Positionen Sicherheit und Verteidigung

Angesichts wachsender sicherheitspolitischer Bedrohungen erkennt die IHK Bodensee-Oberschwaben die zentrale Rolle der Wirtschaft für die Gesamtverteidigung an. Die Vollversammlung hat am 16. Juli 2025 Positionen verabschiedet, die die Bedeutung verteidigungsrelevanter Branchen, kritischer Infrastruktur und gesamtgesellschaftlicher Resilienz betonen. Unternehmen sind nicht nur potenzielle Ziele, sondern zugleich unverzichtbare Akteure zur Sicherung von Frieden, Freiheit und Wohlstand.
Die Europäische Kommission spricht in ihrem Weißbuch zur europäischen Verteidigungsfähigkeit 2030 von einer historischen Herausforderung für Europa. Für die zweite Hälfte dieses Jahrzehnts wird die Entstehung einer neuen internationalen Ordnung prognostiziert, deren Auswirkungen weit über das laufende Jahrzehnt hinausreichen. Die aktuelle NATO-Strategie konstatiert, dass im euroatlantischen Raum kein Frieden mehr herrscht. Die deutschen Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung benennen Deutschland explizit als militärisch bedroht. Diese und weitere strategischen Dokumente wurden von den jeweils zuständigen Staats- und Regierungschefs verabschiedet und spiegeln den sicherheitspolitischen Konsens auf europäischer wie nationaler Ebene wider.
Die Friedensphase nach dem Ende des Kalten Krieges ist demnach vorbei. Die Wirtschaft ist hiervon in vielfältiger Weise betroffen, sowohl als potenzielles Ziel als auch als wesentlicher Akteur. Unternehmen sehen sich zunehmenden Bedrohungslagen ausgesetzt, etwa durch Spionage, Sabotage, Störungen globaler Lieferketten, strategische Abhängigkeiten bei kritischen Rohstoffen sowie durch die komplexen Auswirkungen hybrider und militärischer Angriffe. Gleichzeitig kommt der Wirtschaft eine zentrale Rolle bei der Bewältigung sicherheitspolitischer Heraus-forderungen zu. Sie ist in zahlreichen Bereichen Teil der Lösung, etwa durch die Rüstungsindustrie und verteidigungsrelevante Branchen, im Bau und Betrieb kritischer Infrastruktur, bei der Versorgung von Streitkräften und Bevölkerung, in Logistik und Instandsetzung sowie bei der Aufrechterhaltung gesamtgesellschaftlicher Resilienz.

Wirtschaftsrelevante Positionen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der IHK Bodensee-Oberschwaben:

  • Sicherheit und Verteidigung dienen der Sicherung des Friedens als Grundlage von Wirtschaft, Freiheit und Wohlstand: Die glaubhafte Fähigkeit zur gesamtstaatlichen zivil-militärischen Verteidigung ist hierbei Voraussetzung, aufgrund dieses Wirtschaftsbezugs äußert sich die IHK zu diesem Thema.
  • Die IHK Bodensee-Oberschwaben erkennt daher die hohe Bedeutung und den Vorrang der damit verbundenen Maßnahmen an, von der Stärkung und Unterstützung der Streitkräfte über die Förderung der Rüstungsindustrie und weiterer verteidigungsrelevanter Branchen bis hin zur erforderlichen Infrastruktur. Bei der Umsetzung ist jeweils darauf zu achten, dass Synergien, Mehrfachnutzungen und weitere positive Effekte für die Gesamtwirtschaft aktiv ermittelt und genutzt werden. Wo immer möglich, müssen öffentliche Mittel für die Gesamtverteidigung zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, da eine leistungsfähige und mit guter Infrastruktur ausgestattete Gesamtwirtschaft ebenfalls zur Gesamtverteidigung und deren Finanzierung beiträgt. Zusätzlich zur Verfügung gestellte Mittel für die Gesamtverteidigung dürfen jedoch nicht dazu führen, dass der Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit bei anderen Ausgaben gelockert wird.
  • Überragendes öffentliches Interesse von Maßnahmen der Gesamtverteidigung: Für Infrastrukturmaßnahmen der Gesamtverteidigung sollte in den relevanten Rechtsvorschriften möglichst schnell das überragende öffentliche Interesse festgeschrieben werden. Dadurch werden andere Interessen und Schutzgüter (zum Beispiel Umwelt, Denkmalschutz) weiterhin berücksichtigt, bei der Güterabwägung erhalten die Interessen der Gesamtverteidigung eine stärkere Gewichtung. Dadurch wird auch mehr Planungssicherheit in der verteidigungspolitisch tangierten Wirtschaft hergestellt.
  • Planungssicherheit und Pragmatismus bei der Finanzierung: Die Rüstungsindustrie steht vor der Herausforderung, innerhalb kürzester Zeit von spezialisierten Einzelfertigungen auf eine skalierte Serienfertigung mit verteidigungstauglichen Stückzahlen umzustellen. Auch im Bereich der Infrastrukturen müssen in kurzer Zeit die Kapazitäten erweitert werden. Für die jeweiligen Unternehmen ist eine langfristige Planungssicherheit unerlässlich, um die hierfür erforderlichen Personal- und Kapazitätszuwächse realisieren zu können. Beschaffungsprojekte müssen entsprechend langfristig, mit angemessenem Volumen und bürokratiearm angelegt sein. Vergaberegeln müssen entsprechend angepasst werden.
  • Taxonomie und Nachhaltigkeitsberichte: Regeln für Finanzinstitute und Finanzierungsinstrumente müssen so angepasst werden, dass eine sichere und marktübliche Finanzierung von Rüstungsunternehmen und weiteren verteidigungsrelevanten Branchen sichergestellt ist. Innovationen, Kapazitätszuwachs und die Sicherstellung der notwendigen Produktion dürfen nicht durch übermäßige Berichtspflichten gehemmt werden.
  • Sicherheits- und Verteidigungsindustrie mit der Zivilgesellschaft verzahnen: Bundes- und Landesregierung sind aufgefordert, durch Informationen und Diskussionen über aktuelle Bedrohungsszenarien zu informieren und die Notwendigkeiten von Maßnahmen auch für die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft deutlich zu machen, da nur durch breite Akzeptanz die Investitionssicherheit und Innovationsbereitschaft in sicherheitsrelevanten Branchen gefördert und neue Marktpotenziale im Bereich Dual-Use und kritische Infrastruktur wirtschaftlich erschlossen werden können. Allen hierfür offenen Forschenden und Lehrenden an Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Schulen soll es möglich sein, mit der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sowie mit Streitkräften und weiteren Akteuren der Gesamtverteidigung mit so wenig wie möglich institutionellen oder rechtlichen Hemmnissen zu kooperieren.
  • Sicherheitspolitische Dialoge: Die bisherigen Instrumente und Gremien rund um Zivilschutz und Verteidigung decken nicht den gesamten Handlungsrahmen der Gesamtverteidigung ab. Bundes- und Landesregierung sind aufgerufen, für die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche geeignete sicherheitspolitische Formate und Dialoge unter Einbindung aller relevanten Stakeholder umzusetzen.
  • Einem möglichen „Gesellschaftsjahr“ bzw. einem „neuen Wehrdienst“ stehen wir offen gegenüber, sofern hiermit neben der notwendigen Aufwuchsfähigkeit der militärischen Reserve auch gezielt in weiteren Wirtschaftszweigen mit Mangelbereichen wie zum Beispiel Gesundheitsversorgung und Zivilschutz weitere Kapazitäten geschaffen werden. Gleichzeitig muss angesichts des Fachkräftemangels sichergestellt sein, dass für Mangelberufe eine niederschwellige Freistellung möglich ist.

Beschlussfassung durch die IHK Bodensee-Oberschwaben:

Die Vollversammlung der IHK Bodensee-Oberschwaben hat in ihrer Sitzung am 16. Juli 2025 den Beschluss zu den Positionen Sicherheit und Verteidigung gefasst.