Wien als Blaupause für die Lausitz?

Lausitzer Delegation zu Themen der nachhaltigen Stadt- und Quartierentwicklung unterwegs
Das Lausitzprogramm 2038 hatte es in seinen Schwerpunkten und Prioritäten bereits umschrieben:
„Zusätzlich zu ‚harten‘ Faktoren wie Beschäftigung, Wertschöpfung und Investitionen spielen ‚weiche‘ Faktoren wie Identität, Selbstbewusstsein, Veränderungsbereitschaft und Gemeinschaftssinn eine zentrale Rolle im Strukturwandel.“
Die aktuelle Entwicklung in der Lausitz zu einer europäischen Modellregion der Energie- und Mobilitätswende erfordert nicht nur neue Investitionen am Standort, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Entwicklung neuer Wertschöpfungsketten. Es sind allen voran auch zukunftsweisende Investments in städtebauliches Wachstum, Quartierentwicklung, nachhaltigen Städtebau und smarte Anwendungen in Infra- und Versorgungsstrukturen notwendig.
Die Kommunen in der Brandenburger Lausitz sind hierbei ganz besonders gefordert und haben mit einer Reihe von Aktivitäten und Investitionsvorhaben zur Schaffung eines positiven Arbeits- und Lebensumfeld bereits vieles auf den Weg gebracht. Denn die ambitionierten Projekte im Lausitzer Strukturwandel, wie z.B. der Aufbau des Lausitz Science Parks, die Entwicklung einer medizinischen Universität am Standort Cottbus, die Erweiterung des Industrieparks in Schwarze Pumpe oder auch neue Investitionen wie z. B. am Standort Guben und in weiteren Kommunen setzen voraus, dass diese Projekte gelebt werden. Leben können diese vielfältigen Strukturmaßnahmen, Projekte und Investitionen nur durch Menschen. Diesen Menschen muss die Lausitz neben Jobs und Arbeitsplätzen auch ein positives Lebensumfeld für sich und ihre Familien bieten.

IHK organisiert Delegationsreise nach Wien

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Cottbus organisierte für Unternehmen und Kommunalvertreter 4. bis zum 6. November 2024 eine Delegationsreise in die österreichischen Hauptstadt Wien zu den Themenfeldern nachhaltige Stadtentwicklung und Smart City. Insgesamt 16 Teilnehmer informierten sich in der österreichischen Hauptstadt Wien, wie die 2-Millionen-Metropole mit Herausforderungen wie Städtewachstum, steigenden Einwohnerzahlen, Ressourcenschonung und Klimaeffizienz in Ballungsräumen und nachhaltiger urbaner Entwicklung umgeht.

Wer war dabei?

Unter der Leitung von IHK-Präsident Jens Warnken waren Geschäftsführer und Mitarbeiter/innen regionaler Unternehmen aus den Bereichen Immobilienwirtschaft, Wohnungsverwaltung und Digitalisierung, der Oberbürgermeister der Stadt Cottbus Tobias Schick, der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Spremberg Frank Kulik, der Geschäftsführer der Cottbuser Wirtschaftsfördergesellschaft EGC Tim Berndt, die Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderung CIT GmbH für den Landkreis Spree-Neiße Heike Gensing, die Geschäftsführerin der Spremberger Wirtschaftsförderung ASG Spremberg GmbH Petra Axel sowie die BTU Cottbus-Senftenberg mit Vertretern des Fachgebietes Infrastruktur- und Mobilitätsplanung mit dabei.

Was kann die Stadt Wien Lausitzer Kommunen anbieten?

Obwohl die Stadt Wien mit Blick auf ihre Einwohnerzahl mit den Lausitzer Kommunen nicht zu vergleichen ist, bietet Wien in einigen Bereichen gute Blaupausen, vor allem wenn es um die Entwicklung neuer Quartiere und die Mitnahme der Bevölkerung bei ausgewählten Projekten geht. Mittlerweile leben in Wien über zwei Millionen Menschen und die Stadt wächst weiter. Die Stadt arbeitet bereits seit langem an seiner nachhaltigen urbanen Entwicklung und ist bei den Themen nachhaltige Stadtentwicklung und Smart City schon sehr weit. Diese Themen sind auch für die Attraktivität der Modellregion Lausitz zukunftsweisend. Seit längerem okkupiert Wien Top-Platzierungen in entsprechenden internationalen Rankings und wurde 2023 erneut vom internationalen Beratungsunternehmen Mercer als lebenswerteste Stadt der Welt eingereiht.

Wie war die Agenda?

Auf der Agenda der Reise standen unter anderem der Kontaktaufbau und Austauschrunden mit Kommunalvertretern aus Wien und Linz sowie Besuche aktueller Stadtentwicklungsprojekte. Gleich am Nachmittag erfolgten erste Gespräche mit der deutschen Botschaft in Wien sowie Vertretern vom Klima- und Industriefond Österreich. Geschäftsführer Mag. Bernd Vogl von Klima- und Industriefond Österreich und sein Kollege Mag. Urban Peyker, Abteilungsleiter Industrie erläuterten, wie Österreich über das Förderprogramm zahlreiche Projekte finanziert, um die Klimaschutzziele des österreichischen Bundes zu unterstützen. Dabei können über den programmschwerpunkt „Transformation in der Industrie“ auch ausländische Unternehmen gefördert werden, wenn sie sich in einer Partnerschaft mit einem österreichischen Unternehmen oder einer Einrichtung befinden.

Strategien zur Stadtplanung und Entwicklung

Ein wichtiges Highlight der Reise bildete das Treffen mit der Magistratsabteilung 18 Stadtentwicklung und Stadtplanung der Stadt Wien, bei dem es vor allem um die Vorstellung der SMART Klima CITY Strategie Wien ging. Hier konnten die Lausitzer Gäste eine Vielzahl von Ideen und Anregungen aufgreifen, so z. B. zur klimasensiblen Um- und Neugestaltung von öffentlichen Räumen. Strategien, wie der „Masterplan Gehen“ sorgen unter anderem dafür, dass die Wiener zunehmend umweltbewusst unterwegs sind und nur noch 26 Prozent der Einwohner ein Auto nutzen. Partizipation und Teilhabe, vor allem in ärmeren Stadtvierteln werden über Pilotprojekte wie „Supergrätz“ bereits sehr erfolgreich angegangen. Mit Dr. Johannes Lutter, Head of Strategic Partnerships and International Affairs von UIV - Urban Innovation Vienna GmbH wurde sehr praxisnah ausgeführt, wie eng die Innovationsagentur der Stadt mit der Wiener Stadtverwaltung zusammenarbeitet, um die Umsetzung der Wiener Gesamtstrategie und Leitprojekte wie „Grüne Stadt“, bei der ein Grünraumanteil von 50 Prozent Zielstellung für die Wiener sein soll oder Themen wie „Wachstum nach Innen“, bei denen es vor allem um die Reaktivierung von Brachflächen geht, voranzutreiben.

Besichtigung der Stadt Wien

Mit der Besichtigung der neuen Stadtentwicklungsgebiete Nordbahnhof I Nordwestbahnhof sowie auch des Wiener Stadtteils Seestadt Aspern am Rande der Stadt erfolgte mit den verantwortlichen Betreuern und Experten vor Ort ein intensiver Austausch zur Partizipation, Akzeptanz und Teilhabe der Bevölkerung bei notwendigen Stadtentwicklungsprojekten, zu Herausforderungen in der Gebietsbetreuung und zu Dekarbonisierungsprojekten wie „Raus aus Gas“ und „WienNeu+“.
Mit AspernSmartCityResearch (ASCR), das größte Energieforschungsprojekt in Europa in einem der größten Stadtentwicklungsgebiete Europas arbeiten und forschen seit 2013 Siemens, Wien Energie, Wiener Netze sowie Wien 3420 und die Wirtschaftsagentur Wien mit Echtdaten an Lösungen für die Energiezukunft im urbanen Raum. Mit Stolz präsentierten Dr. Gerhard Schuster, Vorstandvorsitzender 3420 aspern Development und Oliver Juli, Programmleiter ASCR die Entwicklungen im neuen Stadtteil, für dessen Aufbau im Übrigen zuerst die Verkehrsinfrastruktur aufgebaut wurde, bevor es an die eigentlichen baulichen Maßnahmen ging.
Auch beim Thema Sozialer Wohnbau kann Deutschland vom Wiener Modell lernen. Da die Stadt Wien über das Konzept des Gemeindebaus selbst als Bauherrin fungiert und erschwingliche Wohnungen für ihre Bürgerinnen und Bürger errichtet, gilt Wien heute weltweit als Vorreiter im sozialen Wohnungsbau. Über 60 Prozent der Wiener Bevölkerung lebt in sozial geförderten und erschwinglichen Wohnungen.

Positives Resümee der Teilnehmer der Unternehmerreise:

Peter Gronem, Geschäftsführer der PETER GRONEM Kommunal- und Industrieversicherungsmakler GmbH, hat vor allem der fachliche Part der Reise interessiert. „Als Sachversicherungsmakler interessierten mich natürlich die Themen Wohnungsbau und vor allem Smart City, weil nicht nur Gebäude entstehen, sondern auch neue technische Werte, wie z. B. in der Energieversorgung. Die durch die Reise hergestellten Kontakte zu Unternehmen, Kommunen, zur Wohnungswirtschaft, zur Wissenschaft und zu vielen kreativen Köpfen in diesen Bereichen, sind für mich absolut bereichernd. Das, was wir hier in Wien in Groß erleben, kann man auch bei uns in Klein umsetzen. Ich würde eine solche oder ähnliche Reise in jedem Fall nochmal mitmachen. Vor allem sollten wir die Kontakte zur SeestadtAspern für den weiteren Erfahrungsaustausch in der künftigen Energieversorgung unserer Wohnquartiere nutzen. An diesem Beispiel zeigt man ja, dass es klimaneutral gehen kann.“
René Markgraf war in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal mit der IHK Cottbus in der Stadt Wien: „Die Reise war wieder phantastisch organisiert. Wie schon beim letzten Mal kommt man hier permanent mit den richtigen Leuten zusammen. Wir sind heute z.B. mit Energieversorgern in den Kontakt getreten und haben uns einmalige Referenzen für Smart-City-Konzepte angesehen. Ich immer wieder das Gefühl mit den richtigen Unternehmen zusammen zu kommen, die sehr visionär z. B. in den Erneuerbaren Energien unterwegs sind. Aus meiner Sicht war dies eine rundum gelungene Reise und ich würde auch noch ein drittes Mal mitkommen. Die Teilnahme an den beiden Unternehmerreisen hat unter anderem dazu geführt, dass wir gerade eine Ausgründung aus einer Universität heraus planen. Wir sind mit großen Logistikunternehmen zusammengekommen, mit denen wir nicht nur Projekte in Österreich, sondern in ganz Europa planen.“
Der Oberbürgermeister der Stadt Cottbus Tobias Schick meint: „Es gab viele Motivationen für uns, an der Reise teilzunehmen. Zum einen, um mit der Verwaltung und den Umsetzern in Wien in den Erfahrungsaustausch zu treten. Ich bin begeistert, mit wieviel Mut, Elan und Power man die Dinge hier angeht. Die Herausforderungen sind hier ähnlich: Es muss möglichst schnell Wohnraum geschaffen werden. Zum anderen geht es um die Bewältigung der Herausforderungen der Energiewende, der künftigen Wärmeplanung und darum, CO2 Neutralität für die Kommunen herzustellen. Ich bin beeindruckt, was die Stadt Wien für ein Netzwerk geschaffen hat, wie Stadt Stadtplanung, Wirtschaft und Ansiedlungen zusammen arbeiten. Wir können von der Stadt Wien eine Menge lernen. Ich denke, das dies erst der Anfang war und wir die Kontakte perspektivisch weiter intensivieren. Im nächsten Schritt sollte es auch darum gehen, wie wir unsere Unternehmen in der Region noch stärker einbinden. Mögliche Kooperation im Thema Energiewende sollten wir noch besser vernetzen, um gemeinsame wirtschaftliche Projekte zu gestalten. Ich bedanke mich bei der IHK für diese Initiative.“
Dies bestätigt auch Frank Kulik, stellvertretender Bürgermeister der Stadt Spremberg: „Der Austausch zur Klimaanpassung und Klimastrategieentwicklung standen für uns im Fokus dieser Reise. Für uns war es entscheidend zu lernen, wie Wien mit diesen herausfordernden Themen umgeht und welche Schlüsse wir daraus für unserer Region ableiten können. Gleichzeitig war es uns ein wichtiges Anliegen, die Region Lausitz als Investitionsstandort in Wien darzustellen. Ich denke, das ist uns zusammen mit der Stadt Cottbus, der CIT GmbH, der ASG GmbH und der IHK Cottbus und unseren Präsentationen vor den österreichischen Unternehmen sehr gelungen. Von daher kann diese Reise als großer Erfolg gewertet werden und bietet eine sehr gute Grundlage für weitere wertvolle Gespräche im Rahmen künftiger Gegenbesuche und Besuche.“
Tatsächlich bildete das am letzten Tag organisierte Investorenfrühstück zu „Perspektiven in der europäischen Modellregion Lausitz“ ein weiteres Highlight der Reise. Über die aktuellen Entwicklungen der Stadt Cottbus zu einer hochmodernen Wissensregion, die Pläne der Region auf dem Weg zu Deutschlands erstem Net Zero Valley, Informationen zum Industriepark Schwarze Pumpe oder die Transformation der Lausitzer Wirtschaft und Entwicklung neuer Wertschöpfungsketten konnten sich österreichische Unternehmen detailreich informieren. Dabei wurden die österreichischen Unternehmen so neugierig auf die Lausitz gemacht, dass bereits vor Ort Pläne für einen Besuch in der Lausitz geschmiedet wurden. Damit stehen die weiteren Aktivitäten mit Österreich für 2025 bereits jetzt fest und münden in die Vorbereitung eines Delegationsempfangs österreichischer Vertreter aus Politik und Wirtschaft in der Lausitz.
Jens Warnken, Präsident der IHK Cottbus, freut sich: „Es freut mich sehr, feststellen zu können, dass unsere Bemühungen für den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen nach Österreich weitere Früchte tragen und man mit unserer Region weiter in Kontakt bleiben will. Wir als IHK Cottbus treiben dies weiter voran und sehen hier eine Vielfalt an Themen, um weitere wirtschaftliche Projekte zwischen Österreich und der Lausitz voranzutreiben. Dabei bieten sich nicht nur gemeinsame Vorhaben im Energie-, Logistik- oder IT-Bereich an, sondern auch in der Gesundheitswirtschaft. Ein Bereich, an dem die Österreicher ein besonderes Interesse haben und in Österreich als Wachstumstreiber gilt.“