Wissenswertes zur Medizinprodukteverordnung (MDR)

Ob Inhalatoren in Apotheken, Implantate im OP, Laborgeräte in der Diagnostik oder Rollatoren im Sanitätshaus – Medizinprodukte begegnen uns täglich. Sie reichen von einfachen Pflastern bis hin zu komplexen Softwarelösungen für bildgebende Verfahren. Allen gemeinsam ist: Sie müssen sicher und leistungsfähig sein – denn sie greifen direkt oder mittelbar in die Gesundheit von Menschen ein.

Was genau als Medizinprodukt gilt, regelt die europäische Verordnung (EU) 2017/745, die sogenannte Medical Device Regulation (MDR). Sie erfasst dabei nicht nur klassische physische Produkte, sondern auch digitale Anwendungen, z. B. Software zur Diagnoseunterstützung oder für Wearables.

Die MDR – Anspruch, Zielsetzung und Realität

Die Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation - MDR) der Europäischen Union stellt einen umfassenden Rahmen für die Regulierung von Medizinprodukten dar. Sie zielt darauf ab, die Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Medizinprodukten zu gewährleisten und gleichzeitig Innovationen zu fördern. Der verpflichtende Geltungsbeginn der MDR war ursprünglich der 26. Mai 2021. Die Übergangsfristen zur Umsetzung der MDR in Deutschland wurden mehrfach angepasst:
bis 31. Dezember 2026 für implantierbare Klasse III Sonderanfertigungen
bis 31. Dezember 2027 für Produkte der Klasse III und bestimmte implantierbare Klasse IIb-Produkte
bis 31. Dezember 2028 für alle anderen Produkte
Die verlängerten Fristen gelten nur unter bestimmten Voraussetzungen:
  • Das Produkt muss weiterhin der Richtlinie 93/42/EWG oder 90/385/EWG entsprechen.
  • Es dürfen keine wesentlichen Änderungen in der Auslegung und Zweckbestimmung vorgenommen werden.
  • Das Produkt darf kein unannehmbares Risiko für die Gesundheit oder Sicherheit darstellen.
  • Der Hersteller muss bis spätestens 26. Mai 2024 ein Qualitätsmanagementsystem gemäß MDR eingeführt haben.
Die MDR betrifft alle Unternehmen, die Medizinprodukte in der EU herstellen, vertreiben oder importieren, ergo sie adressiert nicht nur Produzenten, sondern auch Händler und Importeure.

Klassifizierung von Medizinprodukten nach der MDR

Medizinprodukte werden unter der MDR in verschiedene Klassen eingeteilt, die sich nach dem Risiko für den Patienten und der Komplexität des Produkts richten. Die Risikoklassifizierung hat einen wesentlichen Einfluss auf die Art des Zulassungsverfahrens, das ein Unternehmen durchlaufen muss.
Die Klassifizierung erfolgt gemäß Anhang VIII der MDR und unterteilt Medizinprodukte in folgende Klassen:
  • Klasse I: Produkte mit geringem Risiko (z.B. Lesebrillen, Rollstühle, Pflaster).
  • Klasse IIa: Produkte mit mittlerem Risiko, die in den Körper eingeführt werden oder mit ihm interagieren (z.B. Hörgeräte, Kontaktlinsen).
  • Klasse IIb: Produkte mit höherem Risiko, die längerfristig mit dem menschlichen Körper in Berührung kommen (z.B. Infusionspumpen, Kondome).
  • Klasse III: Produkte mit dem höchsten Risiko (z.B. Herzklappen, Implantate, komplexe Software für Diagnosen).
Die genaue Klassifizierung eines Produkts bestimmt die erforderlichen Konformitätsbewertungsverfahren und ob die Einbindung einer Benannten Stelle notwendig ist.
Sie haben Fragen zur Zuordnung Ihres Produktes gemäß der vorgegebenen Klassen? Dann schauen Sie HIER in unsere FAQ!

Verfahren zur Konformitätsbewertung

Die MDR legt fest, dass Unternehmen für die Zulassung ihrer Medizinprodukte ein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen müssen. Dieses Verfahren stellt sicher, dass das Produkt alle Sicherheits- und Leistungsanforderungen der MDR erfüllt. Die Art des Verfahrens hängt von der Risikoklasse des Produkts ab:
  • Selbstzertifizierung für Produkte der Klasse I: Produkte der Klasse I, die keine Messfunktionen oder sterile Komponenten enthalten, können in einem vereinfachten Verfahren vom Hersteller selbst zertifiziert werden. Hierfür ist keine Benannte Stelle erforderlich. Der Hersteller muss die Technische Dokumentation erstellen und eine EU-Konformitätserklärung abgeben.
  • Produkte der Klasse IIa, IIb und III: Für diese Produkte ist die Einbeziehung einer Benannten Stelle erforderlich. Diese unabhängigen Organisationen bewerten die Konformität des Produkts mit den Anforderungen der MDR und erteilen bei positivem Ergebnis die CE-Zertifizierung. Für höherklassifizierte Produkte, insbesondere Klasse III, sind zudem klinische Prüfungen und umfangreiche technische Dokumentationen notwendig.

Benannte Stellen unter der MDR

Benannte Stellen spielen eine zentrale Rolle im MDR-Prozess, insbesondere bei der Zertifizierung von Produkten der Klassen IIa, IIb und III. Sie sind von den nationalen Behörden autorisierte und unabhängige Organisationen, die die Konformität von Medizinprodukten bewerten und überwachen. Die Benannte Stelle überprüft die technische Dokumentation, die klinische Bewertung und das Qualitätsmanagementsystem des Herstellers.
Wichtige Schritte zur Zusammenarbeit mit einer Benannten Stelle:
  1. Auswahl der Benannten Stelle: Unternehmen müssen eine geeignete Benannte Stelle auswählen, die für die jeweilige Produktkategorie akkreditiert ist. In der Regel sind die Benannten Stellen auf bestimmte Produkttypen spezialisiert.
  2. Vorbereitung der technischen Dokumentation: Hersteller müssen eine umfassende technische Dokumentation erstellen, die die Sicherheit und Leistung des Produkts nachweist. Diese beinhaltet unter anderem Informationen zu Design, Herstellung, klinischer Bewertung und Risikomanagement.
  3. Audit und Zertifizierung: Die Benannte Stelle führt ein Audit des Qualitätsmanagementsystems des Herstellers durch und bewertet die technische Dokumentation. Nach erfolgreichem Abschluss dieses Verfahrens stellt die Benannte Stelle ein Zertifikat aus, das dem Hersteller die CE-Kennzeichnung ermöglicht.

Technische Dokumentation und Klinische Bewertung

Die Erstellung einer umfassenden technischen Dokumentation ist ein zentraler Bestandteil des MDR-Konformitätsverfahrens. Diese Dokumentation muss jederzeit auf dem aktuellen Stand gehalten werden und soll die Erfüllung aller regulatorischen Anforderungen belegen. Zu den Inhalten der technischen Dokumentation gehören unter anderem:
  • Produktbeschreibung: Genaue Spezifikationen des Produkts, Funktionsweise und Verwendungszweck.
  • Risikomanagement: Eine Analyse möglicher Risiken und Maßnahmen zur Risikominderung.
  • Klinische Bewertung: Für viele Produkte, insbesondere der Klassen IIa bis III, ist eine klinische Bewertung erforderlich, die die Sicherheit und Wirksamkeit des Produkts durch klinische Daten nachweist. Dies kann durch klinische Studien erfolgen oder, bei vergleichbaren Produkten, durch die Auswertung vorhandener Daten.
Die klinische Bewertung wird insbesondere für neuartige Produkte immer wichtiger. Bei Medizinprodukten der Klasse III und bei implantierbaren Produkten ist oft eine klinische Prüfung erforderlich, um die Konformität mit der MDR nachzuweisen.

EU-Konformitätserklärung und CE-Kennzeichnung

Nach erfolgreichem Abschluss des Konformitätsbewertungsverfahrens erstellt der Hersteller eine EU-Konformitätserklärung. Mit dieser Erklärung bestätigt der Hersteller, dass das Medizinprodukt alle geltenden Anforderungen der MDR erfüllt.
Nach der Ausstellung der EU-Konformitätserklärung kann das Produkt die CE-Kennzeichnung erhalten, die es dem Hersteller ermöglicht, das Produkt im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu vertreiben.

Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Post-Market Surveillance, PMS)

Ein weiterer wichtiger Aspekt der MDR ist die Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Post-Market Surveillance, PMS). Hersteller müssen ein System einrichten, das die Sicherheit und Leistung der Produkte auch nach der Markteinführung überwacht. Dies schließt die Sammlung von Informationen über etwaige Vorkommnisse oder Nebenwirkungen ein und erfordert, dass der Hersteller Maßnahmen zur Risikoabwehr ergreift, wenn dies notwendig ist.

Neue Pflichten für Händler:innen, Importeure und Betreiber

Die MDR richtet sich nicht nur an Hersteller – auch Händler:innen (dazu zählen z. B. Sanitätshäuser, Apotheken und andere Vertriebseinrichtungen), Importeure sowie Betreiber medizinischer Geräte (z. B. Krankenhäuser, Praxen) sind verpflichtet, aktiv zur Produktsicherheit beizutragen.
Händler:innen
Sobald Händler:innen Medizinprodukte beziehen und an Endkunden weitergeben (z. B. Rollatoren, Bandagen, Messgeräte usw.), gelten sie im Sinne der MDR als Händler.Für sie gelten alle Händlerpflichten aus Art. 14 MDR und ergänzend die Anforderungen des nationalen Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetzes (MPDG).
Händler:innen müssen insbesondere
  • vor der Bereitstellung auf dem Markt prüfen, ob das Produkt CE-gekennzeichnet ist, eine EU-Konformitätserklärung und vollständige Begleitdokumente (Gebrauchsanweisung, Kennzeichnung etc.) beiliegen,
  • die Rückverfolgbarkeit sicherstellen und gegebenenfalls bei Vorkommnissen mitwirken (z. B. durch Information an den Hersteller, Importeur oder die zuständige Behörde),
  • wesentliche Änderungen (z. B. Umverpackung, Umetikettierung) dokumentieren und nachvollziehbar machen,
  • auf Verlangen nachweisen können, dass die Erfüllung der Händlerpflichten sichergestellt wird (Qualitätsmanagementsystem empfiehlt sich, ist aber für Händler derzeit nicht verpflichtend vorgeschrieben),
  • bei begründetem Verdacht auf ein nichtkonformes Produkt keine weiteren Verkäufe tätigen und, falls notwendig, zuständige Behörden informieren.
Importeure tragen zusätzliche Verantwortung bei Produkten aus Drittstaaten: Etwa hinsichtlich des EU-Bevollmächtigten, der Dokumentationslage und der Zusammenarbeit mit den Marktüberwachungsbehörden.
Betreiber:innen
Für Betreiber medizinischer Einrichtungen (Krankenhäuser, Arztpraxen usw.) gelten in Deutschland weiterhin die Regelungen der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV). Sie schreibt unter anderem vor:
  • die regelmäßige Durchführung sicherheits- und messtechnischer Kontrollen,
  • die Einweisung des Personals,
  • das Führen eines Medizinproduktebuchs,
  • sowie die Pflicht zur Meldung von Vorkommnissen an die zuständigen Behörden.
Sonderfall: Sobald Händler:innen jedoch ein Medizinprodukt nicht nur weiterverkaufen, sondern es selbst in Betrieb nehmen oder ihren Kund:innen zur Nutzung zur Verfügung stellen – etwa für Vorführungen, Verleih oder während der Anpassung in der eigenen Einrichtung – übernehmen sie die Rolle eines Betreibers im Sinne der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV). In diesem Fall unterliegen sie sämtlichen Betreiberpflichten, wie der Durchführung sicherheits- und messtechnischer Kontrollen, der Einweisung des Personals und der Dokumentation im Medizinproduktebuch. Es ist daher wichtig, dass Händler:innen stets prüfen, in welcher Rolle sie im konkreten Anwendungsfall auftreten, da sich daraus unterschiedliche gesetzliche Anforderungen ergeben

Fazit aus IHK-Sicht: Sicherheit ja – aber nicht um jeden Preis

Als IHK begrüßen wir die grundlegende Zielrichtung der MDR: Patientensicherheit, Transparenz und Rückverfolgbarkeit sind unverzichtbar – besonders in einem hochsensiblen Bereich wie dem der Medizinprodukte.

Allerdings zeigt sich in der Praxis, dass die MDR in ihrer konkreten Ausgestaltung zu weit greift:
  • Der bürokratische Aufwand für Hersteller:innen – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen – ist immens.
  • Hohe Zeit- und Kostenbelastungen entstehen selbst für bewährte Produkte, die bislang komplikationslos im Markt waren.
  • Immer mehr Unternehmen sehen sich gezwungen, einzelne Nischenprodukte (z. B. Herzkatheter für Neugeborene) vom Markt zu nehmen, weil sich eine Re-Zertifizierung wirtschaftlich nicht lohnt.
  • Die Folge: Innovationen werden ausgebremst**, Produktspektren schrumpfen – oder die Produktion verlagert sich ins Ausland, außerhalb des europäischen Rechtsrahmens.
Damit gefährdet die MDR mittelfristig auch die Versorgungsvielfalt und Innovationskraft des Medizintechnikstandorts Europa und Deutschland.

Unser Appell: Sicherheit darf nicht durch Überregulierung erkauft werden. Wir brauchen eine MDR, die risikobasiert bleibt – aber wirtschaftlich umsetzbar ist.
Hinweis: Weitere Detailinfos finden Sie in weiteren Artikeln unserer Brancheninformation. Bei gezielten Fragen schauen Sie bitte in unserer FAQ-Aufbereitung.