisse und Erfahrungen verfügt und diese Sachkunde Dritten – in der Regel gegen Entgelt – zur Verfügung stellt. Synonym wird häufig die Bezeichnung „Gutachter“ verwendet, da eine ganz wesentliche Aufgabe von Sachverständigen die Erstellung von (Sachverständigen-)Gutachten ist.
Sind alle Sachverständigen gleich?
Sicher nicht. Einmal ganz abgesehen davon, dass auch nicht alle Ärzte oder alle Köche gleich sind, gibt es auch für die Unterscheidung von Sachverständigen etliche Kategorien. Da ist zunächst einmal die große Gruppe der „freien“ Sachverständigen. „Freie“ Sachverständige gehen ihrer Tätigkeit – häufig als beruflich Selbstständige – auf der Basis der von ihnen erworbenen Qualifikation und Berufserfahrung nach und bieten ihren Sachverstand „am Markt“ an. Etliche freiberuflich Tätige gelten zudem in ihrem Berufszweig als sog. „geborene“ Sachverständige. Dies gilt z. B. für Ärzte und Wirtschaftsprüfer. Eine Vielzahl verschiedener Sachverständigenverbände spricht zudem Anerkennungen für Sachverständige aus, die den jeweiligen Verbandsanforderungen entsprechen. In einigen Bereichen gibt es darüber hinaus amtlich bzw. staatlich anerkannte Sachverständige. Privatrechtlich organisiert ist die Zertifizierung von Sachverständigen, die sich am Anforderungsprofil der zertifizierenden Stelle orientiert. Schlussendlich – und damit kommen wir zum Aufgabenbereich der Bestellungskörperschaften, zu denen auch die IHKs zählen – gibt es die große Gruppe der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen.
#Umbr
Was kennzeichnet öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige?
Das Recht zur öffentlichen Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen steht auf gesetzlicher Grundlage öffentlich-rechtlichen Einrichtungen („Bestellungskörperschaften“) zu. Hierzu zählen neben den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern auch die Landwirtschaftskammern, Ingenieur- bzw. Architektenkammern sowie die Bezirksregierungen und Landesämter. Bevor ein Sachverständiger zeitlich befristet für in der Regel fünf Jahre öffentlich bestellt und vereidigt werden kann, muss er sich hinsichtlich seiner persönlichen Eignung sowie seiner besonderen Sachkunde einer anspruchsvollen Überprüfung im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens stellen. Mit der öffentlichen Bestellung hat der Sachverständige den Eid zu leisten, seine Sachverständigentätigkeit stets unabhängig, weisungsfrei, persönlich und unparteiisch auszuführen und seine Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten. Eine Vielzahl weiterer Pflichten für diese Sachverständigen – so etwa auch zur regelmäßigen Weiterbildung auf dem Bestellungsgebiet – enthält die Sachverständigenordnung der jeweiligen Bestellungskörperschaft, die zugleich auch die Rechtsaufsicht über die von ihr öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ausübt.
Worin liegt die „Kernkompetenz“ öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger?
Die Verfahrensordnungen der verschiedenen Gerichtszweige sehen vor, verdeutlicht am Beispiel von § 404 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO): „Sind für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt, so sollen andere Personen nur dann gewählt werden, wenn besondere Umstände es erfordern.“ Das bedeutet, dass gerade die Erstattung von Gerichtsgutachten die „Kernkompetenz“ der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ist. Mit ihren Tatsachenfeststellungen machen sie oftmals eine sachgerechte Gerichtsentscheidung erst möglich, weshalb Gerichtsgutachter bisweilen auch als „Richter hinter dem Richter“ bezeichnet werden. Selbstverständlich können und dürfen diese Sachverständigen aber auch in privatem Auftrag für jedermann tätig werden.
#Umbr
Mit welchen Kosten muss ich rechnen, wenn ich einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen privat beauftragen möchte?
Wird ein Sachverständiger in privatem Auftrag tätig, gilt der Grundsatz der freien Honorarvereinbarung zwischen ihm und seinem Auftraggeber. Zivilrechtlich betrachtet wird in diesem Fall ein Werkvertrag gemäß § 631 BGB geschlossen. Üblich ist dabei dass der Sachverständige auf Stundensatzbasis abrechnet. Stundensätze beginnen – je nach Sachgebiet – um die 50 Euro, können aber durchaus auch 150 Euro und im Einzelfall auch noch weitaus mehr erreichen. Da die Unterschiede zwischen den Honorarvorstellungen der Sachverständigen verschiedener Sachgebiete, aber auch innerhalb eines Sachgebiets, beträchtlich sein können, sollte die Vergütungsfrage vor der Auftragserteilung geklärt werden. Bei Privatgutachtenaufträgen schuldet regelmäßig der Auftraggeber dem Sachverständigen das Honorar. Bei Schiedsgutachtenaufträgen sollten die streitenden Parteien eine Vereinbarung über die Kostentragung treffen. Anders bei Gerichtsgutachten: Hier ist Auftraggeber des Sachverständigen das zuständige Gericht. In diesen Fällen regelt sich die Vergütung des Sachverständigen nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG). Das JVEG sieht je nach Sachgebiet Stundensätze zwischen 65 und 125 Euro sowie den Ersatz der sonstigen Aufwendungen des Sachverständigen vor.
Ich suche einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen. Wie kann ich ihn finden und wer hilft mir dabei?
Die Recherche nach Sachverständigen ist zum Glück seit einiger Zeit bereits in der „digitalen Welt“ angekommen und gedruckte Sachverständigenverzeichnisse gehören der Vergangenheit an. Das bundesweite Sachverständigenverzeichnis enthält aktuell Angaben zu über 8.500 von Industrie- und Handelskammern, Architekten-,Ingenieur- und Landwirtschaftskammern sowie von Landesregierungen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen und ist online erreichbar unter http://svv.ihk.de.
(aus: Ruhr Wirtschaft, Das regionale Unternehmermagazin, April 2015)