Standortpolitik

Soll Berlin das elfte Pflichtschuljahr wieder einführen?

Berlin ist das einzige Bundesland ohne 11. Pflichtschuljahr für Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag nach der allgemeinbildenden Schulpflicht. 2004 hat Berlin diese abgeschafft. Bis dahin galt: Wer die allgemeine Schulpflicht erfüllt hat und im Anschluss daran weder in eine Berufsausbildung [...] noch in einen berufsvorbereitenden Lehrgang [...] noch in ein Arbeitsverhältnis eintritt noch einen anderen Zweig der Oberschule besucht, ist verpflichtet, im 11. Schuljahr ein schulisches Berufsgrundbildungsjahr oder einen anderen Vollzeitlehrgang an der Berufsschule zu besuchen.“ Berlin verliert derzeit rund 3.000 Jugendliche nach der allgemeinbildendenden Schule. Mit Gründung der Jugendberufsagentur ist es nicht gelungen, eine datenschutzkonforme Verbleibstatistik einzuführen. Ein 11. Pflichtschuljahr ist daher ein möglicher Weg, am Übergang von Schule in den Beruf Jugendliche mit Vermittlungsangeboten zu erreichen. Gleichzeitig müssen die Bildungsgänge an den OSZ mutig umgebaut werden, damit ein zusätzliches Schuljahr keine „Warteschleife“

Zu viele Jugendliche gehen verloren

Nur ca. 3.000 von rund 28.000 Schulabgängern nehmen direkt nach der Schule eine duale Ausbildung auf. Ebenso viele gehen “verloren” – d.h., sie erhalten keine Beratung von der Jugendberufsagentur (JBA).

Bildungswegeplan zügig finalisieren

Es besteht Konsens innerhalb von R2G, dass Berlin eine rechtskreisübergreifende Abbildung der Bildungsverläufe Jugendlicher braucht. Die derzeitige Datenlage der JBA ist in Hinblick auf die Darstellung der Bildungsverläufe bzw. Anschlüsse nach der allgemeinbildenden Schule unzureichend. Zur Wiedereinführung eines 11. Pflichtschuljahres gibt es unter den Regierungsparteien derzeit keinen Konsens. Das Argument der Skeptiker, z. B. der LINKEN, ist die Befürchtung, das ein weiteres Schuljahr nicht zu Verbesserungen in Hinblick auf einen früheren Übergang in den Beruf führe. Für ein 11. Pflichtschuljahr spricht nach Auffassung z. B. von Bildungssenatorin Sandra Scheeres die vollständige datenschutzkonforme Erfassung von Bildungswegen aller Schüler als Datengrundlage für die Arbeit der JBA. Aus Sicht der Berliner Wirtschaft sind beide Argumente wichtig und sollten bei der politischen Umsetzung Beachtung finden.

Brücken bauen in duale Ausbildung

Der Berliner Wirtschaft ist wichtig, dass Unternehmen nach der Schule keinen Jugendlichen als Bewerber für duale Ausbildung verlieren. R2G sollte daher zügig eine Entscheidung herbeiführen, ob eine rechtskreisübergreifende Datengrundlage ohne Ausweitung der Schulpflicht realisierbar ist. Sollte dieser Prüfprozess zum Ergebnis haben, dass der Datenschutz bzw. Bürokratiekosten dem Ziel entgegenstehen, muss die Regierung erneut über die Einführung eines 11. Pflichtschuljahres entscheiden.

Zeitgleicher Umbau des Übergangssystems

Mit einem 11. Pflichtschuljahr wird es der Handlungsbedarf noch höher, die subsidiären Bildungsgänge an den OSZ einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Wenn Jugendliche, die heute aus den Beratungsstrukturen fallen, morgen eine vollzeitschulische Ausbildung aufnehmen, die nicht für den Arbeitsmarkt qualifiziert, werden sie in “Warteschleifen” geparkt. In der Umsetzung müssen bestehende Angebote wie das Berliner Ausbildungsmodell (BAM), eine EQ bzw. bestehende duale Angebote genutzt werden.