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Talk-Panel Niederlande: Von Frau Antje zum "digital Dutchman"
Kaum eine Nation hat einen geografischen Nachteil so in einen wirtschaftlichen Vorteil umgemünzt wie die Niederlande. Gut die Hälfte des Landes liegt nur knapp über dem Meeresspiegel, ein Viertel des Landes sogar darunter. Und so ringen die Niederländer seit jeher mit dem Wasser. Das hat unsere Nachbarn nicht nur zu einer der weltweit führenden Nationen im Wasserbau gemacht, sondern zu einer Nation aus Seefahrern und Händlern.
Das prägt die wirtschaftlichen Geschicke des Landes bis heute, denn die traditionell enge Bindung an die europäischen und interkontinentalen Märkte machen das Land zu der Logistikdrehscheibe im europäischen Warenverkehr. Dabei profitieren die im Transportgewerbe starken Niederländer von einer hervorragenden Infrastruktur, in deren Zentrum mit Rotterdam nicht nur der leistungsstärkste Hafen Europas steht, sondern mit Schiphol auch der verkehrsreichste Flughafen des Kontinents. Gerade in grenznahen Distributions- und Lagerzentren wie Venlo, Arnheim oder Tilburg gelingt es den Niederländern sehr gut, mehrere logistische Funktionen zu Leistungspaketen mit erhöhter Komplexität zu bündeln und so die Wertschöpfung der Branche zu vertiefen.
„Unsere holländischen Nachbarn sind aber nicht nur als logistischer Knotenpunkt für uns interessant, sondern auch als Absatzmarkt mit rund 17 Millionen Verbrauchern oder als Produktionsstandort mit einer leistungsfähigen Industrie mit Stärken im Chemie-, Elektronik-, Metall-, Nahrungs- und Genussmittelbereich“, sagt Günter Gülker, Geschäftsführer der Deutsch-Niederländischen Handelskammer. Hinzu kommen hervorragend ausgebildete Mitarbeiter, die nicht zuletzt aufgrund der traditionellen Außenorientierung des Landes meist mehrsprachig sind, und verschiedene steuerliche Vorteile. Das alles macht die Niederlande attraktiv und ist der Grund, warum das Land in verschiedenen Länderrankings wie dem Global Competitiveness Index des Weltwirtschaftsforums oder der Liste der unternehmerfreundlichsten Länder des Forbes Magazines regelmäßig ganz oben – und vor Deutschland – mitspielt. Nicht ohne Grund waren die Niederlande 2017 nach China Deutschlands zweitwichtigster Außenhandelspartner.
Allerdings ist das Niederlandegeschäft nicht ohne Hürden. Denn gerade aufgrund der räumlichen Nähe zum Nachbarn werden Kulturunterschiede häufig unterschätzt. Niederländer pflegen einen sehr offenen und pragmatischen Umgangsstil miteinander. Dieses Fehlen von formellen und manchmal etwas steifen deutschen Formen, flache Hierarchien oder eine für deutsche Verhältnisse unkonventionelle Garderobe könnten hierzulande zu Irritationen führen, warnen Leute, die sich auskennen. Denn trotz der lockeren Art würden Verhandlungen direkt geführt und Preise hart verhandelt. Privates und Geschäftliches, so ein weiterer Hinweis, gehörten bei unseren Nachbarn enger zusammen, als es bei uns üblich sei, und schlössen sich nicht aus.
Diese grundsätzliche Offenheit Neuem und Fremdem gegenüber mag ein Erbe der Seefahrer- und Handelsgeschichte der Holländer sein. Und genau dies ist, was sich in einer Welt der Globalisierung und Digitalisierung mehr und mehr als Standortvorteil entpuppt. So kommt es, dass die Niederlande zu einem der internetaffinsten Völker in Europa geworden sind, das einen Spitzenwert an privaten Internetanschlüssen aufweist. Der Kauf im Internet ist gang und gäbe, weshalb die Niederlande von Mastercard und International Card Services zum Testlabor für biometrische Technologien im Zahlungsverkehr gemacht wurden. Aufgrund der holländischen Experimentierfreudigkeit gilt das auch für andere Produkte und Technologien, wie etwa selbstfahrende Autos von Daimler und BMW oder den Amazon Drohnen-Lieferservice.
Es überrascht deshalb nicht, dass sich die Niederlande mittlerweile zu einem interessanten Startup-Biotop mausern, das auch schon „Einhörner“ wie booking.com hervorgebracht hat. „Gerade, weil die Niederländer so viel im Internet kaufen, ist es kein Wunder, dass wir aus den Niederlanden kommen“, sagt Andreas Krause, Partner Manager von SendCloud in der DACH Region, einem Startup, das mit seinem Versandtool Onlinehändlern hilft, Zeit und Kosten zu sparen.
Spannend ist dabei schon lange nicht mehr nur die sogenannte Randstad, also der Ballungsraum im Westen um Amsterdam, Rotterdam, Den Haag und Utrecht. Mittlerweile hat sich auch die Provinz in die digitale Welt aufgemacht. So versucht die Provinz Limburg genau hinter der Grenze mit vier unter dem Begriff Brightlands zusammengefassten Campussen in den Bereichen Smart Materials, Medizin, Data Science/Smart Services sowie Food and Nutrition für die hippen Startup-Unternehmen das richtige Umfeld aus Forschung, Finanzierung und Coworking zu erzeugen. „Für deutsche Unternehmen, die Partner auf dem Weg in die Digitalisierung suchen, könnte es deshalb spannend sein, einfach mal den Blick über die Grenze zu wagen, statt lange Reisen ins Silicon Valley oder nach Tel Aviv zu machen“, sagte Tys van Elk von der Limburg Development and Investment Company (LIOF). In Zukunft könnte Frau Antje, das Werbemaskottchen des niederländischen Molkereiverbandes, als Sinnbild für die Niederlande ausgedient haben. Stattdessen müssen wir uns vielleicht bald an den „Digital Dutchman“ gewöhnen.
„Von Frau Antje zum „digital Dutchman“ – aktuelle Wirtschaftstrends in den Niederlanden” lautet auch der Titel eines Talk-Panels beim 10. IHK-Außenwirtschaftstag NRW am 20. September 2018 in Aachen. Teilnehmer sind Andreas Krause, Partner Manager DACH Region von SendCloud, Tys van Elk, Geschäftsführer der Limburg Development and Investment Company (LIOF), und Günter Gülker, Geschäftsführer der Deutsch-Niederländischen Handelskammer (DNHK). Die Moderation übernimmt Dr. Ron Brinitzer, Geschäftsführer International der IHK Mittlerer Niederrhein. Weitere Informationen und die Möglichkeit der Anmeldung finden Interessenten unter www.ihk-aussenwirtschaftstag-nrw.de.