So machen sich Berufskollegs fit für die Zukunft

Unser System der dualen Ausbildung hat weltweit einen exzellenten Ruf. Hand in Hand machen Wirtschaft und Schule junge Menschen fit für den Beruf. Das bedeutet aber auch: Mit der Transformation der Arbeitswelt müssen sich die Berufskollegs ebenfalls neu aufstellen. Am Beispiel Bochum wird deutlich: Das funktioniert am besten, wenn sich alle Schulen zusammentun und Synergien nutzen.

Von Christina Kiesewetter
Die Laptops stapeln sich in der Regalwand, unterschiedliche PCs reihen sich unter Schreibtischen aneinander, Bildschirme, Festplatten, Kabel und weiteres IT-Zubehör bedecken jeden Zentimeter der Schreibtische. Die Fensterfront ist abgedunkelt. Den Schlüssel zu diesem IT-Laborraum hat Ralf Adams, Schulleiter der Technischen Beruflichen Schule 1 (TBS1) in Bochum. „Wir sind hier wirklich gut ausgestattet, haben Spenden vom Landesamt für Datenverarbeitung und von Straßen.NRW bekommen“, berichtet Adams und geht durch die schmalen Gänge des kleinen IT-Laborraums.
In den Klassenräumen sitzen alle Schüler:innen vor Laptops, kommunizieren über Microsoft Teams mit stabilen Internetverbindungen und sehen am Whiteboard direkt, was ihre Lehrkraft gerade in einer neuen Software ausprobiert. „Bei der Sanierung vor knapp zehn Jahren konnten wir alles hier neu planen“, sagt Adams. „Er zeigt auf die vielen Steckdosen und Netzanschlüsse an den Wänden. „Jedes Klassenzimmer ist rundum verkabelt.“ Dass ein Schulleiter solche Fakten als Pluspunkt und nicht als Selbstverständlichkeit verbucht, spricht für sich: Mit dem „­Digitalpakt Schule“ hat die Stadt bis 2024 zwar 21 Millionen Euro in die IT-Infrastruktur der Schulen gesteckt, aber Support und schnelle Wartung erledigen die Schulen oft in Eigenregie und ohne zusätzliche Mittel, weil es schnell gehen muss und die Stadt dafür zu wenig Personal hat. „Die Berufskollegs tauschen sich zu solchen Themen natürlich aus und arbeiten gemeinsam an den besten Lösungen“, sagt Adams.

Gemeinsam stark: regionales Bildungszentrum Bochum

Und das zeichnet Bochum aus: Die Stadt ist ein gutes ­Beispiel dafür, wie viel Berufskollegs leisten, um das weltweit anerkannte System der dualen Ausbildung lebendig zu halten und zukunftsfähig zu machen. Mit dem Regionalen Bildungszentrum (RBZ, Info-Kasten S. 10) arbeiten sie ohnehin strategisch gemeinsam an Themen. Wie gut die Schulleitungen in Bochum darüber hinaus vernetzt sind, wird schon bei der Recherche zu dieser Geschichte deutlich: Nach dem Anruf beim ersten Schulleiter wissen die anderen vier wenig später Bescheid und entscheiden sich kurzerhand, einen ­Gesprächstermin zu dritt auszumachen. Beim anschließenden Fotoshooting stehen sie Arm in Arm vor der Fotografin.
„Die Synergieeffekte sind einfach enorm, wenn wir vernetzt arbeiten“, sagt Andreas Surwehme vom Walter-Gropius-­Berufskolleg, das den Schwerpunkt auf Technik, Gestaltung und Präparation legt. Schließlich haben alle die gleichen ­Zukunftsthemen: „Digitalisierung und KI, Internationalisierung sowie Demokratieförderung und Gewaltprävention“, sagt Johannes Kohtz-Cavlak vom Alice-Salomon-Berufskolleg, der auch Sprecher des RBZ ist, und die Kollegen stimmen zu. Den Shift auf dem Arbeitsmarkt erleben die Berufskollegs ebenfalls hautnah: Wo Azubis früher Klinken geputzt haben, um eine Stelle zu finden, seien es heute oft die Firmen selbst, die sich in der Schule melden. „Ich habe oft Anfragen wie: Wir suchen gerade diese und jene Fachkraft, haben Sie da nicht jemanden, der dieses Jahr fertig wird“, berichtet Knud Rosenboom vom Klaus-Steilmann-Berufskolleg, das einen Schwerpunkt auf Gesundheitsberufe legt. Die Schulleitungskollegen nicken. Sie machen die gleichen Erfahrungen. Gemeinsam arbeiten die Berufskolleg außerdem daran, das Image der dualen Ausbildung zu heben. Ralf Adams sagt: „Egal wo sie starten: Wenn Sie in der IT in einem Unternehmen ankommen, das Sie fördert und braucht, verdienen Sie in zehn Jahren das, was Sie der Firma wert sind.“ Und das kann eine Menge sein.
„Die duale Ausbildung ist ein Herzstück unseres Bildungssystems – sie gibt jungen Menschen echte Chancen und verbindet Theorie und Praxis so, wie es kaum ein anderes Land schafft.“
Mit Blick auf die Zukunft gehen die Berufskollegs außerdem Kooperationen mit Hochschulen ein. „Unser Ziel ist es, jungen Menschen echte Perspektiven zu eröffnen, indem wir Ausbildung und Studium sinnvoll verzahnen“, sagt Susanne Muthig-Beilmann. Leiterin der Louis-Baare-Berufskollegs. „Damit leisten wir nicht nur einen Beitrag zur individuellen Bildungsbiografie, sondern stärken auch den Wirtschaftsstandort Bochum nachhaltig. Die gezielte Kombination von beruflicher Praxis und akademischer Qualifizierung ist ein Schlüssel zur Fachkräfte- und Führungskräftesicherung von morgen, genau das ist das Ziel unseres RBZ."

Viele Inhalte der Berufsschule seien gleichwertig zu denen eines Studiums. Schüler:innen könnten deshalb zum Beispiel Creditpoints sammeln, um sich an der Hochschule Leistungen anerkennen zu lassen. Diese Idee heißt „Studienintegrierte Ausbildung (SiA-NRW)“. Gerade sind die Berufskollegs auf der Suche nach Hochschulen, die sich als feste Partner eignen. Azubis sollen nach diesem SiA-Konzept leichter entscheiden können, ob sie einen Doppelabschluss anstreben und zusätzlich ein duales Studium abschließen wollen. Es ist also einiges auf dem Weg für die Zukunft der dualen Ausbildung. Und das, findet Kohtz-Cavlak, darf man beim Blick auf Störfaktoren nicht aus dem Blick verlieren: „Ich ­finde, es läuft verdammt viel verdammt gut!“

Bochumer Unternehmen: Der Fächerzuschnitt sollte ­geschärft werden

Das kann Matthias Kulik, bei eku Kabel & Systeme in Bochum für die Ausbildung zuständig, grundsätzlich unterschreiben. Das Unternehmen bildet Kaufleute für Groß- und Außenhandelsmanagement und für Büromanagement sowie Fach­kräfte für Logistik aus. „Die Berufsschule ist für uns eine gute Partnerin, weil sie viel Wissen vermittelt, das wir hier in der Praxis nicht abbilden können.“ Und das nütze auch dem Betrieb. Manuel Kmieciak ist im dritten Lehrjahr zum Groß- und Außenhandelskaufmann und hat schon gute Impulse aus der Schule in den Betrieb getragen: „Zum Beispiel, wie man eine Preiskalkulation anders gestalten kann“, sagt der Azubi. Da habe er konkret Ideen aus der Schule mitgebracht. Was sicherlich auch daran liegt, dass vor allem in Berufskollegs viele Lehrkräfte als Quereinsteiger mit Erfahrungen direkt aus der Wirtschaft arbeiten. Der angehende Kaufmann hat auch vereinzelte Verbesserungsvorschläger: „Ja, die Ausstattung der Schulen ist besser geworden. Man erlebt noch einzelne Lehrer, die nutzen das Active Board nicht, weil sie damit nicht klarkommen.“ Kmieciak zieht die Augenbrauen hoch. „Das verstehe ich nicht. Es gibt doch Weiterbildungen, und jede Lehrkraft sollte die Technik nutzen.“ Aus diesem Grund bietet das Regionale Bildungszentrum nun auch Digita­lisierungstage für Lehrkräfte an.

Kulik und Kmieciak wünschen sich außerdem, dass der ­Fächerzuschnitt geschärft wird. Warum es Religion in der Berufsschule gibt, leuchtet den beiden nicht ein. „Und warum richtet man Deutsch und Englisch nicht noch stärker auf die nötigen Fachkompetenzen in den Berufsbildern aus?", fragt Kulik. Gerade dann, wenn Azubis schon ein Fachabitur haben, sei dieses Wissen bereits an der allgemeinbildenden Schule umfassend vermittelt worden. Das allerdings ist ein Punkt, an dem die Berufskollegs selbst nichts ändern ­können. Denn Fächerkanon und -zuschnitt legen die Kultusministerkonferenz sowie das NRW-Kultusministerium fest. Auch organisatorisch wird es für eku manchmal schwierig. „Es gibt keinen Tag, an dem ich alle Azubis im Betrieb habe“, spricht Kulik ein häufiges Thema von Ausbilder:innen an. Auch wenn schon nach einem Halbjahr die Wochentage der Berufsschule wieder geändert werden, stehe er vor Herausforderungen. „Bei uns sind die Azubis in wichtige Prozesse und Routinen eingebunden. Wenn sich da Wochentage ­ändern, muss ich auch direkt ein paar betriebliche ­Abläufe umplanen“, erklärt er. Die Berufskollegs stellen gleiche Schultage für denselben Ausbildungsberuf sicher, allerdings benötigt auch die Schule eine Auslastung ihres Lehrpersonals von montags bis freitags.
„Ich freue mich über ein gutes Zeugnis, aber die Noten sind mir nicht das Wichtigste“, sagt Ausbilder Kulik. Ihm sei wichtiger, was aus der Schule Positives in den Betrieb einfließe. Das kann sein Azubi Manuel Kmieciak bestätigen. Beim Gang über das Außengelände sagt er, als sein Ausbilder gerade nicht hinhört: „Herr Kulik kümmert sich schon sehr um uns Azubis und sorgt dafür, dass wir hier gut ankommen und uns wohlfühlen.“

IT-Firma e-systems: „Es könnte so tolle Kooperationen geben”

Fächerkanon schärfen, Berufsschultage längerfristig festlegen – mit diesen Wünschen rennt man auch bei Personalreferent Bernd Möbius und Vertriebsleiter Deniz Üstün offene Türen ein. Die beiden stellen bei e-systems in Witten die angehenden Fachinformatiker:innen für Systemintegration, Kaufleute für IT-System-Management, Büromanagement und ­E-Commerce sowie Fachkräfte für Lagerlogistik ein.
Ein Anpacker wie Deniz Üstün, der die Firma vor 25 Jahren als Student der TU Dortmund gegründet und erfolgreich aufgebaut hat, kann nicht verstehen, warum das System Schulen immer in einem behäbigen kommunalen Korsett funktionieren muss. „Es könnte so tolle Kooperationen ­geben“, sagt er. „Wir sitzen an der Quelle. Wenn wir bei einem Kunden neue IT aufsetzen, könnten wir direkt fragen, ob wir die abgeschriebenen Geräte an eine Schule spenden können.“ Viele Betriebe könnten sich einbringen, wenn das ­unbürokratisch möglich wäre. „Stattdessen gibt es Ausschreibungen und Fristen. Und wenn alles genehmigt ist, dann ist die Technik schon wieder überholt.“ Sicher wären hier auch die Berufskollegs gerne ­offener für Kooperationen. Aber bei den bürokratischen Vorgaben der Kommunen gibt es wenig Spielraum.
Personalreferent Bernd Möbius freut sich grundsätzlich über den Input, den die Schüler:innen aus dem Berufskolleg mitbringen. Er hat aber beim Thema E-Commerce eine Idee für noch mehr Praxisnähe. „Es würde sehr helfen, wenn die Schüler projektbezogen einen Online-Shop aufbauen und durchspielen müssten, welche Fallstricke es gibt und wie er möglichst benutzerfreundlich funktioniert“, schlägt er vor. Auch das Material, mit dem die Azubis in der Schule arbeiten, könne aktueller sein. Grundsätzlich sind Üstün und Möbius dennoch davon überzeugt, dass die Schule für ihre Azubis wichtig ist.

Schule und Betrieb: Respekt auf beiden Seiten ist wichtig

Bei allen Verbesserungsvorschlägen im Kleinen dürfe man das Gesamtbild nicht aus dem Blick verlieren, sagt ­Susanne Muthig-Beilmann, Schulleiterin des Louis-Baare-Berufskollegs. „Die duale Ausbildung ist ein Herzstück unseres Bildungssystems – sie gibt jungen Menschen echte ­Chancen und verbindet Theorie und Praxis so, wie es kaum ein ­anderes Land schafft.“ Als Schulleiterin erlebe sie täglich, wie wertvoll die Zusammenarbeit mit Betrieben ist – „Sie macht Ausbildung nicht nur lebendig, sondern stärkt vor ­allem die jungen Menschen auf ihrem erfolgreichen Weg.“
Umso schmerzhafter sei es, wenn Schulen in dieser Partnerschaft nicht auf Augenhöhe wahrgenommen werden. „Wir achten die Betriebe als unverzichtbare Partner – nun ist es an der Zeit, dass auch die Schulen als gleichwertige Akteure im dualen System gesehen und ernst genommen werden. Dieses System ist kein Selbstläufer – wenn wir seinen Wert für die Zukunft erhalten wollen, müssen wir jetzt gemeinsam daran arbeiten.“

Regionales Bildungszentrum Bochum

Um ihre Kräfte bei gemeinsamen Themen zu bündeln, haben sich die fünf Berufskollegs gemeinsam mit der Stadt vor vier Jahren entschlossen, am landesweiten Schulversuch „Regionale Bildungszentren“ (RBZ) teilzunehmen. Das Ziel: regionalspezifisch passgenaue Maßnahmen entwickeln und Kräfte bündeln. Auch die IHK und die Bochum Wirtschaftsentwicklung sind strategisch mit an Bord und überlegen gemeinsam, wohin sich die Berufskollegs langfristig entwickeln sollten, um den Bedarf der Unternehmen vor Ort abdecken zu können. Im kommenden Schuljahr geht das RBZ-Projekt der internationalen Förderklassen in den Regelbetrieb. Dabei lernen junge Menschen zwischen 16 und 18 Jahren zwei Jahre lang in einem ­eigenen Klassenverbund an den Berufskollegs vollschulisch zunächst die deutsche Sprache. Dabei können sie den Ersten Schulabschluss (Klasse 9) ­erreichen. Der Vorteil: Die jungen Menschen, in der Regel Geflüchtete, können nach ihrer persönlichen Neigung das passende Berufskolleg besuchen und so schon erste Kontakte zu Ausbildungsbetrieben knüpfen. Nach dem Schulabschluss starten sie im besten Fall direkt in eine Ausbildung.

Hier geht es zu einer Übersicht der Angebote der Bochumer Berufskollegs.