Teamwork, wie es im Buche steht

In Bad Harzburg geht die Bücher-Heimat neue Wege. Neben der Versorgung der Nordharzer Leseratten mit literarischem Nachschub setzt sich die Mitmach-Buchhandlung für soziale und gemeinnützige Zwecke ein.
In dieser Rubrik, in der wir jeden Monat ein Start-up der Region vorstellen, berichten wir häufig über neue Technologien und innovative Ideen, über Transformation und Disruption. Insofern mag die Bücher-Heimat in Bad Harzburg an dieser Stelle fast schon anachronistisch wirken: geht es doch um die jahrtausendealte „Technologie“ Buch und die Bewahrung der „guten, alten“ Buchhandlung. Doch dieser Eindruck täuscht, denn die Idee und Umsetzung der Mitmach-Buchhandlung in der Kurstadt am nördlichen Harzrand ist keineswegs altbacken. Was Dirk Junicke mit seinem ehrenamtlichen Team in Bad Harzburg schuf, könnte, davon ist der Gründer und Geschäftsführer überzeugt, ein Vorbild für ähnliche Modelle im ländlichen Raum sein.
Uns war relativ schnell klar: Das Ding kann nicht gegen den Baum fahren.

Dirk Junicke

Junicke ist sicher nicht das, was man sich unter einem typischen Entrepreneur vorstellt. Der Bauunternehmer, mittlerweile jenseits der 60, ist in Bad Harzburg und der Region längst ein bekanntes Gesicht, seit über 50 Jahren lebt er hier. Wenn man sich mit ihm unterhält, merkt man schnell, wie sehr ihm die Stadt, die ihm zur privaten und beruflichen Heimat geworden ist, am Herzen liegt. „Bad Harzburg ist ein außergewöhnlicher Ort mit außergewöhnlichen Menschen“ ist einer der Sätze, die in diesem Zusammenhang fallen. Da Junicke auch die Kultur und insbesondere Bücher schätzt, stimmte es ihn traurig, als der etablierte Buchhändler im Herzen seiner Stadt Insolvenz anmeldete und seine Türen letztmalig schloss. „Unser Wunsch war es, hier wieder eine Buchhandlung zu haben. Das haben wir einigen Leuten erzählt und daraus wurde langsam eine Bewegung“, berichtet er. Zunächst versuchte Junicke, eine renommierte Braunschweiger Buchhandlung dafür zu gewinnen, im Harzstädtchen eine Filiale zu eröffnen, doch dieser Plan scheiterte. „Langsam“, erinnert er sich, „kristallisierte sich heraus, dass wir selber eine Buchhandlung eröffnen müssen.“ Als Verbündete gewann er in Sonja Weber eine erfahrene Buchhändlerin, die seit 1989 in dem nun geschlossenen Geschäft gearbeitet hatte und „auch das Gesicht dieser Buchhandlung“ war, wie ­Junicke findet. „Wir brauchten jemanden, der vom Buchhandel etwas versteht. Und Sonja ist eine Könnerin auf dem Gebiet.“ Bei der Eröffnung im April 2022 war Weber die erste von heute zwei festangestellten Mitarbeiterinnen in der Bücher-Heimat.

Große Spendenbereitschaft der Harzburger

Was die Bücher-Heimat von gewöhnlichen Buchhandlungen unterscheidet, lässt sich vordergründig bereits im Namen entdecken. Die Mitmach-Buchhandlung, wie sie sich selbst nennt, ist eine gemeinnützige GmbH (gGmbH). Das bedeute allerdings nicht, dass sie nicht darauf ausgerichtet sei, Gewinne zu erzielen, betont Junicke. Doch alle Einnahmen, die nach Deckung der laufenden Kosten übrigbleiben, würden – in Zusammenarbeit mit der Bad-Harzburg-Stiftung – gemeinnützigen Projekten im Bereich der Stadt Bad Harzburg zugeführt.
Den Erfolg macht auch aus, dass sich so viele daran beteiligt haben.

Sonja Weber

„Es war recht schnell klar, woran die alte Buchhandlung gekrankt hatte – und wie man es besser machen konnte“, erinnert sich der Gründer an die Überlegungen während der Planungsphase. So hätte es seiner Meinung nach einen zu hohen Personalstand gegeben, „und die damalige Eigentümerin hat es nicht übers Herz gebracht, jemanden zu entlassen“. Auch für Investitionen fehlte das Geld. Junicke wollte einen anderen Weg gehen. Er erzählt, dass es in Bad Harzburg eine lange Tradition des Ehrenamtes gebe: „Wenn es in der Stadt irgendwo klemmt, gibt es Leute, die das Portemonnaie aufmachen. Und genauso gibt es Leute, die ehrenamtlich etwas machen wollen.“ So entstand ein quasi genossenschaftlicher Ansatz: Die Bürger der Stadt konnten – und können sich noch heute – an Entstehung und Betrieb „ihrer“ Buchhandlung beteiligen. Das begann schon lange vor der Eröffnung: Nachdem Junicke mit dem Erwerb des ehemaligen Commerzbank-Gebäudes in der Herzog-Wilhelm-Straße das nötige Fundament geschaffen hatte, beteiligte sich die Bürgerschaft der Stadt mit ihrem Geld an der Ausstattung der Bücher-Heimat. Rund 100 000 Euro als zinsloses Darlehen bekamen die Planer so zusammen. Und auch mit Spenden hielten sich die Harzburger nicht zurück: Namensplaketten an Regalen und Stühlen der Buchhandlung zeugen von der Großzügigkeit der Harzburger, die sich im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne manifestierte. „Uns war dann relativ schnell klar: Das Ding kann nicht gegen den Baum fahren“, hatte Junicke früh ein gutes Gefühl bei seiner Unternehmung.

Laden erfüllt auch eine soziale Funktion

Getreu dem Motto der Mitmach-Buchhandlung ist das Team der Bücher-Heimat deutlich größer, als man es in einer Buchhandlung eigentlich erwarten würde. Fast 40 ehrenamtliche Kräfte unterstützen mittlerweile die festangestellten Sonja Weber und Annette Wiegmann sowie die Auszubildende Lena Scholz. Nicht nur im Verkauf, sondern je nach Veranlagung und Vorliebe in unterschiedlichen Bereichen. Monika Runge etwa war lange Jahre eine Stammkundin im insolvent gegangenen Harzburger Buchgeschäft. „Ich hatte immer sehr viel Respekt vor ihr als Kundin und dachte mir irgendwann: Jetzt rufe ich sie an“, erinnert sich Buchhändlerin Weber, wie sie Runge ins Team holte. Heute ist jene für die Planung und Organisation der kostenlosen Lesungen verantwortlich, die etwa zweimal im Monat in der Bücher-Heimat stattfinden – mit bekannten überregionalen, häufig aber auch mit lokalen Autorinnen und Autoren, „mit denen wir das Haus immer vollkriegen“. In der Bücher-Heimat, das betonen die Macher, sollen eben nicht nur Bücher, Spiele, Tonies oder Postkarten verkauft werden. Sie soll auch zu einem lebendigen Kulturleben in der Stadt beitragen und eine soziale Funktion erfüllen, unter anderem als „wirksames Mittel gegen Einsamkeit“, wie Junicke es ausdrückt. Die Lesungen vor Ort, aber zum Beispiel auch in Seniorenheimen, sowie Literaturreisen, zuletzt etwa in die Grimmwelt Kassel oder zur Marienburg, füllen diese Idee mit Leben.

Konzept mit Vorbildcharakter

Nach über eineinhalb Jahren ziehen die Macher der Mitmach-Buchhandlung ein durchweg positives Zwischenfazit. Junicke spricht von einer „absoluten Erfolgsgeschichte“, bei der sich auch nach dem Abklingen der Anfangseuphorie die gefürchteten „Mühen der Ebene“ nicht einstellen wollen. Monika Runge berichtet, dass es nicht zuletzt die helle und freundliche Atmosphäre sei, die den Kundinnen und Kunden so gut gefalle. „Viele beschweren sich bei uns: ‚Zu Ihnen kann man nicht kommen, weil man nie ohne etwas rausgeht.‘ “ Ein größeres Lob kann man sich als Buchhandlung wohl kaum wünschen. „Den Erfolg macht auch aus, dass sich so viele Menschen daran beteiligt haben“, erläutert Sonja Weber, „und alle sind der Meinung, dass es ein Stück weit auch ihre Buchhandlung ist.“
Dirk Junicke ist überzeugt, dass das vielleicht einzigartige Konzept einer Buchhandlung, die mit Freiwilligen zusammenarbeitet und mit den Einnahmen Gutes bewirkt, für kleinere Städte ohne Buchhändler beispielhaften Charakter haben kann: „Wenn das in Harzburg funktioniert, warum soll das nicht auch in Schöningen gehen?“ Auch die große Resonanz von außerhalb bestätigt den Gründer: Der Buchgroßhändler Libri berichtete in seinem Magazin über den Laden, auch die Braunschweiger „Allianz für die Region“ und sogar das Rote Sofa des NDR waren schon zu Gast. Gerade erst gewann die Bücher-Heimat außerdem ihren ersten Preis, den Niedersachsenpreis für Bürgerengagement „unbezahlbar & freiwillig“. Und der ging an diejenigen, ohne die Junickes Start-up-Idee gar nicht umzusetzen gewesen wäre: an die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer der Mitmach-Buchhandlung.
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