Erfolgreich scheitern dürfen: Wo Teilhabe und Inklusion Wirklichkeit werden
In Brandenburg leben rund 270 000 Menschen mit einer Beeinträchtigung. Knapp 65 Prozent von ihnen sind im Rentenalter. Was ist jedoch mit denen, die jünger sind? Die eine sinnvolle Tätigkeit, eine Ausbildung, eine Arbeit brauchen? Für sie gibt es im Land um die 30 Werkstätten und Projekte – überall mit einem anderen Portfolio und anderen Schwerpunkten. Die Mitarbeiter und Betreuer dort bringen – zusammen mit der IHK – die Menschen mit der Wirtschaft zusammen, leben Inklusion buchstäblich und bauen Berührungsängste in der Gesellschaft ab.
Die Integrationswerkstätten gGmbH Niederlausitz in Senftenberg sind eines dieser Projekte. Nächstes Jahr feiern sie ihr 35. Jubiläum. Geschäftsführer Tino Jörke ist bereits seit 12 Jahren mit dabei. Rund 400 Menschen mit einer psychischen, körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung arbeiten und/oder wohnen in Senftenberg. Sonderpädagogen, Heilerziehungspfleger, Handwerker, Arbeitsvorbereiter, BWLer, Werkstättenleiter, Ingenieure und Sozialpädagogen – insgesamt 120 Mitarbeiter – sorgen für die aktiv gelungene Teilhabe der beeinträchtigten Menschen.
Wenn Gutachten belegen, dass die Betroffenen nicht für den allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sind, können sie in der Werkstatt ein Eingangsverfahren für die Berufliche Bildung durchlaufen.
Wenn Gutachten belegen, dass die Betroffenen nicht für den allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sind, können sie in der Werkstatt ein Eingangsverfahren für die Berufliche Bildung durchlaufen.
„Manchmal, wenn nicht einmal ein Mindestmaß an Arbeit geschafft wird, wird erst einmal eine ganz normale Tagesstruktur geschaffen “, erzählt Tino Jörke, „dann werden die Frauen und Männer in den Förder-Beschäftigungsbereich aufgenommen.“
Ausloten, welche Stärken die Menschen haben
Für alle anderen im Bildungsbereich gilt es, auszuloten: Welche Stärken sind da? Was kann derjenige schaffen? Welche Wünsche hat er? In der Industrie werden dann Partner gesucht, die sowohl Bedarf an Produkten und Dienstleistungen dieser Werkstätten haben als auch Bedarf an Arbeitskräften von dort. So werden ganze Arbeitsgruppen in Betriebe ausgelagert, Firmen fragen auch häufig von sich aus an. Einzelne Beeinträchtigte schaffen auch den Sprung aus der Werkstatt heraus in einen regulären, „normalen“ Arbeitsvertrag eines Unternehmens.
Neben den Werkstätten sitzen die Ansprechpartner auch bei der Agentur für Arbeit und bei der IHK. Meist sind es industrielle Unternehmen, die Interesse an der Zusammenarbeit mit den Werkstätten haben.
Neben den Werkstätten sitzen die Ansprechpartner auch bei der Agentur für Arbeit und bei der IHK. Meist sind es industrielle Unternehmen, die Interesse an der Zusammenarbeit mit den Werkstätten haben.
Die Aufträge der Firmen an die Werkstätten reichen von der industriellen Verpackung bis zum Teile-Zusammenbau. Da werden zum Beispiel in nennenswerten Stückzahlen Schaltschränke zusammengebaut, Einzelteile zur Herstellung von Kabeln, Material zum Sägen, Stanzen und Bohren bearbeitet. Die Mitarbeiter sind aber auch in der Wäscherei, der Reinigung, im Palettenbau und in der Grünanlagenpflege tätig.
Und in der Aktenvernichtung, wo mit großen Maschinen Papier geschreddert wird.
Und in der Aktenvernichtung, wo mit großen Maschinen Papier geschreddert wird.
Von Schaltschränken bis zu Insektenschutzgittern
Der Bedarf ist nicht nur auf diesen Gebieten hoch. Auch die Eigenprodukte der Senftenberger sind gefragt. Das geht los bei Insektenschutzgittern über Alu-Fenster bis hin zu Rollos.
„Wer Interesse oder Aufträge hat, kann gern jederzeit bei uns anfragen“, so Jörke.
Die Arbeit muss allerdings von Menschen mit Beeinträchtigung zu bewältigen sein. Oft seien es sehr kleine Prozesse, die die Betroffenen nach zwei Jahren Bildung im Arbeitsbereich selbst schaffen können.
Zu den Integrationswerkstätten Niederlausitz gehört auch ein Wohnbereich mit 45 Plätzen, davon sind 25 mit einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Alle anderen wohnen je zur Hälfte entweder zuhause, bei Angehörigen oder in Wohnstätten. Zusätzlich gibt es in Senftenberg eine Trainings-Wohnstätte. Hier wird erlernt, was alles dazu gehört, damit man später einmal selbstständig wohnen kann. Zudem werden Werkstattbeschäftigte in ihrer eigenen Wohnung mit Assistenz unterstützt.
Zwei Tochterunternehmen gehören auch zu der gemeinnützigen GmbH. Zum ersten die Hellraum Fensterbau Lauchhammer GmbH – ein Inklusionsbetrieb, wo über 40 Prozent der Mitarbeiter eine Beeinträchtigung haben.
Tierpark hilft beim Abbau von Berührungsängsten
Das zweite Unternehmen ist der Tierpark.
Jörke: „Die Stadt Senftenberg hatte die Überlegung, den Tierpark 2007 zu schließen. Es brauchte neue Konzepte und wir hatten Ideen. Nun setzen wir zwölf Leute dort inklusiv ein. Sie arbeiten in der Gehegepflege, bei der Futterversorgung der Tiere und in der Landschaftspflege. Für die Stadt und alle Beteiligten eine Win-Win-Situation. Und für die Besucher bleibt nicht nur der Tierpark erhalten, sie kommen außerdem ganz selbstverständlich mit den beeinträchtigten Menschen in Kontakt.“ Wichtig ist Jörke, dass es keine Berührungsängste mit den „uns anvertrauten Menschen gibt. Wir loten die Grenzen aus, was geht und was nicht“, sagt er.
Denn auch mit Beeinträchtigung möchte jeder in der Gesellschaft anerkannt sein.
Das sieht auch Tamara Swensson, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Werkstätten Hand in Hand gGmbH in Cottbus, so. In „ihren“Werkstätten liegt der Fokus auf dem Food-Bereich: Großküche, Essen herstellen, Catering, Café und vieles mehr. Rund 180 Beschäftigte und Betreuer sind hier für das Gelingen der Teilhabe von 800 Mitarbeitern mit Beeinträchtigung zuständig. Eine logistische Meisterleistung.
Beste Qualität vom Mittagessen bis zur Nascherei
Es gibt eine Hauptwerkstatt und viele Teilwerkstätten. An 17 Standorten werden Kantinen mit Mittagessen aus der eigenen zentralen Großküche versorgt, unter anderem die Kantine am Landgericht Cottbus. Dazu kommen Projekte wie der Gartenbau im Branitzer Park, Gemüseanbau und ein Biohof mit Hühnern, Gänsen, Enten und eigener Eier-Produktion. Aber auch die Reinigung von Kindergärten und die „Kräuterei“, eine eigene Herstellung von Kräutern und Tees im Spreewald, gehören dazu. Bekannt sind die Torten, Pralinen und das Eis der Werkstätten, welches viele aus dem eigenen Café & Laden namens „Die Nascherei“ kennen.
Obwohl dies allein schon riesige Bereiche sind, arbeiten immerhin noch ein Drittel der Mitarbeiter in der Montage, der Kfz-Werkstatt, in Wäscherei und Druckerei. Doch damit nicht genug. Beliebt sind auch die Eigenprodukte, die sich im Laufe der Jahre ihren Platz nicht nur unter den Geschenkartikeln sichern konnten. Dazu zählen handgefertigte Keramik, Kerzen, duftende Seifen, köstlicher Kaffee und Holzprodukte. Inzwischen gibt es sogar eine kleine Marketing-Abteilung und eine eigene Website samt Shop und Online-Verkauf. Das sei wichtig, sagt Swensson. Die Menschen wollen sich sinnvoll beschäftigen, vor allem auch mit Dingen, die man verkaufen kann.
Obwohl dies allein schon riesige Bereiche sind, arbeiten immerhin noch ein Drittel der Mitarbeiter in der Montage, der Kfz-Werkstatt, in Wäscherei und Druckerei. Doch damit nicht genug. Beliebt sind auch die Eigenprodukte, die sich im Laufe der Jahre ihren Platz nicht nur unter den Geschenkartikeln sichern konnten. Dazu zählen handgefertigte Keramik, Kerzen, duftende Seifen, köstlicher Kaffee und Holzprodukte. Inzwischen gibt es sogar eine kleine Marketing-Abteilung und eine eigene Website samt Shop und Online-Verkauf. Das sei wichtig, sagt Swensson. Die Menschen wollen sich sinnvoll beschäftigen, vor allem auch mit Dingen, die man verkaufen kann.
Holz, Keramik, Kaffee – und sogar ein eigener Online-Shop
Dass dies aber häufig viel langsamer geht und auch viel Ausschuss produziert wird, muss anerkannt werden.
„Hinter der Bühne sieht man viel mehr“, so Swensson. „Deshalb sind die Fördermittel und die Eingliederungshilfe für solche Betriebe und Werkstätten so wichtig. Viele Mitarbeiter mit Beeinträchtigung haben fast keine Voraussetzungen. Der normale Arbeitsmarkt kann diese Inklusion nicht schaffen“. Dies werde von der Politik verkannt.
Seit 1986 ist Swensson schon dabei und damit fast die Dienstälteste.
Sie empfindet es als ihre Berufung für die beeinträchtigten Menschen zu arbeiten und sagt: „Sie müssen sich ausprobieren und erfolgreich scheitern dürfen“.
Eine Teilhabe am Arbeitsleben ist wichtig, egal, wie beeinträchtigt jemand ist. Jederzeit können sich Betriebe mit Aufträgen an die Werkstätten wenden. Aber mit Aufträgen, die wirtschaftlich sind. Gerade ist Swensson mit einem Unternehmen für Reinigungsmittel in Verhandlung gegangen. Meist seien Dienstleistungen wie Gartenpflege, Reinigung und Wäscherei gefragt. Dies sei jedoch eher für starke Mitarbeiter, deshalb seien die Möglichkeiten eingeschränkt.
Beim Kochen jedoch ist „Hand in Hand“ Spitzenreiter. Und vom großen bis hin zum kleinen privaten Catering kann hier jeder bestellen.
Beim Kochen jedoch ist „Hand in Hand“ Spitzenreiter. Und vom großen bis hin zum kleinen privaten Catering kann hier jeder bestellen.
IHK-Inklusionsberaterin an Bord
Auf etwas andere Weise sorgt die Inklusionsberatung der IHK in Kooperation mit dem Landesamt für Soziales und Versorgung (LASV) – Integrationsamt (InA) für die Teilhabe Beeinträchtigter am Arbeitsmarkt.
Seit Oktober 2024 bekleidet Birgit Berlin ganz frisch diese Stelle und sagt: „An erster Stelle streben wir die reguläre Ausbildung für Jugendliche mit Beeinträchtigen an. Neben dieser Ausbildung gibt es weiterhin noch die Möglichkeiten eines Nachteilsausgleiches, theoriereduzierter Ausbildung, verlängerter Ausbildung, etc. Die individuellen Voraussetzungen, die die Jugendlichen mitbringen, sind ausschlaggebend dafür, wie die Ausbildung durchgeführt werden kann.“
Dafür werden Kontakte zu Unternehmen aufgebaut, die Vorteile aufgezeigt. Oft beweisen Menschen mit Behinderungen eine hohe Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber und wandern nicht so schnell vom Fachmarkt wieder ab. Die Barrierefreiheit nützt den Unternehmen, weil auch „normale“ Arbeitnehmer profitieren.
Von der IHK gibt’s Hilfestellung bei der Beantragung von Fördermitteln, bei der Arbeitsplatzgestaltung und vielem mehr. Ob im Lager oder im Büro: Einsatzmöglichkeiten gibt es viele. Und die Arten der Beeinträchtigung von langsamerem Lernen bis zu einem körperlichen Handicap sind sehr verschieden. Mehr dazu lesen Sie im Artikel “Inklusion dank vieler Möglichkeiten”
So ist die IHK dann mit dem Thema Inklusion auch an Schulen und auf Ausbildungsmessen unterwegs. Ein bewährtes Format ist längst das Inklusions-Frühstück, veranstaltet vom Arbeitskreis Inklusion der Stadt Cottbus und dem Landkreis Spree-Neiße: Das nächste findet am 25. Juni 2025 statt (Link zur Anmeldung am Inklusiven Frühstück). Unternehmen, die Interesse haben, betroffenen Jugendlichen eine Chance zu geben und an der Arbeitswelt teilzuhaben, können sich jederzeit bei der IHK melden.
Von der IHK gibt’s Hilfestellung bei der Beantragung von Fördermitteln, bei der Arbeitsplatzgestaltung und vielem mehr. Ob im Lager oder im Büro: Einsatzmöglichkeiten gibt es viele. Und die Arten der Beeinträchtigung von langsamerem Lernen bis zu einem körperlichen Handicap sind sehr verschieden. Mehr dazu lesen Sie im Artikel “Inklusion dank vieler Möglichkeiten”
So ist die IHK dann mit dem Thema Inklusion auch an Schulen und auf Ausbildungsmessen unterwegs. Ein bewährtes Format ist längst das Inklusions-Frühstück, veranstaltet vom Arbeitskreis Inklusion der Stadt Cottbus und dem Landkreis Spree-Neiße: Das nächste findet am 25. Juni 2025 statt (Link zur Anmeldung am Inklusiven Frühstück). Unternehmen, die Interesse haben, betroffenen Jugendlichen eine Chance zu geben und an der Arbeitswelt teilzuhaben, können sich jederzeit bei der IHK melden.