1 min
Lesezeit

„Energie ist zur Chefsache geworden“
Interview mit ISPEX-Geschäftsführer Marco Böttger zu Preisbremsen und Prognosen
Preise, Bremsen, Prognosen – die Energieversorgung beschäftigt Unternehmen und Energieberater gleichermaßen. Marco Böttger, Geschäftsführer der ISPEX Consulting GmbH in Bayreuth, gibt im Gespräch mit der „Oberfränkischen Wirtschaft“ ein Update in Sachen Energie – und wagt trotz unklarer Vorzeichen auch den Blick in die Zukunft.
- Mit der Strom- und Gaspreisbremse kehrt für Unternehmen zumindest ein gewisses Maß an Planbarkeit zurück. Ein kleiner Lichtblick in der Energiekrise für die Wirtschaft?
Ja, denn eben diese Planbarkeit hat zuletzt vollkommen gefehlt. Bei den Termin- und Spotmarktpreisen für Strom und Erdgas haben wir im vergangenen Jahr extreme Ausschläge und erhebliche Preissteigerungen gegenüber dem Vorjahr gesehen. Doch nicht nur die höheren Preise stellen uns vor Herausforderungen, auch die Prognosefähigkeit hat gelitten. Bereits im unsteten Marktumfeld während der Pandemie zeigte sich, dass etablierte Prognosemodelle nicht mehr zuverlässig genug greifen. Angesichts der extremen Volatilität, getrieben durch Meldungen zu Speicherständen, Abhängigkeiten im internationalen LNG-Markt und kurzfristige Wetterprognosen funktionieren sie noch eingeschränkter. Neben „Glaskugel“, Bauchgefühl und Erfahrungswissen gewinnen inzwischen Instrumente zur Marktbeobachtung an Bedeutung. Es führt kein Weg daran vorbei, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Dazu sind der Kosten- und Wettbewerbsdruck einfach zu massiv gestiegen.
- Wie zeigt sich das in den Unternehmen?
Energie und Energieeffizienz sind seitdem in den meisten Unternehmen zur Chefsache geworden. Geschäftsführer befassen sich nun sehr intensiv mit dem Thema. Schon immer war die günstigste Kilowattstunde die, die nie verbraucht bzw. eingespart wurde. Der Preisdruck setzt echte Anreize, das Thema Energieeffizienz jetzt umzusetzen. Viele Betriebe stehen allerdings nicht nur vor dem Problem der steigenden Preise. Seit Herbst 2022 lautet eine für viele ganz neue Herausforderung, von den Versorgern überhaupt Energielieferangebote zu erhalten. Im Fokus der Politik standen vor allem Energielieferangebote für leitungsgebundene Energien, aber Lieferprobleme gab es ebenfalls bei Braunkohlestaub, Heizöl und anderen Energieträgern. Und es hat sich gezeigt, dass die Marktmechanismen bei den leitungsgebundenen Energien in der aktuellen Situation nicht mehr funktionieren. Bei Erdgas haben wir ebenfalls nicht nur den extremen Preisanstieg, sondern starke Schwankungen im Preis. Diese Volatilität macht es den Versorgern schwer, zu kalkulieren. Neue Kunden bzw. künftige Lieferverträge bedeuten neues Risiko auf Lieferantenseite, das es zu vermeiden gilt. Die Folge: Vertriebsstopps und kaum Angebote – selbst nicht für Bestandskunden.
- Nun sind die Strom- und Gaspreisbremse seit 1. Januar 2023 in Kraft und sollen private Haushalte wie Unternehmen entlasten. Was kommt hiermit auf die Unternehmen zu?
Beide Preisbremsen sollen zunächst bis 31. Dezember 2023 gelten und können bzw. sollen durch Rechtsverordnung bis 30. April 2024 verlängert werden.Bei der Strompreisbremse sind die Verbraucher in zwei Gruppen unterteilt: Entscheidend ist die Jahresverbrauchsgrenze von 30.000 kWh. In Gruppe 1 (< 30.000 kWh) fallen v.a. Gewerbe- und Haushaltskunden. Bei ihnen liegt der garantierte Preis – für 80 Prozent ihres aktuell prognostizierten Jahresverbrauchs – bei 40 ct/kWh brutto. Wer in der Grundversorgung bedient wird oder Neuverträge zu hohen Preisen abschließen musste, spürt eine wirksame Entlastung – besonders dann, wenn das Verbrauchsverhalten zusätzlich optimiert und Strom gespart wird.In Gruppe 2 – mit einem Verbrauch von mindestens 30.000 kWh pro Jahr, also vor allem Industrieunternehmen – gelten 13 Cent je kWh netto. Da hängt die Wirksamkeit der Entlastung davon ab, wann und wie die Unternehmen den Strom eingekauft haben. Hinzu kommt: Dieser kWh-Preis gilt für 70 Prozent des im Jahr 2021 gemessenen Jahresverbrauchs. Das bedeutet: Bei Unternehmen, die im Jahr 2021 wegen Kurzarbeit oder coronabedingten Schließungen nur einen geringen Verbrauch hatten, entfaltet die Preisbremse nur sehr eingeschränkt Wirkung. Auch in Gruppe 2 gilt: Der Gesetzgeber formuliert klare Energiesparanreize.
- Und bei der Gaspreisbremse?
Dort gelten garantierte Preise von 12 ct/kWh (brutto) für Gas für Letztverbraucher mit Standardlastprofil sowie RLM-Kunden mit einem Verbrauch kleiner 1.500.000 kWh pro Jahr sowie 7 Cent je kWh netto für Letztverbraucher mit registrierender Leistungsmessung mit einem Verbrauch größer als 1,5 GWh im Jahr. Auch hier gelten die Kontingente, die in beiden Fällen – bei Strom und Gas – einen Anreiz zur Sparsamkeit bieten sollen.
- Die finanzielle Entlastung müssen die Unternehmen mit zusätzlichem bürokratischem Aufwand bezahlen. Wie schätzen Sie den Mehraufwand ein?
Kompliziert wird es bei den Höchstgrenzen, welche die Höhe der möglichen Entlastungen für Unternehmen definieren. Da kommen zum einen absolute Höchstgrenzen zum Tragen, die konzernübergreifend wirken, zum anderen relative Höchstgrenzen, die auf das einzelne Unternehmen bezogen sind. Im Unternehmensverbund ist es da eine Herausforderung, eine zentrale Stelle zu schaffen, die den Überblick behält und alle relevanten Zahlen erfasst und einbezieht. Hinzu kommen diverse Mitteilungspflichten. Aus Sorge, dass die Bremsen missbraucht werden könnten, hat der Gesetzgeber diese Hürden eingebaut – und den Prozess damit bürokratisch aufgeladen.
- Prognosen sind schwierig, aber dennoch die Frage: Mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie auf dem Energiemarkt?
Wir sind verhalten optimistisch: Wir gehen davon aus, dass der Markt sich innerhalb der nächsten Monate stabilisiert, dass die Preise sich in einem engeren Korridor bewegen und nicht mehr so stark schwanken werden. Zusammen mit der Bremswirkung fällt die Planbarkeit für das Geschäftsjahr 2023 damit deutlich besser aus als lange im Jahr 2022 vermutet.
Schon immer war die günstigste Kilowattstunde die, die nie verbraucht bzw. eingespart wurde. Der Preisdruck setzt echte Anreize, das Thema Energieeffizienz jetzt umzusetzen.Marco Böttger
Kontakt

Frank Lechner
Umwelt/Energie

Thomas Zapf
Leiter Bereich Standortpolitik