"Bloß nicht ruhig sein!"

Wer Andreas Deckert trifft, den Bereichsleiter Aviation bei der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, kann sich kaum vorstellen, dass dieser schwungvolle, dynamische Diplomingenieur für Verkehrswesen schon über 38 Jahre seines Berufsleben mit dem Luftverkehr verbunden ist. 30 Jahre arbeitete er im Verkehrsausschuss der IHK Cottbus. Am 5. Dezember wurde er aus beiden Ämtern verabschiedet.

Was hat Sie motiviert, sich über drei Jahrzehnten in diesem dreißigköpfigen IHK-Verkehrsausschuss zu engagieren und einzubringen?
Das ist ein Ehrenamt, aber ich habe es nie als Ehrenamt gesehen. Es ist ein Teil meiner Arbeit. Der Verkehrsausschuss ist ein Spiegel der aktuellen Verkehrswirtschaft in der Region. Man setzt sich da hin und hat auf der einen Seite einen Unternehmer mit zwei Taxis und auf der anderen einen Spediteur mit 70 Lkw oder einen Eisenbahner. Und alle reden, spätestens in den Pausen, über die Themen, die sie bewegen. Daraus habe ich sehr viel mitgenommen, auch für die eigene Arbeit. Und ich verstehe die Politiker nicht, dass sie den Industrie- und Handelskammern nicht die Buden einrennen, um bei solchen Treffen dabei zu sein. Näher kommt man an die Wirklichkeit der Wirtschaft nicht heran. Immer mit dem Finger am Puls, das war hochinteressant und hat Spaß gemacht.
Welche Themen waren für Sie und den Flughafen Schönefeld und später für den BER wichtig, im IHK-Verkehrsausschuss zu besprechen und praktikable Lösungen herbeizuführen?
Der BER ist einer der schönsten Flughäfen in Europa. Vielleicht sind wir nicht so gut bei der Imagepflege, aber von der Optik und von den Arbeitsabläufen her sind wir einer der besten in Europa. Und wir sind der pünktlichste unter den großen Flughäfen in Deutschland.
Wir hatten aber eine sehr schwierige Zeit um 2012, als wir den BER nicht fertigbekommen haben. Damals mussten wir sehr viel Aufklärungsarbeiten machen und erklären, was denn nun wirklich passierte und wie der Stand der Dinge ist. Der Verkehrsausschuss war dafür ein gutes Gremium. Damals haben wir stundenlang diskutiert. Und es waren auch nicht alle immer freundlich zu uns. Zu Recht. Gut, dass ich mich dabei einbringen konnte.
Neben der Bahn ist der Flughafen des größte Mitglied im Verkehrsausschuss. Ich habe es immer genossen, die Mitglieder des IHK-Ausschusses hierher einzuladen und den Kollegen alles zu zeigen, was hier entsteht.
Welche Rolle hat für Sie das „Netzwerken“ mit den Unternehmensvertretern gespielt? Inwiefern konnten Sie von anderen Erfahrungen profitieren?
Dieses Netzwerken ist extrem wichtig. Es gab wohl keine Verkehrsausschusssitzung, auf der ich mich nicht zu einem Thema verabredet habe oder wir uns nicht gegenseitig gefragt haben: Darf ich mal vorbeikommen? Gerade in der Inbetriebnahmephase des Flughafens gab es viele Herausforderungen, für die wir uns einfach die Zeit genommen haben. Ich denke nur an die Stellplätze für die Busse oder die Bewegungsabläufe für die Lkw im Frachtverkehr. Manche Sorgen unserer Partner konnten wir ihnen nehmen. Und mich hat natürlich auch interessiert, wie so eine Spedition funktioniert. Gemeinsam entstand daraus die Idee der Fahrerschulungen, damit sich die Fahrer der Busse und Taxis mit den Verhältnissen am BER vertraut machen konnten. Die Zusammenarbeit lässt sich über den Verkehrsausschuss viel einfacher gestalten, die reinen Dienstwege mit seitenweisen Briefen und langen Mails hätten das nicht gebracht.
Ich habe auch Themen mitgenommen, die mich hier weniger tangiert haben, wie zum Beispiel der Fachkräftemangel, der die Transportbranche quält - uns aber weniger.
Ich habe selbst den LKW-Führerschein gemacht, und gemerkt, dass die Anforderungen dafür höher sind als bei einer Pilotenausbildung, es ist wie bei einer Berufskraftfahrerausbildung. Das geht für mich am Ziel vorbei. Und alle wundern sich, dass es kaum deutsche Fahrer gibt.
Sie haben eine Privatpilotenlizenz, wozu brauchen Sie einen LKW-Führerschein?
Mit meiner Verabschiedung beende ich meine Karriere in der Luftfahrt endgültig. Es war eine tolle Zeit. Jetzt will ich etwas anderes machen, da passt das LKW-Fahren als Minijobber ganz gut.
Welche Initiativen und Aktivitäten in der Ausschussarbeit sind Ihnen in Erinnerung, wo Sie mit der IHK Cottbus etwas bewirken konnten?
Da möchte ich vor allem die Verkehrsanalyse zum Flughafen BER und die Studie zum Umlandverkehr, also zur Umlandanbindung an den Flughafen nennen, die 2018/2019 erstellt wurde. Die Anregungen dazu kamen von uns aus dem Ausschuss. Und mit den Ergebnissen über die Probleme auf der Straße und auf der Schiene ist die IHK dann an die Politik herangetreten. Gemeinsam mit allen Bürgermeistern der Flughafenumfeldregion wurde diese Studie im letzten Jahr durch die IHK aktualisiert. Da geht es um Vorhaben, von denen unsere Kinder und Enkelkindern profitieren sollen, beispielsweise die Verlängerung der U7 und die umsteigefreie Bahnanbindung der Lausitz an den Flughafen. Wir können sie nicht aussitzen, wir müssen sie in Angriff nehmen.
Es sind nicht nur die großen Themen, die wir im Verkehrsausschuss diskutiert und bewegt haben, mitunter ging es um solche Details wie eine fehlende Weiche oder Stellplatz in einem Stellwerk.
Welche Bedeutung hat der IHK-Verkehrsausschuss in der politischen Beratung der Landes- und auch Bundespolitik aus Ihrer Sicht gespielt?
Wir sind nicht nur auf die Unternehmen, sondern auch auf viele Institutionen in Berlin und Brandenburg zugegangen. Das entwickelte sich aus der Idee heraus, die regionale Wirtschaft beim Bau des Flughafens einzubeziehen. Dabei haben alle IHKn in Berlin und Brandenburg und die Handwerkskammern an einem Strang gezogen. Die eingesetzten Steuermittel sollten unbedingt auch der regionalen Wirtschaft zugutekommen. Wir haben die „Mittelstandsklausel“ entworfen, die die Hauptauftragnehmer beim Bau des BER genau dazu verpflichtet hat. So blieb etwa ein Drittel aller Aufträge in der Region. Eine andere unserer Anregungen führte zu den „BER-Flughafengesprächen“, in denen neben der Geschäftsführung des BER die Gewerkschaften, alle Kammern und die Industrieverbände mit am Tisch saßen. Diese kritischen und offenen Diskussionen haben sehr geholfen, als es mit dem Bau nicht voranging.
Und wo sind Sie nicht so zufrieden?
Es ist immer wieder eine Herausforderung, der Politik gegenüber die Komplexität wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen deutlich zu machen. Ein einfaches Beispiel: Die Verstärkung des Schienenverkehrs, der Ausbau der Gleisanlagen führen mitunter dazu, dass Schranken sehr oft und lange geschlossen bleiben, und Rettungskräfte nicht schnell genug vorankommen. Ein Thema, das die Einwohner ebenso wie die Unternehmen berührt und angesichts der langen Planungszeiträume nicht aus den Augen verloren werden darf.
Persönlich ärgere ich mich über mich selbst, dass ich an das Projekt „Strukturwandel in der Lausitz“ anfänglich nicht geglaubt habe. Als von den Milliarden für die Lausitz gesprochen wurde, habe ich lauthals gelacht. An der Stelle musste ich mich revidieren. Was da entsteht, wird für die ganze Region bedeutsam und zukunftsträchtig sein.
Damals hat die IHK Cottbus nicht nur den Verkehrsausschuss eingesetzt, sondern 2018 seine Stimme verstärkt durch ein Wirtschafts-Verkehrs-Netzwerk. So gingen unsere darin erarbeiteten Vorschläge gebündelt und abgestimmt 2019 zur Strukturwandelkommission nach Berlin und wurden 2020 beschlossen. Das eröffnet der Lausitz große Chancen.
Ein Thema, das uns am BER bewegt und was auch jetzt in den neuen Koalitionsvereinbarungen wieder auftaucht, sind die Nachtrandzeiten im Flugverkehr. Sie spielen für Passagiere und für den Frachtbetrieb eine große Rolle. Wir erwarten deshalb von der Politik, dass – auch im Interesse eines rentablen Flughafens – einmal getroffene Entscheidungen akzeptiert werden.
Wir leisten gerne mit dem Verkehrsausschuss unseren Beitrag, um unseren Partnern und den Menschen im Umland zu erklären, was hier geschieht.
Was geben Sie Oliver Wendt mit auf den Weg?
Zunächst möchte ich meinen Kollegen vom Verkehrsausschuss danken für dreißig tolle Jahre.
Und meinem Nachfolger empfehle ich, respektlos die Themen anzugehen, kommunikativ zu sein. Es kann zwar immer einmal etwas schiefgehen, aber ich denke, die schlechten Jahre sind vorbei, es geht jetzt mit deutlich größeren Schritten voran.
Genießen Sie es! Und - bloß nicht ruhig sein!

Politik und Verwaltung den Blickwinkel des Fahrgastes nahebringen

Oliver Wendt hat Wirtschaftsingenieurwesen studiert, ist seit vielen Jahren für die Luftfahrt tätig und beim BER vor allem für die landseitige Anbindung des Flughafens zuständig.
Herr Wendt, welche Themen werden Sie in den Verkehrsausschuss mitnehmen?
Aktuell insbesondere die weitere Verbesserung der ÖPNV Anbindung an den BER. Es kommen immer mehr Menschen aus der Spreewaldregion, die auf dem BER arbeiten, von hier abfliegen oder den Flughafen als Umsteigepunkt nutzen. Hier wollen wir das Angebot zeitnah verbessern, Taktung und Netz erweitern. Überhaupt möchte ich Politik und Verwaltung den Blickwinkel des Fahrgastes nahebringen. Während auf den Flughäfen Frankfurt am Main und München sehr viele Passagiere umsteigen, ist dieser Anteil bei uns aktuell gering, also sind hier die An- und Abreisen zum Flughafen besonders wichtig. Wir wollen den Radius der Destinationen, die unsere Passagiere vom BER aus gut und schnell erreichen können, deutlich erweitern. So werden auch die Anbindungen nach Polen, vor allem nach Stettin, Posen und Breslau für uns Thema im Verkehrsausschuss sein.

Die Zusammenarbeit mit dem Hafen in Königs Wusterhausen soll deutlich ausgebaut werden, um die Möglichkeiten zu nutzen, die so ein Hafen für die materielle Versorgung des Luftverkehrs bietet.
Nachdem wir in den ersten Jahren den Flughafen zum Laufen bringen mussten, schauen wir jetzt deutlicher hinter die Kulissen, fragen stärker nach den Kosten.

Hintergrund:

Im IHK-Verkehrsausschuss sind 30 Unternehmerinnen und Unternehmer wichtiger Betriebe aus dem Südbrandenburger Verkehrsgewerbe organisiert, darunter Güter- und Personenverkehr (LKW, Bus, Eisenbahn und Taxi), Häfen und Flughäfen, Verkehrsplanungsunternehmen und Airlines. Sie vertreten ca. 3.000 Verkehrsunternehmen in der Region und beraten die IHK-Vollversammlung zu strategischen Infrastruktur- und Verkehrsthemen. Die aktive Beratung der „Kohlekommission Strukturwandel der Bundesregierung“ in den Jahren 2018 und 2019 im Rahmen ihres Engagements bei der IHK Cottbus trug dazu bei, dass alle 13 von der Wirtschaft gemeldeten Schienenprojekte in das 2020 verabschiedete Strukturstärkungsgesetz der Bundesregierung aufgenommen worden sind und nun geplant und umgesetzt werden können.