Kaffeerösterei in der Feuerwache

Kaffeetrinken kann jeder. Falls ich mich mit diesem Drei-Wort-Mätzchen zu weit über den Goldrand meiner Kaffeetasse gelehnt haben sollte: sorry! Von einer Könnerschaft am Kaffeepott ist mir allerdings bisher selbst aus den Weiten des Word Wide Webs noch nichts ins E-Mail-Postfach gespült worden. Die Zubereitung des Muntermachers hingegen ist ja nicht erst seit Omas ausgeklügelter Porzellanfiltertechnik eine Wissenschaft für sich. Es muss allerdings auch noch reichlich wissenschaftsferne Menschen geben, die für den schnellen Koffeinbooster zum schnöden Löslichen greifen. Sonst gäbe es die Gläser mit dem Original-Golddeckel und die vielen Nachahmer ja schon längst nicht mehr. Andere haben die Leidenschaft für Kaffee zum Beruf gemacht. So wie Marc und Sydney Schikorski.
Manches Firmenimperium startete in einer Garage, ihr Unternehmen FROG.coffee nahm seinen Anfang 2012 im elterlichen Keller. Eine Kaffee-Kapselmaschine war zuvor in die Küche eingezogen, und weil das damals „mächtig angesagt“ war, wie sich Marc Schikorski lachend an das schwer angesagte Gerät erinnert, mussten natürlich alle möglichen Sorten probiert werden. Bei diesen Verkostungsrunden muss dann der Gedanke ventiliert und rasch konkretisiert worden sein, dass man über Online-Marktplätze doch selbst mit Probierpaketen einen Versandhandel starten könnte. Von der Kapsel ging es schnell zum Kaffee in ganzer Bohne über. Nicht nur aus Müllvermeidungsgründen. Der Rest ist Firmengeschichte und kann prima auf der Homepage von FROG.coffee nachgelesen werden.

Wo einst Wehrmänner und Löschfahrzeuge zu Hause waren

Wir treffen das Unternehmerpaar in der alten Feuerwache in Schöningen. Ein imposanter Backsteinbau, in dem seit 1907 die Feuerwehr residierte. Heute ist das Gebäude in Teilen noch eine Baustelle, in einem lichtdurchfluteten Raum mit Sichtmauerwerk schon eine Kaffeerösterei. Firmenhund Matti begrüßt uns freundlich, Sydney Schikorski serviert aus der Siebträgermaschine, wie sollte es auch anders sein, einen exzellenten Cappuccino. Dieses große Gebäude mit den hohen Decken soll mal ein Café werden. Noch stehen ein paar Spinde an einer Wand, in denen vor Zeiten die Wehrmänner ihr Zeug verstauten. Rigipssäcke stapeln sich, Kabel schnüren über den Boden, Baugerüst und Werkzeug wartet auf Einsatz, Leitern ragen bis unters Fachwerk der Decke.
Wenn man dann auf der Homepage nachliest, dass der Versandhandel im vergangenen Jahr mit 50 Mitarbeitenden zehnjähriges Bestehen feierte und das Sortiment mittlerweile auf 4500 verschiedene Artikel angewachsen ist, der Laden also läuft, kann man sich schon fragen, warum man sich in diesen Zeiten, da die Materialkosten explodiert und Fachkräfte Mangelware geworden sind, so einen, wenn auch schmucken, Klotz ans Bein bindet.

„Als hätte man keine anderen Probleme“

Marc und Ehefrau Sydney lächeln: „Als wir das Objekt zum ersten Mal sahen, haben wir auch gedacht: ‚Als hätte man keine anderen Probleme!‘“ Ob es bei beiden Liebe auf den ersten Backsteinblick war, haben wir nicht recherchiert, dafür aber, dass eine eigene Rösterei schon immer ihr gemeinsamer Traum gewesen ist. „Ich habe mich gleich ins Gebäude verliebt“, sagt Marc Schikorski dann doch noch und erzählt, dass vor seinem inneren Auge eine Bildergalerie wie bei einer Diaschau flimmerte, mit Visionen, wie es mal sein könnte. „So ein bisschen wie in der Speicherstadt in Hamburg.“ Wenn man rüber in die Kaffeerösterei schaut, darf man getrost schreiben: Dieser Vergleich hinkt nicht. Im Januar 2019 kauften die beiden, die sich im selben Jahr auch noch das Ja-Wort gegeben haben, die Feuerwache. Der Betriebswirtschaftler, der zuvor eine Ausbildung zum Elektroniker für Automatisierungstechnik gemacht hat, und die gelernte Mediendesignerin machen sich daran, das Dienstgebäude der Feuerwehr zu einem Café nebst Rösterei umzugestalten.

Mit Haut und Haar der Kaffeeröstkunst verschrieben

Bevor sie sich dafür entschieden hatten, haben sie bei zwei Gläsern Wein beraten, eine Nacht darüber geschlafen. Wohl wissend, dass dies – und in diesem Moment breitet er die Arme aus, als wolle er das Projekt noch einmal nachdrücklich und anschaulich in den Mittelpunkt rücken – „fortan unser Leben sein wird“. Fortgang und Entwicklung in und an der Feuerwache lassen sich wie beim Versandhandel auf einer ansprechenden Homepage nachverfolgen und geradezu miterleben. Da spürt man die Handschrift der Mediendesignerin.
Ich habe mich gleich ins Gebäude verliebt.

Marc Schikorski

Weil sie mit Spezialisten für historische Bauten zusammengearbeitet haben, war die erste Phase für die Architekten eine Art Grundlagenforschung. Ein Beispiel: Weil die Fahrzeuge nicht nur für Ottonormalfahrer immer größer, breiter, SUV-iger geworden sind, musste zum Beispiel der Boden in der Wache über die Jahre abgetragen werden, damit die Löschfahrzeuge noch durchs Tor passten. Schon 2019 stellten sie ­Evelyn Elsässer ein, hinzu kamen ein Elektriker und ein Zimmerer. Angesichts der Preissteigerung im Zuge von Corona und Ukrainekrieg allemal besser, als auf dem abgegrasten Arbeitsmarkt immer wieder einen Korb zu kassieren, ist Marc Schikorski mit seinen Allroundern zufrieden.

Der Trommelröster – ein unverwüstliches Arbeitstier

Seit Juni des vergangenen Jahres wird nun geröstet. Im Trommelröster der Marke Probat eines deutschen Herstellers aus Emmerich am Rhein. „Das sind unverwüstliche Arbeitstiere. Dafür gibt es überhaupt keinen Gebrauchtteilemarkt. Weil unkaputtbar“, ist ­Schikorski begeistert. Evelyn Elsässer steuert die ­Maschine. Kaffeerösterin ist kein Lehrberuf, die biologisch-technische Assistentin mit Erfahrungen in der Getränkeentwicklung hat etliche Fortbildungen besucht. Und natürlich eine gehörige Portion Leidenschaft für ­Kaffee mitgebracht.
„In welchem Beruf wird man schon fürs Kaffeetrinken bezahlt?“, sagt sie schelmisch. Im Fachjargon heißt das: Der Kaffee muss sensorisch überprüft werden. Ebenso wie Bohne nicht gleich Bohne ist, ist nicht jeder Röstvorgang gleich. Elsässer steuert, wie viel Gas beim Rösten zugesetzt wird, setzt den Airflow fest. Das ist die Luft, die die Bohne während des Röstvorgangs umströmt. Handwerkliches Geschick, Geschmack und Philosophie des Rösters erzeugen also unterschiedliche Geschmacksnuancen. Bei wie viel Grad die Bohne in die Trommel kommt und wieder heraus, bestimmt ebenfalls eine Facette des Charakters des Kaffees. ­Merke: Eine Wissenschaft für sich.

Das Barista-Mobil bietet einen Vorgeschmack auf das Café

Eine Baustelle ist also schon mal final abgeräumt, eine andere macht sich derzeit vor der Feuerwache auf der Straße breit. So musste das Barista-Mobil, das die Schöninger schon mal auf das vorbereiten sollte, was da an der Feuerwache noch kommen wird, erstmal umziehen. Und zwar ans Rathaus. Auch kein schlechter Stellplatz, zumal man unter den mächtigen Baumkronen im Schatten hervorragend mittagspausieren kann. Neben allen kalten und heißen Kaffeevariationen gibt es auch süße und deftige Hefeschnecken. Avocado-Frischkäse soll himmlisch sein. Hab‘ ich nicht probiert, ich kann nur Zeugenschaft darüber ablegen, dass die Canapés von Sydney Schikorski ihresgleichen suchen. Gibt es ebenfalls in süß und herzhaft. Tartelettes-Teig geht hier beispielsweise eine Koalition mit Schinken, Lauchzwiebeln und Käse ein. „Wettschätzende Kleinigkeiten“ nennt sie diese Köstlichkeiten; klingt schmackhafter als Fingerfood. Diesen Genuss-Service baut sie parallel auch noch auf und aus. Eine Baustelle reicht eben manchmal nicht zum glücklichen Ausgelastet-Sein.
suja
7/2025