08.04.2024

IHK berät zu geplantem Biosphärengebiet

Region Bodensee-Oberschwaben: 
Die Mitglieder der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben (IHK) beschäftigten sich in ihrer Frühjahrssitzung schwerpunktmäßig mit dem geplanten Biosphärengebiet Allgäu-Oberschwaben.
Nach der Schwäbischen Alb und dem Schwarzwald könnte mit Allgäu-Oberschwaben das dritte Biosphärengebiet in Baden-Württemberg entstehen. Das Vorhaben wird stark diskutiert, der Planungsprozess läuft jedoch bereits. Der Zeitplan ist offen, bis wann die Kommunen die Entscheidung treffen, ob sie sich mit ihren Flächen beteiligen. Dies könnte 2026 oder 2027 der Fall sein. Im Rahmen ihres Schwerpunktthemas erhielten die Mitglieder der IHK-Vollversammlung als Repräsentanten der regionalen gewerblichen Wirtschaft umfassende Informationen sowie Einblicke in die aktuellen Planungen und verschiedenen Sichtweisen – und sie hatten die Gelegenheit für Fragen und Austausch.
Verankert ist der Prozess zur Ausweisung des dritten Biosphärengebiets im Koalitionsvertrag von Bündnis 90/Die Grünen und CDU vom 11. Mai 2021. Dort werde als Ziel genannt, „das Klima und die biologische Vielfalt zu schützen und regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken“, informierte Franz Bühler vom Prozessteam Biosphärengebiet im Landratsamt Ravensburg die Vollversammlungsmitglieder. Die Moore würden dabei einen Schwerpunkt bilden. Vertreter öffentlicher Belange binde man bereits in verschiedenen Arbeitsgruppen ein. Parallel dazu, so Bühler weiter, seien zur Erarbeitung einer Gebietskulisse erste Überlegungen zu möglichen Kern- und Pflege- sowie Entwicklungszonen angestellt worden. In den Kernzonen – Bühler zufolge ausschließlich aus öffentlichen Flächen bestehend – soll die Natur weitestgehend sich selbst überlassen werden. Als Pflegezonen sollten laut Bühler ausschließlich Flächen ausgewiesen werden, die bereits einen Schutzstatus als Naturschutzgebiet, Bann- und Schonwald oder NATURA-2000-Gebiet haben. Dies ist aus der Forderung entstanden, neue Auflagen insbesondere für Land- und Forstwirtschaft zu vermeiden. In der Entwicklungszone gebe es demnach keine Einschränkungen seitens des Biosphärengebietes. Dort soll vielmehr eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung gefördert werden. Der Suchraum für das Biosphärengebiet erstreckt sich auf Flächen der drei Landkreise Biberach, Sigmaringen und Ravensburg bis ins württembergische Allgäu mit Schwerpunkt im Kreis Ravensburg, der mit Ausnahme der Gemarkungen von Ravensburg und Weingarten als Ganzes enthalten ist. 
Entscheidung liegt bei den Gemeinden
Die Entscheidung für oder gegen einen Beitritt zu einem Biosphärengebiet liege aber letztendlich bei den Gemeinden, sagte Bühler. Diese können selbst bestimmen, ob sie Mitglied werden wollen oder nicht. „Die Entscheidungen werden zum Schluss bei uns in den Kommunen vor Ort getroffen“, bestätigte Timo Egger, Sprecher der eigens gegründeten Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Biosphärengebiet (KAB) der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Suchraum. „Wir stehen im engen Austausch mit dem Prozessteam und vor allem mit unseren lokalen Akteuren, von denen wir wissen, welche Befürchtungen und Bedenken sie haben.“
Tourismuswirtschaft sieht Chancen
Wesentliche Teile des geplanten Biosphärengebietes würden im Gebiet der Oberschwaben Tourismus GmbH (OTG) liegen, berichtete IHK-Geschäftsbereichsleiter Stefan Kesenheimer von den Erkenntnissen aus dem Arbeitskreis Freizeit und Tourismus. Bereits 2022 habe die OTG ein neues Marketingkonzept verabschiedet, das einen sanften, naturnahen Tourismus als Vermarktungschance betrachte, schwerpunktmäßig auf eine qualitative Tourismusentwicklung setze und zahlreiche mögliche Schnittstellen zu den allgemeinen Zielsetzungen eines Biosphärengebiets aufweise. Eine quantitative Ausdehnung der Besucherzahlen infolge der Einrichtung eines Biosphärengebiets sei aber nicht zu erwarten. 
Land- und Forstwirtschaft befürchten Einschränkungen
Das geplante Biosphärengebiet sei ein Großschutzgebiet nach Naturschutzrecht – mit unvorhersehbaren Auswirkungen auf das Eigentum und die Bewirtschaftung durch Änderungen im europäischen und deutschen Naturschutzrecht, warnte Michael Fick, Sprecher der Allianz der Landeigentümer und Bewirtschafter. Erfahrungen der Landwirte und Waldbesitzer mit anderen Naturschutzgebieten bestätigen, dass es Einschränkungen für die Land- und Forstwirtschaft geben werde. Leider sei der laufende Prozess auf ein Biosphärengebiet beschränkt. „Klima- und Naturschutz kann man ohne Großschutzgebiet wirkungsvoller und unbürokratischer fördern – wir lehnen ein Biosphärengebiet daher ab.“ Auch Armin Baumann, Holzwerk Baumann GmbH in Wangen, befürchtet durch ein weiteres Großschutzgebiet verschärfte Vorgaben für die Forst- und Landwirtschaft. Holz sei der wichtigste nachwachsende Rohstoff. Ohne eine aktive Waldwirtschaft gebe es keinen Klimaschutz. Auch Baumann plädiert dafür, Gestaltungshoheit und Verantwortung für die Region in der Region zu halten.
Vollversammlung benötigt mehr Information
Die Mitglieder der IHK-Vollversammlung äußerten Verunsicherung über das mögliche Biosphärengebiet, insbesondere, da weite Teile des Landkreises Ravensburg als Entwicklungszone unter das Naturschutzgesetz fallen könnten. Die Unternehmen befürchten hier zukünftige Nutzungsbeschränkungen, etwa bei der Ausweisung und Entwicklung neuer Gewerbeflächen. Auch zeigten mehrere der Anwesenden kein Verständnis dafür, dass die Region nicht viel intensiver und transparenter in den bisherigen Prozess einbezogen worden sei, das Biosphärengebiet einzurichten. Man sei als Region zwar touristisch durchaus attraktiv, aber dennoch durch einen starken industriellen Mittelstand geprägt, der aufgrund der Siedlungsstruktur der Region nicht in einzelnen Städten konzentriert sei. Kesenheimer kündigte an, die IHK werde die Vor- und Nachteile des Biosphärengebiets sorgfältig gegeneinander abwägen, bevor ein Beschluss dazu gefasst werde. „Wir müssen uns klar sein, dass die Konzepte von anderen Biosphärengebieten in anderen Regionen nicht eins zu eins auf unsere Region übertragbar sind, da sich unsere wirtschaftliche Ausgangsstruktur von diesen unterscheidet. Wir begleiten daher den Prozess weiter kritisch und werden uns aktiv in die Debatte einbringen.“
Das geplante Biosphärengebiet Oberschwaben-Allgäu
Biosphärengebiet:
Ein Biosphärenreservat (BSR) ist eine von der UNESCO initiierte Modellregion, in der nachhaltige Entwicklung in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht exemplarisch verwirklicht werden soll. In Baden-Württemberg gibt es derzeit zwei aktive Biosphärengebiete: Schwäbische Alb und Schwarzwald. Kerngebiete der Kernzonen waren dort jeweils ein aufgelassener Truppenübungsplatz der Bundeswehr und ein bereits bestehender Naturpark.
Kernzone: Diese Bereiche eines Biosphärenreservates dienen langfristigem Naturschutz gemäß den Schutzzielen. Kernzonen sind in der Regel von der wirtschaftlichen Nutzung ausgeschlossen. 
Pflegezone: Hier sollen Aktivitäten schonender, naturnaher Landnutzung stattfinden, die mit den Schutzzielen vereinbar sind, zum Beispiel schonender Tourismus oder ressourcenschonender Landbau.
Entwicklungszone: In diesen besiedelten und flächenmäßig meist größten Bereichen eines Biosphärenreservats geht es vor allem darum, mit Modellprojekten für eine nachhaltige Bewirtschaftung von Ressourcen zu werben und diese zu fördern.
Medieninformation Nr. 31/2024