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Bürokratische Bürde oder Chance für Zukunftsgestaltung?

Wirtschaftswachstum ist endlich, zumal, wenn es vom Ressourcenverbrauch abhängt. Die Widerstandsfähigkeit unseres Planeten schwindet: Sechs von neun Grenzen der planetaren Belastbarkeit sind überschritten.
Nach 2023 war auch 2024 wieder ein Temperaturrekordjahr. Städte wie Los Angeles oder Valencia sind Wetterextremen, Starkregen und Waldbränden hilflos ausgesetzt. Der Druck auf unseren Planeten wächst, und wir sind gefährlich schlecht vorbereitet.
Die EU hat bereits 2020 mit der Einführung der EU-Umwelttaxonomie, der Einführung verbindlicher Nachhaltigkeitsstandards im Jahr 2023 (ESRS) und der Richtlinie zum Nachhaltigkeitsreporting (CSRD, veröffentlicht am 16. Dezember 2022) den Rahmen gesetzt. Ziel ist die Umlenkung der Investitionen von fossilbasierten hin zu nachhaltigen Geschäftsmodellen und eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu erreichen. In der aktuell laufenden Omnibus-Konsolidierung von CSRD, EU-Taxonomie und CSDDD sowie einer Vereinfachung der Anforderungen ergeben sich für die betroffenen Unternehmen bei richtiger Durchführung deutliche Effizienzgewinne. Nachhaltigkeitsmanagement und die Erfüllung von Sorgfaltspflichten in der globalen Wertschöpfung eröffnen interessante Wachstumspotenziale für neue Geschäftsmodelle bei Dekarbonisierung, Energiemanagement, Materialeffizienz, Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft.

Nachhaltigkeit als Wachstumstreiber

Nachhaltigkeit etabliert sich zusehends als Treiber für innovative Unternehmensstrategien. Schaut man auf die Emissionen pro Kopf, scheint die Trendwende eingeleitet. Mittlerweile steigt der Wohlstand in vielen Ländern, ohne dass dafür mehr Kohle, Öl und Gas verbrannt werden müssen. Aber, aktuelle Geopolitik beeinflusst ESG und Nachhaltigkeit: Durch militärische Konflikte, Zölle, Sanktionen und schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen steigt das geopolitische Risiko, und in der Folge nimmt das unternehmerische Ambitionsniveau für eine nachhaltige Transformation deutlich ab. Grundsätzlich zeigt die europäische, aber auch die globale Entwicklung an ESG-Rahmenwerken eine Verlagerung von bisher freiwilligen zu verpflichtenden Anforderungen. In Zukunft wird sich die Rolle der ESG-Rahmenwerke, bedingt durch die Verschärfung behördlicher Prüfung, zu einem integralen Bestandteil der Unternehmenstätigkeit, mit einem eigenen ESG-Profil pro Unternehmen, entwickeln. Wichtiger Treiber dabei sind Investoren, Kreditinstitute, Wertpapierfirmen, Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, die durch ihr ESG-Engagement diese Entwicklung stark beeinflussen.

Der Übergangsplan zum Erreichen der Klimaziele

Ein zentrales Element der ESRS ist der Übergangsplan (ESRS E1-1). Er beinhaltet eine detaillierte Erläuterung darüber, wie das Unternehmen seine Strategie und sein Geschäftsmodell anpassen wird, um die Vereinbarkeit mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft, der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius und Klimaneutralität bis 2045 beziehungsweise 2050 zu erreichen. In diesem Übergang werden klimabezogene Risiken adressiert und die konkreten Schritte der Dekarbonisierung festgelegt. Damit werden die Reduktion von Treibhausgasemissionen und die Anpassung an die Veränderungen des Klimas zum zentralen Bestandteil der Unternehmensstrategie. Ein gut durchdachter Übergangsplan unterstützt nicht nur die interne Strategie und fördert koordinierte Maßnahmen, sondern verbessert auch die Informationslage für Investoren und Kreditgeber, was zu fundierteren Investitionsentscheidungen beiträgt. Beim Aufstellen des Übergangsplans ist darauf zu achten, dass nicht nur eine Dekarbonisierung des Geschäftsmodells und die Reduktion der Treibhausgasemissionen in den Bereichen Energie, Transport, industrielle Produktion und Gebäude stattfinden, sondern das Gesamtsystem betrachtet wird. Gute Übergangspläne berücksichtigen Scope-1-, Scope-2- und Scope-3-Emissionen und räumen der Dekarbonisierung durch direkte Emissionsminderung Vorrang vor dem Erwerb von Emissionsgutschriften ein. Unternehmen mit einer vorhanden Umwelterklärung nach EMAS oder ISO 14001 beziehungsweise 14064 können auf das eingerichtete Umweltmanagementsystem verweisen und diese Informationen nutzen. Kurzfristige Maßnahmen sollten darauf abzielen, bereits jetzt Anpassungs- und Minderungsvorteile zu erzielen und bestehende Defizite bei der Vorbereitung auf extreme Wetterbedingungen auszugleichen. Gleichzeitig ist sicherzustellen, dass Klima und Umwelt bei unternehmerischen Entscheidungen angemessen berücksichtigt werden und die unternehmerische Widerstandsfähigkeit gegen die in naher Zukunft zu erwartende größere Häufung von Wetterextremen sichergestellt ist.
Klar ist, die nächsten zehn bis 20 Jahre werden anders sein als die vergangenen. Während fossile Technologien noch immer in unseren Köpfen verankert sind, müssen wir vieles verlernen und die Rahmenbedingungen für die neuen, nicht fossilen Technologien schaffen – und sie ermöglichen. Nachhaltige Prozesse werden weltweit zur Norm. Sie sind eine große Chance zur Stärkung unserer globalen Wettbewerbsfähigkeit.
Dr. Uwe Sachse, Professor an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen zu Innovationsmanagement und ESG-Strategien