Leitfaden zur Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU

Die Europäische Kommission hat Mitte November einen neuen Leitfaden zur Niederspannungsrichtlinie veröffentlicht. Dieser erläutert zahlreiche häufige Fragen bei der Auslegung dieser Richtlinie.
Zum 20. April 2016 hatte die Richtlinie 2014/35/EU die frühere Niederspannungsrichtlinie 2006/95/EG abgelöst. Dies war in erster Linie in der Anpassung dieser und weiterer Richtlinien an das "New Legislative Framework" begründet. Wenngleich Anwendungsbereich und Zielsetzung der Niederspannungsrichtlinie sich dadurch nicht grundsätzlich verändert haben, brachte die neue Fassung doch eine Reihe von Anpassungen mit sich, die in der Praxis vereinzelt zu Unklarheiten führten.
Insofern unterstützt der Leitfaden insbesondere die Interpretation von einzelnen Passagen der Richtlinie. Grundsätzlich entfalten derartige Leitfäden keine Rechtswirkung, werden jedoch in der Praxis vielfach eingesetzt und anerkannt. Nicht im Detail erläutert wird eine der häufigsten Fragen in Zusammenhang mit der neuen Richtlinie, nämlich die nach der Risikoanalyse und -bewertung. Im Wesentlichen wird diese Thematik in Paragraph 60 des Leitfadens auf einen kurzen Verweis auf den Blue Guide beschränkt. Dies erscheint jedoch positiv, da auf diese Weise eine sehr allgemeine Form der Risikobewertung nahegelegt wird, die ohnehin - unabhängig von der CE-Kennzeichnung - im Rahmen jeder Produktentwicklung sinnvoll ist. Stark vereinfacht besteht dieses Vorgehen in folgenden Schritten:
  • Schritt 1: Auflistung sämtlicher von einem Produkt ausgehender potenzieller Risiken in allen Lebensphasen und Betriebs- beziehungsweise Fehlerzuständen
  • Schritt 2: Abgleich dieser Risiken mit gesetzlichen Vorgaben beziehungsweise Schutzzielen entsprechender Gesetze und Verordnungen
  • Schritt 3: Festlegung/Feststellung der im konkreten Fall relevanten Anforderungen beziehungsweise Schutzziele sowie sonstiger relevanter Sicherheitsaspekte in Zusammenhang mit dem Produkt
  • Schritt 4: Festlegung und Dokumentation der Maßnahmen, wie diese Sicherheitsziele erreicht werden. Einen wichtigen Aspekt stellen hierbei die expliziten Vorgaben beispielsweise aus den CE-Richtlinien oder dem Produktsicherheitsgesetz dar. Typischerweise werden im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens harmonisierte Normen herangezogen. Durch "Abgleich" zwischen Norm und Schutzziel/Risiko wird dokumentiert, in welcher Weise ein Risiko gemindert wurde. Unabhängig von CE-Richtlinien oder harmonisierten Normen werden typischerweise weitere Maßnahmen dokumentiert.
Wichtig ist hierbei der Umstand, dass die Risikoanalyse nicht - wie eventuell aus der Auflistung als Teil der technischen Unterlagen ableitbar - am Ende einer Produktentwicklung erstellt wird, sondern im Kontext der CE-Richtlinien ein zentrales Werkzeug darstellt: Ein Hersteller kann sich anhand dieses (durchaus individuell gestaltbaren) Dokuments systematisch von der frühzeitigen Ermittlung der wesentlichen Anforderungen der Richtlinien über konkrete Maßnahmen zur Risikominderung im Rahmen der Produktentstehung, Konstruktion und Produktion bis zur Dokumentation bewegen.
Eine gute Vorlage stellen in der Regel die umfangreichen online verfügbaren Informationen rund um die DIN EN ISO 12100 (oder die Norm) selber dar. Diese ist als harmonisierte Norm zur Maschinenrichtlinie gelistet und erläutert detailliert eine Vorgehensweise, die sich sinngemäß auf andere Produktbereiche übertragen lässt. Zudem findet sich dieses Konzept auch im CENELEC Guide 32 wieder, wo die entsprechende Vorgehensweise anhand der Niederspannungsrichtlinie thematisiert wird. Unabhängig von der Risikoanalyse enthält der Leitfaden eine Reihe praktischer Informationen beispielsweise rund um die Konformitätserklärung. So wird etwa Importeuren nahegelegt, mit Blick auf die erforderliche Übersetzung der Konformitätserklärung eine entsprechende vertragliche Vereinbarung mit dem Hersteller vorzusehen.
Sie finden den Leitfaden zur Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU auf der Website der Europäischen Kommission. Insbesondere Herstellern und Importeuren empfehlen wir zudem die Berücksichtigung der Hinweise im neuen Blue Guide, wo zahlreiche häufige Fragestellungen rund um die CE-Kennzeichnung detailliert erläutert werden.
Kennen Sie auch schon unseren Leitfaden zur Produkthaftung? Hier haben wir unter anderem rechtliche Grundlagen sowie die häufigsten Fallstricke in der Praxis kompakt zusammengefasst.