Industriegeschichte aus dem Bergischen Land

Textilien aus Wuppertal
Die Region Wuppertal-Solingen-Remscheid gehört zu den ältesten Industrie- und Wirtschaftsregionen Europas. Seit jeher war Wuppertal ein bedeutender Textilstandort. Vor etwa 130 Jahren hatte die Textilindustrie einen Anteil von etwa 70 Prozent an der industriellen Produktion. Auf die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie entfielen gerade 7 % und auf die chemische Industrie etwa 2,3 %. Dann kam eine für die Textilindustrie im Tal der Wupper wesentliche technische Neuerung aus der chemischen Industrie. Im Jahre 1869 gelang es den Chemikern Carl Graebe und Carl Liebermann am Gewerbeinstitut in Berlin, einen synthetischen Farbstoff herzustellen, das Alizarin. Dieser rote Farbstoff löste den bis dahin verwendeten natürlichen, aus einer Pflanze gewonnenen Farbstoff ab. Da war es nicht überraschend, dass im Jahre 1872 die Firma Friedrich Bayer & Co. in Wuppertal eine Alizarinfabrik eröffnete.

Im Gewerbe der Barmer Bandweber gelang es nach vielen Schwierigkeiten den Brüdern Carl und Adolf Vorwerk im Jahre 1873 als ersten, für den Dampfantrieb geeignete, vollmechanisch arbeitende Bandstühle zu konstruieren. In den folgenden Jahren wurde die Vorwerksche Fabrik zu einer Pionierwerkstatt für die mechanische Teppichweberei. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden bereits vier Meter breite, nahtlose Teppiche von orientalischer Qualität gewebt.

Bereits im Jahre 1875 leisteten in der Wuppertaler Textilindustrie 424 Dampfmaschinen 3973 Pferdestärken. Neben die Dampfmaschine war in Wuppertal ungefähr seit 1870 als Energieerzeuger auch der von Otto entwickelte Gasmotor getreten, der sich insbesondere für kleingewerbliche Betriebe eignete.

Ein Barmer Fabrikant erfand das Eisengarn, ein in Appreturmasse getränktes und durch Bürsten glänzend gemachtes Baumwollgarn, das auch Glanzgarn genannt wurde. Dieses Eisengarn gab der Barmer Artikelindustrie und auch den Breitwebern in den nun folgenden Jahren, namentlich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen erheblichen Auftrieb. Nicht nur als Eisengarn für Schnürriemen fand es Verwendung, sondern auch für Hutlitzen, Bänder, Futterstoffe und nicht zuletzt als Nähgarn und in der Kabelindustrie. Die Wuppertaler Firma Barthels & Feldhoff beschäftigte bereits 1875 mehr als 300 Menschen in der Eisengarnproduktion.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Kunstseide erfunden und trat ihren Siegeslauf an. Dieses neue Material mit seinen hervorragenden Eigenschaften war für die Wuppertaler Textilindustrie wie für die gesamte Textil- und Bekleidungsindustrie von umwälzender Bedeutung. Die Wuppertaler Unternehmer erkannten sofort ihre Chancen. Der neue Werkstoff mit seinem bestechenden Hochglanz und seiner Fülle passte vorzüglich für die Besatzartikelindustrie im Tal der Wupper. Kurz nach der Kunstseide brachten die Vereinigten Glanzstoff Fabriken auf Anregung maßgebender Barmer Hutartikelfabrikanten künstliches Rosshaar und künstliche Strohbändchen in verschiedenen Breiten heraus und bereicherten damit die Rohstoffbasis dieses Zweiges der Industrie.

Um die Jahrhundertwende wurde auch die Chemiefaser erfunden. Chemiefasern gehören heute zu den alltäglichen Erscheinungen unserer Umwelt. Es gibt wohl keinen Menschen und keinen Haushalt mehr, der nicht Gegenstände aus Chemiefasern benutzt, seien es Bekleidungsstücke, Einrichtungsgegenstände und technische Artikel irgendwelcher Art. In dieser Feststellung kommt die ganze Dynamik der Entwicklung zum Ausdruck, die die Chemiefaserindustrie in den vergangenen hundert Jahren genommen hat - eine Entwicklung, die keinesfalls zum Abschluss gekommen ist, sondern gerade in unserer Zeit wieder neue, die Textilwirtschaft revolutionierende Impulse erhalten hat durch die Erfindung und Einführung neuartiger Faserarten - Fasern, die die Vorteile der Chemiefaser mit den Vorteilen von Naturfasern verbinden - .

Heute beträgt der Anteil der Textilindustrie am Industrieumsatz gerade noch vier Prozent an der gesamten Beschäftigung. Andere Branchen sind im Laufe der Jahrzehnte dafür in den Vordergrund getreten. Diesen Strukturwandel hat die Bergische Industrie lautlos und weitgehend ohne staatliche Unterstützung vollzogen. Die Industrie in der Wirtschaftsregion Bergische Großstädte bietet heute ein vielfältiges Bild. Neben der Textilindustrie gibt es andere bedeutende Branchen, wie beispielsweise der Maschinenbau, der Fahrzeugbau, die Eisen-, Blech- und Metallwarenindustrie sowie die Elektro- und Chemische Industrie. Einen wesentlichen Platz hat die Automobilzulieferindustrie eingenommen. Etwa 30 % des Umsatzes werden im Kammerbezirk Wuppertal-Solingen-Remscheid direkt oder indirekt mit der Automobilindustrie gemacht, eine Branche die durch hohe Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen gekennzeichnet ist.

Werkzeuge aus Remscheid

Wasserreiche Flüsse und Bäche, ausgedehnte Wälder sowie verhüttbare Eisenerze aus dem Siegener Land - diese Voraussetzungen waren die Basis für die eisenverarbeitende Industrie im Bergischen Land und damit auch für die Werkzeugindustrie in dieser Region.

Aufgrund einer jahrhundertelangen Tradition bäuerlich-handwerklicher Werkzeugfertigung und überregionaler Handelsbeziehungen waren vom ausgehenden Mittelalter bis in das 17. Jahrhundert Sicheln und Sensen die Hauptprodukte. Danach wurde das Kleinschmiedehandwerk mit einem umfangreichen Werkzeugsortiment wichtigster Erwerbszweig im Remscheider Raum. 1845 boten über 600 Schmiede zusammen mit rund 50 Handelshäusern mehr als 2000 verschiedene Werkzeugtypen und Kleineisenartikel an: Beitel, Bohrer, Feilen, Hämmer, Sägen, Zangen, Schrauben, Schlittschuhe, Bügeleisen, Kaffeemühlen und andere Haushaltsartikel. Die Exporte gingen bis nach Amerika, Rußland und Südostasien.

Diese ersten Ansätze fabrikmäßiger Werkzeugfertigung mündeten in die Umstellung auf industrielle Produktion zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Remscheid und das umgebende Bergische Land hatten sich damals eindeutig zum größten deutschen Werkzeugzentrum entwickelt. Bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges war Remscheid nach Hamburg und Berlin die drittgrößte Exportstadt Deutschlands.

Der weitere Aufbau der Werkzeugindustrie vollzog sich langsamer: Zwei Weltkriege und die nachfolgenden Geldentwertungen ließen wenig Investitionskapital übrig. Mit dem "Wirtschaftswunder" begann aber auch in der Remscheider Werkzeugindustrie der Aufbau aller Betriebsbereiche. Von der Konstruktion über die Fertigung bis zur Verwaltung und zum Vertrieb wurde modernisiert und optimiert, stets orientiert an den Bedürfnissen der wachsenden Märkte. Die Transmissionen verschwanden endgültig zugunsten der Werkzeugmaschinen mit elektrischem Einzelantrieb. Bearbeitungszentren ersetzten getrennt arbeitende Werkzeugmaschinen, Automaten lösten schwierige Handarbeiten ab. Viele Unternehmen blieben bei ihrem herkömmlichen Sortiment. Sie paßten das Werkzeug jedoch stetig den neuen technologischen Möglichkeiten und Marktanforderungen an. Das Fertigungsprogramm umfaßt nach wie vor alle Hauptgruppen von Handwerkzeugen: Hämmer, Ausbeulwerkzeuge, Beitel und Installationswerkzeuge, Schraubendreher, Schraubenschlüssel und Zangen. Spezialwerkzeuge, beispielsweise für Montagen und für den Einsatz in Maschinen, werden mehr und mehr in Zusammenarbeit mit in ihrer Branche führenden Anwenderfirmen konzipiert, konstruiert, gefertigt und getestet. Traditionell zeichnen sich die Remscheider Werkzeuge und ihre Produktion besonders aus durch: höchsten Stand moderner Technik, optimierte anwendungsorientierte und ergonomische Gestaltung, optimale zweckentsprechende Kraftübertragung, herausragende und gleichbleibende Qualität, sinnvolle Berücksichtigung von Arbeitssicherheitsaspekten und Anwendung modernen Marketings.

Inzwischen hat der Maschinenbau in Remscheid den ersten Rang in der Industriestatistik übernommen. Aber immer noch sind in annähernd 300 Betrieben rund 7000 Mitarbeiter in der Remscheider Werkzeugindustrie beschäftigt, die sich ihren mittelständischen Charakter erhalten hat.

Schneidwaren und Bestecke aus Solingen

Die Schneidwaren- und Besteckindustrie prägt spätestens seit dem 14. Jahrhundert die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Städtedreiecks Wuppertal, Solingen und Remscheid. Besonders der seit 1938 gesetzlich geschützte Name "Solingen" gilt als Qualitätsausweis für Schneidwaren und Bestecke.

Bereits im Mittelalter war die Region für die Herstellung von Schwertern und Klingen bekannt. Waldschmiede nutzten seit dem 12. Jahrhundert den Waldreichtum der Region zur Herstellung von Holzkohle, die wiederum zum Schmelzen der Eisenerzvorkommen im Bergischen Land und zum Betrieb von Schmiede- und Härtefeuern eingesetzt wurde. Wasserkraft wurde zum Antrieb von Schleifsteinen und Schmiedehämmern genutzt.

Die Nähe zur Handelsstadt Köln begünstigte die internationale Ausrichtung der Solinger Schneidwaren- und Besteckindustrie. Ausdruck des späteren handwerklichen Arbeitsteilungsprozesses der Schneidwaren- und Besteckindustrie waren die Schmiede, Härter, Schleifer, Schwertfeger oder Reider (Montage und Endbearbeitung), die verstreut in kleinen Werkstätten arbeiteten.

Die Entkopplung des Schleifprozesses von der Wasserkraft durch den Einsatz von Dampfmaschinen sowie die Mechanisierung des Schmiedeprozesses zwischen 1860 und 1880 führte während der Hochindustrialisierungsphase zu einer zunehmenden Bedeutung des Fabrikbetriebs in Solingen.

Entscheidende Innovation war die Entwicklung der durch Dampfkraft betriebenen Riemenfallhämmer, die erstmals den gezielten Einsatz von formgebenden Werkzeugen (Gesenken) erlaubten. Es entstanden eine Vielzahl von Gesenkschmieden, die heute zu einem großen Teil für die Automobilindustrie arbeiten. Die Entwicklung der Schneidwaren- und Besteckindustrie beeinflußte auch die Maschinenbauindustrie. Noch heute hat die mittelständische bergische Maschinenbauindustrie einen deutlichen Know-how-Vorsprung im Bereich der Schleifmaschinen bzw. der Metalloberflächenbearbeitung.

Noch bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden bestimmte Auftragsarbeiten wie das Schleifen und Montieren von Scheren und Messern an selbständige Heimarbeiter gegeben. Diese Spezialisierung auf einzelne Arbeitsschritte ist bis zum heutigen Tag ein wesentlicher Grund für die Wettbewerbsfähigkeit der zahlreich entstandenen Klein- und Mittelbetriebe.
Die Bedeutung der Schneidwaren- und Besteckindustrie als Schlüsselindustrie für den bergischen Raum nimmt jedoch ab. Waren im 19. Jahrhundert noch rund zwei Drittel aller Solinger Beschäftigten in der Schneidwaren- und Besteckindustrie tätig, so reduzierte sich diese Zahl bis 1990 auf unter 19 Prozent. Im Jahr 2009 waren in Solingen 25 Betriebe mit mindestens 20 Beschäftigten tätig. Diese Betriebe haben rund 2.700 Mitarbeiter beschäftigt. Der Umsatz der Branche lag in Solingen bei etwa 500 Millionen Euro. Davon entfielen rund 60 % auf den Auslands-Umsatz.