Zweites Leben für gute Kleidung

Der Second-Hand-Modemarkt wächst rasant. Nicht nur, weil die Kund:innen Kosten sparen, sondern auch, weil sie nachhaltiger einkaufen wollen. Wir haben uns beispielhaft drei verschiedene Ladenkonzepte in Bochum angeschaut: Womit sind sie erfolgreich?
Von Christina Kiesewetter

Zwergenlädchen

Schnell raus aus dem Schneeregen und hinein in den einladenden Geschäftsraum voller bunter Kindersachen an der Hattinger Straße 59. Die Kundin hat ein Baby auf dem Arm und wird von Hanna Tenholt direkt begrüßt: „Wie kann ich Ihnen helfen?“ Die junge Mutter schaut sich um. „Ich suche eine Schneehose für meinen Sohn, er ist fünf Jahre alt.“ Zielstrebig geht Hanna Tenholt auf eine Kleiderstange zu und sucht eine Hose heraus: „Die müsste passen.“
Dass wir hier in einem Second-Hand-Laden stehen, ist auf den ersten Blick nicht sichtbar. Die Waren sind mit viel Liebe zum Detail sortiert, die Beratung ist bestens, alles ist professionell etikettiert, an der Kasse zahlt man auch mit Karte und bekommt einen Bon für einen möglichen Umtausch. Erst auf den zweiten Blick fällt auf: Ja, die Kleidung hängt schon sehr eng hier. Und es gibt fast nur Unikate.
Die Kleidung im vorderen Bereich ist nach Größe sortiert, weiter hinten im Laden gibt es auch Spielzeug, Bücher, Gesellschaftsspiele und andere Kleinigkeiten. Außerdem bietet das Zwergenlädchen Umstandsmode an. „Nur für Kinderwagen und Kinderfahrzeuge reicht der Platz wirklich nicht“, sagt Hanna Tenholt lachend und blickt sich im Laden um. Gerade jetzt im Winter mussten sie und ihre Schwester Marie zwischenzeitlich einen Annahmestopp machen, weil einfach alles voll war. „Aber nach ein paar Tagen ist dann auch viel wieder verkauft, und wir können nachschieben.“ 
Anfang 2022 haben Hanna und Marie Tenholt das Abenteuer Selbstständigkeit gewagt; es war ein lang gehegter Traum der beiden. Zufällig sahen sie am Laden an der Hattinger Straße einen Zettel, dass eine Nachfolge gesucht wird. Dann haben sie sich schnell entschieden. Für Marie (36) war klar, dass sie den Laden als Mutter von zwei Kindern nicht allein führen kann. Hanna (39) fühlte sich in ihrem Job als Pflegerin ausgebrannt, kündigte und stieg mit ein. In Windeseile haben sie den Laden renoviert. Außerdem haben sie eine Website, einen Instagram- und einen Facebook-Account aufgebaut und setzen die Waren darin liebevoll in Szene.
„Second Hand bedeutet, wertvolle Ressourcen zu schonen, aber auch hautfreundliche Produkte zu kaufen, die keine Rückstände von Pestiziden, Farbstoffen oder Düngemitteln mehr aufweisen.“ 
Das Konzept der Vorgängerin aber ist geblieben: Jede:r kann mit Termin gebrauchte Kleidung und Spielzeug vorbeibringen, Hanna und Marie suchen dann aus, was sie ins Angebot aufnehmen, und legen einen Preis fest. 40 Prozent vom Verkaufspreis bekommt der Kunde bzw. die Kundin. Vier Monate bleibt die Ware maximal im Laden. Was nicht verkauft wird, holen die Kund:innen entweder wieder ab, oder sie spenden es.
„Second Hand bedeutet, wertvolle Ressourcen zu schonen, aber auch hautfreundliche Produkte zu kaufen, die keine Rückstände von Pestiziden, Farbstoffen oder Düngemitteln mehr aufweisen“, schreiben die Schwester auf ihrer Website. Gerade bei Kinderkleidung sei das Kaufmotiv aber natürlich auch der Preis.

Steeze Vintage

Das Image von Second Hand wandelt sich deutlich. Dass man spart, ist nur noch eine Kaufmotivation von vielen. Nachhaltiges Einkaufen wird zentraler. Die Beratungsgesellschaft PwC geht davon aus, „dass das Volumen des Second-Hand-Modemarktes in Deutschland von rund 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2022 auf fünf bis sechs Milliarden Euro bis 2025 ansteigen wird“. Für den gesamten Markt mit gebrauchten Waren prognostizierte der Handelsverband Deutschland ein Wachstum von acht Prozent auf rund 15 Milliarden Euro für das Jahr 2023.
Beim Kauf von Second-Hand-Mode und -Accessoires spielt der Online-Handel zwar eine zentrale Rolle. Rund 39 Prozent der Verbraucher:innen kaufen Second-Hand-Bekleidung und -schuhe aber lieber stationär ein.
Von diesen Zahlen profitieren auch Alicia Coniglio und Noel Riepe mit ihrem Laden Steeze Vintage. Das junge Unternehmerpaar – beide sind 25 Jahre alt – hat 2022 an der Kortumstraße 107 in der Bochumer City den ersten Store eröffnet. „Schon damals wollten wir gerne in den Ruhr Park, jetzt hat es geklappt“, freut sich Noel Riepe. Mit dem Park-Management ist ein Pop-up-Store vereinbart worden, der in die Räume von der Marke Gerry Weber gezogen ist und vorerst zwei Monate läuft. Dann tauscht man sich zu den Erfahrungen aus, und es gibt die Option, bis April zu verlängern. Danach entscheiden beide Seiten, ob Second Hand im Ruhr Park eine Heimat finden soll.
Denn das Konzept ist dort völlig neu. „Die ersten Kunden haben zunächst gar nicht gesehen, dass wir keine Neuware anbieten, und gefragt, ob wir ein Teil auch eine Nummer größer haben“, erzählt Alicia. Der Store lässt das auch nicht direkt vermuten. Mit viel Platz auf 300 Quadratmetern kommt jedes Stück gut zur Geltung. Derzeit ist die Herrenmode noch in der Überzahl. „Manche Kunden gehen sofort wieder raus, wenn sie sehen, dass es Second Hand ist, andere freuen sich richtig darüber und beginnen zu stöbern.“ In der Innenstadt seien die Kund:innen ganz anders. „Da ist Second Hand gelernt, und wir haben viele Stammkunden“, so Noel Riepe.
„Schon damals wollten wir gerne in den Ruhr Park, jetzt hat es geklappt.“
Das Geschäft im Hintergrund läuft allerdings etwas anders als im klassischen Second-Hand-Bereich: Steeze Vintage kauft von professionellen Händler:innen an, die gebrauchte Kleidung in großem Stil aufkaufen. Dort suchen die beiden vor allem nach Vintage-Teilen – das heißt ältere Kollektionen von wertigen Marken. Vintage ist ein riesiger Markt, der vor allem im Internet boomt. Wer in einen Vintage-Store geht, sollte daher nicht zu gezielt nach einem bestimmten Teil suchen, sondern nach einem überraschenden Schatz stöbern. Und der kann durchaus hochpreisig sein. An den Etiketten von gebrauchten Pullovern oder Strickjacken für rund 100 Euro hat das Paar deshalb Stempel aufgebracht wie „Fine Materials“, „Special“ oder „Designer“. Sie orientieren sich dabei an den Preisen im Internet.
Für die Bedingungen im Ruhr Park müssen sich die beiden gerade sehr strecken. Montag bis Samstag muss der Laden von 10 bis 20 Uhr geöffnet sein. 60 Öffnungsstunden im Ruhr Park und 40 Öffnungsstunden in der Bochumer City wollen also abgedeckt sein. Außerdem wägen die beiden nun immer ab, welches neue Teil sie in welchem Store anbieten. Unterstützt werden sie beim Waschen und Bügeln der Ware gerade noch von ihren Familien. „Meine Oma bügelt alles“, verrät Alicia Coniglio. Sie machen ebenfalls auf Instagram Werbung für schicke Einzelteile und locken so weitere Kund:innen in die Läden.

Misfits

Nur 140 Meter Fußweg trennen Steeze Vintage an der Kortumstraße vom Second-Hand-Laden Misfits an der Brückstraße. An Erfahrung trennen die beiden Unternehmen allerdings 40 Jahre. Vera Vorkorte führt ihren Laden in Bochum seit 1983. Ihre Stammkundschaft ist deshalb eine kleine Gemeinschaft geworden, und die 73-jährige Geschäftsführerin sagt selbstbewusst: „Meine Kundinnen sind mit mir älter geworden.“
Eine Freundin und Kundin steht gerade im Laden und hat bereits eine Tasche voller Einkäufe neben sich. „Vera hat mich angerufen, weil sie Schuhe in meiner Größe hereinbekommen hat, die ich suchte“, erzählt sie. Da sie bald zur Kur fahre, brauchte sie auch einen Bademantel und viele andere Kleinigkeiten. Vera Vorkorte hat alles für sie aufgetrieben. „Was ich allein damit jetzt gespart habe!“, sagt die Kundin fröhlich.
Seit März 1983 wurde nichts umgebaut in dem kleinen Laden, trotzdem sieht er immer wieder neu aus. Neben Kleidung gibt es Accessoires, kleine Deko-Artikel, auch mal ein Puzzle. Die Einnahmen teilt sich Vera Vorkorte 50:50 mit ihren Kund:innen.
„Ich muss sagen, für mich war die schönste Zeit der Anfang des Ladens bis zum Jahr 2000 etwa.“ Es war auch die umsatzstärkste Zeit. Von Corona haben sich ihre Verkaufszahlen leider nicht vollständig erholt. Es ist mühsam geworden; glücklicherweise hat ihre Vermieterin während Corona die Miete erheblich gesenkt.
„Ausgefallene Stücke von früher finde ich immer noch ganz toll. Ich freue mich richtig, wenn jemand damit in den Laden kommt.“
Vera Vorkorte ist mittlerweile Rentnerin, macht aber weiter. „Es macht mir immer noch Spaß.“ Allerdings nicht endlos. „So in einem Jahr möchte ich schon aufhören. Vielleicht hänge ich mal einen Zettel ins Fenster, dass ich eine Nachfolge suche.“ Bis dahin findet bei ihr jeder etwas, der Lust auf gute Alltagskleidung hat, aber auch Leute, die sich für Mottopartys oder Theateraufführungen einkleiden wollen. „Ausgefallene Stücke von früher finde ich immer noch ganz toll. Ich freue mich richtig, wenn jemand damit in den Laden kommt.“
Drei unterschiedliche Ansätze, ein Prinzip: neues Leben für gebrauchte Kleidung. An Nachschub mangelt es auch in Zukunft nicht: Hochgerechnet 82 Milliarden Euro beträgt der Wert der ungenutzten Produkte in allen Haushalten Deutschlands. Das zeigt die „Circular Economy Studie“, die YouGov 2022 im Auftrag von eBay Kleinanzeigen und mit wissenschaftlicher Begleitung des Wuppertal Instituts durchgeführt hat. Danach gaben auch 57 Prozent der Befragten an, Kleidung, Schuhe und Accessoires zu besitzen, die sie seit mindestens zwölf Monaten nicht mehr getragen haben.
Gehören Sie dazu? Dann bieten Sie Ihre Stücke doch einem passenden Laden in Ihrer Gegend an und helfen Sie der Second-Hand-Branche, weiter zu wachsen.

Second-Hand-Läden im Kammerbezirk

Bochum:
• Steeze Vintage, Kortumstraße 107, Mo – Do 13 – 19 Uhr, Fr & Sa 11 – 19 Uhr, Ruhr Park, Mo – Sa 10 – 12 Uhr, instagram.com/steezevintage_/
• Rosenrot, Große Beckstraße 4, Mo – Fr 12 – 18 Uhr, Do 12 – 19 Uhr, Sa 12 – 16 Uhr, instagram.com/rosenrotbowi/
• Think Twice, Kortumstraße 120, Mo – Sa 10 – 19 Uhr, thinktwice-secondhand.de
• Stoff-Wechsel, Kortumstraße 115, Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa 12 – 16 Uhr, instagram.com/stoff_wechsel_bochum/
• Le Salon Vintage, Oskar-Hoffmann-Straße 43, Mi – Fr 12 – 18:30 Uhr, Sa 11 – 15:30 Uhr, le-salon-bochum.de

Für Kinder:
• Zwergenlädchen
, Hattinger Straße 59, Mo, Fr & Sa 10 – 13 Uhr, Di – Do 9 – 12 Uhr, Mo – Fr auch 15 – 18 Uhr, zwergenlaedchen.de
• Limpiddu, Hattinger Straße 359, Mo 11 – 17 Uhr, Di & Do 10 – 13 Uhr und 14:30 – 17 Uhr, Fr 10 – 14 Uhr, instagram.com/limpiddu_secondhand
• Storchennest, Hiltroper Straße 365, Di – Sa 9 – 13 Uhr, Di – Fr auch 15 – 17:30 Uhr, storchennest-bochum.de

Witten:
• Rosenrot,
Casinostraße 6a, Mo – Fr 11 – 18 Uhr, Sa 11 – 15 Uhr, instagram.com/rosenrotbowi/
• Für Elise, Steinstraße 9, Di – Fr 11 – 18 Uhr, Sa 11 – 16 Uhr, fuerelise.com
• Tragbar, Annenstraße 118 – 122, Mo – Do 9 – 17 Uhr, Fr 9 – 16:30 Uhr, Sa 10 – 15 Uhr

Herne:
Für Kinder:
• Wühl Maus,
Sodinger Straße 8, Di – Do 10 – 12 Uhr & 16 – 18 Uhr, Mo & Fr 10 – 15 Uhr, www.wuehl-maus.de
• Der kleine Froschkönig, Hauptstraße 221, Mo – Fr 9:30 – 13:30 Uhr, außer Di auch 14:30 – 18 Uhr, froschkoenig-in-wanne.business.site