Statt einer Flasche Wein den ganzen Laden gekauft

„Ich wollte eine Flasche ‚Sonnenkönig‘ vom Weingut Großräschen kaufen“, erzählt Anke Thettmeyer. „Frau Körner und ich haben lange geschnattert und ich kam dann ohne Wein aber mit ‘nem Laden nach Hause“, erinnert sich die 54-jährige Klettwitzerin.
Doch der Reihe nach: Noch Anfang des 20. Jahrhunderts werden in dem kleinen Geschäft neben dem Markt in Senftenberg Mehl, Butter und andere Grundnahrungsmittel verkauft. Erst in den 60er Jahren, als es den Menschen langsam besser geht, ändert sich das Sortiment und der Laden steht für Weine, Spirituosen und Süßwaren. Bis zur Wende gibts hier auch mancherlei „Bückware unter dem Ladentisch“.
Von Großeltern zu Eltern zu den Kindern wird der Laden im Laufe der Jahre weitergegeben. Als dann 1997 die in Senftenberg ansässige Familie Mesech den Laden abgeben will, übernehmen die Körners – für fast drei Jahrzehnte!
Dieter und Marianne Körner wollen die Tradition des Warensortiments fortführen. Der Laden hat ein gutes Image, ist den Kunden vertraut, jedoch nicht mehr zeitgemäß. Also bauen die beiden vorsichtig um: Fassade mit Schaufenstern, Eingangstür, die alten Ladentische, alles wird freundlicher, aber das Flair bleibt erhalten. Eine aus Backsteinen geformte Wein-Ecke zieht die Kunden fast magisch an. Im hübsch angelegten Weingarten, gleich hinter dem Geschäft werden regelmäßig über das Jahr Verkostungen von Wein und Whisky angeboten.
Hochwertige Schokolade, Pralinenmischungen, Fruchtkugeln, Ganache und süße Herzen sind nur einige von fast 1 000 Artikeln aus dem Reich der Genüsse und Gaumenfreuden, die es hier gibt.

Kunden kommen von weit her

Von weit her kommen die Kunden inzwischen, um in „Ihrem“ Laden einzukaufen. Sie verweilen hier bei Stadtfesten, zum Mitternachtsshopping oder anderen Veranstaltungen. Auch so manche Geburtstagsfeiern oder Teamzusammenkünfte finden hier ihren Ausklang.
„Als wir angefangen haben, hatten wir erst nur mit Winzern aus den alten Bundesländern zu tun, dann immer mehr von hier“, erzählt Marianne Körner. Ein erster einheimischer Versuch ist der Wein aus Wolkenberg. „Wir haben dann die Menschen für ihre regionalen Weine sensibilisiert.“ Doch der koste eben auch mehr als zum Beispiel Wein aus Rheinhessen, denn die Anbaugebiete hier sind weniger und auch kleiner. So nimmt die Geschäftsfrau so einiges auf sich: „Der Weg zum Wein ist nicht mit vielen Dornen gespickt“, sagt sie, „aber mit vielen Gläsern.“ Und augenzwinkernd: „Und wir sind trotzdem keine Alkoholiker geworden.“
Auch die heimische Confiserie liegt nach dem Mauerfall lange am Boden. Doch auch dank Körners gibt’s heute wieder Schokolade aus Luckau von „Edelmond“ oder den „Goldhelm“ aus Erfurt.
Während die Händler damals nur auf Kommission kaufen mussten, geht Familie Körner schon voll ins unternehmerische Risiko.
„Werden die Kunden uns morgen alles abnehmen, was wir heute einkaufen“, fragte sich Marianne Körner so manchen Tag.
Eine 60-Stunden-Woche ist für sie damals normal. Hunderte Geschenke packt sie im Laufe ihrer Geschäftstätigkeit ein. Zu Ostern 2020 war schon alles bestellt und bezahlt, dann kam Corona. Der Laden muss schließen und die Geschäftsleute fürchten, dies wirtschaftlich nicht zu überleben.
Aber sie schaffen es.
„So einen Laden – das kannst du nur mit Herzblut machen“, sagt Marianne Körner.
Seit Corona hätten die Leute bewusst erkannt, wie wertvoll ihre kleinen Läden sind und dass diese das Flair eines Ortes ausmachen. Diese Wertschätzung ist für die Händler wichtig, denn allein von Touristen können sie nicht leben. Mit 70 gehen die Körners nun in Rente.
Marianne Körner: „Wir und unsere Kunden sind glücklich, dass wir jemanden gefunden haben, der den Mut hat, das weiterzumachen.“

Die schwierige Suche nach einem Nachfolger

Selbstverständlich ist das schon lange nicht mehr. Die Suche nach einem Nachfolger ist nicht einfach. Die IHK unterstützt und Familie Körner spricht interessierte Kunden an. Doch immer wieder zerschlägt sich alles. Sie wollen beinahe schon für immer schließen, als Anke Thettmeyer im Laden steht.
„Frau Körner hat mir auf der Suche nach einem guten Wein alles gezeigt. Ich sagte: Das hier können Sie doch nicht weggeben. Das ist ein kleines Paradies. Doch sie fragte mich nur: Kennen Sie denn jemanden, der das machen möchte?“ Frau Thettmeyer schwant etwas. Sie eilt nach Hause und erzählt ihrem Lebensgefährten Kai Engel davon. Engel ist ein „Hesse“ aus Berlin. Ein Gourmet. 30 Jahre war er leitend in der Gastronomie tätig, als Thettmeyer ihn in Berlin kennenlernt. Als ihre Mutter in Klettwitz das alte Häuschen verkaufen will, bauen sie es für sich um und Engel gibt seinen Beruf in Berlin extra dafür auf. Übergangsweise jobbt er an einer Tankstelle. Als Anke ihn fragt: „Kannst du dir vorstellen, dass …“, sagt er „Ja“. Sie: „Nun lass mich doch erstmal ausreden … dass du einen Laden übernimmst?“

Eine Weile haben die beiden dann doch überlegt. Gerade haben sie noch den Kredit für den Haus-Umbau aufgenommen. Aber dann steht es fest: Sie übernehmen den Laden. Thettmeyer arbeitet halbtags als Lehrerin und freut sich darauf, ihren Kai zu unterstützen. Sie freut sich aufs Dekorieren und Geschenke einwickeln, auf die Gespräche mit den Kunden.
Anke Thettmeyer (2.v.r.) und Kai Engel (r.) werden von den Körners noch so lange unterstützt, wie sie es benötigen.
„Wir erfahren jetzt schon so viel Herzlichkeit und sind so unglaublich gut aufgenommen worden“, sagt sie.
Zu den Whiskys, Weinen und Schokoladen gesellen sich nun auch noch Honig, Pasta und hochwertige Öle dazu.
Und um nicht nur das Glück der Kunden perfekt zu machen, „werde ich im Sommer die Frau Engel“, sagt Anke Thettmeyer und freut sich schon auf ihre Hochzeit.
Die Körners helfen nun den Engels noch überall dort, wo sie können und gebraucht werden. So geht Geschäftsübergabe!

Doch eines will Marianne Körner mit ihrer jahrelangen Erfahrung den Planern in Städten und Gemeinden noch mit auf den Weg geben:
„Eine Verkehrsberuhigung ist unser Tod als kleine Händler. Da müssen wir umdenken. Um kleine Läden zu halten, müssen die Kunden auch mal ein bis drei Stunden am Markt parken dürfen. Sonst gibt dieses gewisse Flair bald nicht mehr.“