Von den Besten lernen

Am Anfang stand ein ifo-Gutachtenmit einer erschreckenden Kernaussage: Durch die überbordende Bürokratie entgehen Deutschland bis zu 146 Milliarden Euro pro Jahr an Wirtschaftsleistung. Der Vergleichsmaßstab sei Schweden, so ifo. In Europa das Vorbild, wenn es um erfolgreichen Bürokratieabbau geht. Die 146 Milliarden Euro könnte man einsparen, begäbe sich Deutschland auf das niedrige Bürokratieniveau von Schweden.
Das nahmen Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft aus dem Freistaat Bayern zum Anlass, um sich im Rahmen einer Expertenreise über erfolgreiche Maßnahmen zur Entbürokratisierung in Schweden zu informieren. Ziel war es, von guten Beispielen zu lernen, mit relevanten Ansprechpersonen in den Austausch zu kommen und konkrete Handlungsempfehlungen für Bayern zu entwickeln.

„Samverkan", also „Zusammenwirken" ist das Motto des erfolgreichen schwedischen Wegs hin zu weniger Bürokratie. Die Gäste aus Bayern nahmen viele Erkenntnisse aus Stockholm mit nach Hause.
Die von der IHK München für Oberbayern initiierte und von der AHK Schweden organisierte Reise war prominent besetzt. Walter Nussel, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung, weitere Landtagsabgeordnete, Spitzenvertreterinnen und -vertreter von Städtetag, Städte- und Gemeindebund, IHKs, Kommunen, Landkreisen, aber auch aus Ministerien und der Staatskanzlei und sogar aus Tirol wollten sich vor Ort persönlich informieren, was die Schweden besser machen. Hauptgeschäftsführer Wolfram Brehm vertrat die IHK für Oberfranken Bayreuth. Empfangen wurden die Teilnehmenden unter anderem von der deutschen Botschafterin in Schweden, Christina Beinhoff.

Anderes Mindset: Bürgerinnen und Bürger vertrauen dem Staat – und umgekehrt

Erste Erkenntnis: Anders als in Deutschland setzt man in Schweden stark auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger, aber auch der Unternehmen. Der Staat hält sich zurück, setzt auf Vertrauen statt auf Misstrauen. „Diese Vertrauenskultur ist über die Jahrhunderte gewachsen und hat sich tief in die Gesellschaft eingegraben. Die Zusammenarbeit der Wirtschaft mit Behörden ist unglaublich unkompliziert. Man setzt pragmatisch auf Lösungsfindung, statt nach Problemen zu suchen“, so Ninni Löwgren Tischer von der Deutsch-schwedischen Handelskammer. Als Tochter eines schwedischen Vaters und einer deutschen Mutter kennt sie beide Kulturen, die sich deutlicher unterscheiden, als man zunächst vermutet.

Zweite Erkenntnis: Die schwedische Regierung setzt bei der Umsetzung von Verwaltungshandlungen auf Vereinfachung und sieht Behörden vor allem als Dienstleister für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen. Generell, so der Anspruch, soll Regulierung Wachstum, Beschäftigung und Innovation von Unternehmen unterstützen. Die Bürokratiekosten sollen stetig abnehmen. In der Verwaltung soll die Bearbeitungszeit für Vorgänge sinken, zugleich soll das Handeln der Verwaltung auf die Bedürfnisse der Unternehmen einzahlen.

Bei der Digitalisierung um Längen voraus

Dritte Erkenntnis: In der Umsetzung der Digitalisierung ist Schweden Deutschland um Längen voraus. Und die digitalen Angebote sollen ständig weiter ausgeweitet werden. Auch hier ist das Grundvertrauen zwischen Staat und Bürgerinnen und Bürgern hilfreich, denn man sucht eben keine Probleme, etwa im Datenschutz, sondern testet neue Lösungen einfach aus, setzt um. Die schwedische Verwaltungsstruktur unterstützt das: Die Behörden sind untereinander vernetzt und tauschen Daten aus. So gibt es landesweit nur eine Finanzverwaltung, die eine einheitliche Personennummer vergibt, die alle Personen – natürliche wie juristische – ein Leben lang begleitet. Behördengänge braucht es nicht, weil alle staatlichen Leistungen auch digital angeboten werden. Mit „dem Amt“ kommuniziert man übers Handy, die Legitimierung läuft über eine zentrale Bank-ID.

Kulturelle Unterschiede zwischen dem zentralistischen Königreich Schweden und der föderal organisierten Bundesrepublik Deutschland werden sich nicht im Handumdrehen ändern lassen. Auch in Deutschland hat sich das Verhältnis zwischen „dem Staat“ und „seinen Bürgerinnen und Bürgern“ über eine lange Zeit entwickelt. Gleiches gilt für das Verhältnis der staatlichen Behörden zueinander.

Gleichwohl bleibt es das Ziel, auch in Bayern Digitalisierungserfolge zu erzielen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Expertenreise jedenfalls sehen das auch als ihre persönliche Herausforderung an. „Leicht umsetzbar wäre etwa ein stärkerer Pragmatismus, statt ein ,Weiter so‘ mit der berühmten deutschen Gründlichkeit – auch in der Digitalisierung“, so IHK-Hauptgeschäftsführer Wolfram Brehm. Warum müssen immer neue Anwendungen programmiert und eingeführt werden, wenn es doch gute Angebote am Markt gibt? Müssen bei den einzelnen Vorgängen tatsächlich so viele Interessengruppen in Entscheidungen einbezogen werden? Und gibt es nicht die Möglichkeit einer zentralen Datenhaltung für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, auf die Verwaltungen zugreifen können, so dass man nicht bei jedem Vorhaben seine eigentlich bekannten Daten neu eingeben muss?
Leicht umsetzbar wäre ein stärkerer Pragmatismus, statt ein „Weiter so“ mit der berühmten deutschen Gründlichkeit.

IHK-Hauptgeschäftsführer Wolfram Brehm

Letzte Erkenntnis: Auch die schwedische Verwaltung kocht zwar nur mit Wasser, ist aber vor allem an der Schnittstelle zu den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich die Benchmark. „Uns Deutschen würde ein Stück weit weniger Kontrolle und Sicherheitsdenken und etwas mehr Gelassenheit und Kooperation der Verwaltungen guttun. Vor allem aber müssen die digitalen Angebote schnell ausgeweitet werden. Testen könnte man Bürokratieerleichterungen in Modellregionen oder mit Experimentierklauseln. Schneller umsetzen könnte man sie, indem man Beamtinnen und Beamte bei schnellen Entscheidungen unterstützt und ihnen die Angst nimmt, für Fehler persönlich haftbar gemacht zu werden“, betont Brehm.

Den erfolgreichen schwedischen Weg hat Ninni Löwgren Tischer mit dem Begriff „samverkan“ beschrieben, der so viel wie „zusammenwirken“ bedeutet. Jeder soll seinen Teil zum Erreichen des gemeinsamen Ziels beitragen, Scheitern wird nicht verurteilt, sondern als Teil des Weges betrachtet. Fehler lassen sich schließlich korrigieren. Die bayerischen Expertinnen und Experten jedenfalls haben diesen Vorsatz mit nach Hause genommen und wollen unter der Moderation der IHK weiter eng zusammenarbeiten, um Vorschläge für weniger Bürokratie zu entwickeln und auch zur Umsetzung zu bringen. Samverkan eben.
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