Industrie und Innovation

Aus Sicht der Wirtschaft sollte die EU in der Industriepolitik innovationsfreundliche Rahmenbedingungen setzen und den fairen Wettbewerb innerhalb der EU und, soweit möglich, global sicherstellen. Insbesondere sollten die EU-Regelungen die Industrie beim Transformationsprozess der Digitalisierung und der Klimaneutralität verbunden mit der Energiewende unterstützen. Hier kann auch die europäische Forschungs- und Innovationspolitik mit technologieoffener und lösungsorientierter Förderung von Innovationen einen wichtigen Beitrag leisten. Darüber hinaus hat die EU-Kommission in einer Analyse festgestellt, dass die EU in strategisch wichtigen Bereichen teilweise einseitige Importabhängigkeiten von Rohstoffen und Technologien gegenüber anderen Ländern hat. In erster Linie sollte es Unternehmen überlassen sein, selbstständig über die Diversifizierung von Lieferanten diese Abhängigkeiten zu reduzieren. Wo dies nicht ausreicht, sollten aus Sicht der Unternehmen vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Spannungen in Ausnahmefällen Abhängigkeiten mit staatlicher Unterstützung reduziert werden, beispielsweise durch den Aufbau von eigenen Wertschöpfungsketten in der EU, um zu einer höheren Resilienz der Wertschöpfungsketten europäischer Unternehmen beizutragen.
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftliche Handeln bestimmen:
  • Rahmenbedingungen für die Industrie setzen
  • Die Innovationsfähigkeit der gewerblichen Wirtschaft stärken
  • Förderung strategischer Wertschöpfungsketten
  • Disruptiven Innovationen in der EU zum Durchbruch verhelfen
  • Schutz geistigen Eigentums auch in Krisenzeiten garantieren
  • European Chips Act richtig ausgestalten

Rahmenbedingungen für die Industrie setzen


Eine Stärkung der Industrie erfordert aus Sicht der Mehrheit der Betriebe einen erleichterten Zugang zu internationalen Märkten und Finanzierungen sowie den konsequenten Abbau von bürokratischen Lasten. Ferner wird mit zunehmender Vernetzung industrieller Anwendungen der unternehmens- und länderübergreifende Datenaustausch stark zunehmen. Gemeinsame Standards für Daten und die IT-Sicherheit sind daher für viele Unternehmen eine wichtige Voraussetzung für neue datengetriebene Geschäftsmodelle. Bei der Weiterentwicklung dieser Geschäftsmodelle müssen dadurch entstehende Chancen immer wieder neu mit Datenschutzanforderungen abgewogen und in Einklang gebracht werden. Insbesondere für KMU sollte überprüft werden, dass die Realisierbarkeit nicht durch zu hohe Aufwände konterkariert wird. Industrieunternehmen benötigen langfristig verlässliche Rahmenbedingungen für ihre Investitionsplanung. Neue ökologische Regelungen, z. B. beim Kreislaufwirtschaftspaket, dem EU-Emissionshandel und bei den erneuerbaren Energien sollten auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie gegenüber ihren globalen Konkurrenten im Blick haben bzw. diese stärken und die Investitionsbereitschaft anregen. Vorrang vor einer Verschärfung des EU-Rechts sollte nach Ansicht der Betriebe die bessere und einheitliche Umsetzung bestehenden Rechts in den Mitgliedstaaten haben. Um die Industrieakzeptanz in der Bevölkerung zu fördern, sind mehr Information und ein verstärkter Dialog hilfreich. Das kann helfen, die Bedeutung der Industrie für Wertschöpfung, Wohlstand und Wachstum zu vermitteln. Regionale Bündnisse und Akzeptanzprojekte (wie z.B. die „Lange Nacht der Industrie“ oder auch ein European Industry Day) helfen, Menschen und Industrie zusammenzubringen und Industrieproduktion erleb- und begreifbar zu machen.

Die Innovationsfähigkeit der gewerblichen Wirtschaft stärken


Aus Sicht des überwiegenden Teils der deutschen gewerblichen Wirtschaft sollten die EU und die Mitgliedstaaten ihre Ausgaben zur Förderung von Innovation und Forschung deutlich steigern, um gegenüber anderen Regionen der Welt wettbewerbsfähig zu bleiben. Eine Reihe von Unternehmen bevorzugen auf der anderen Seite statt der Erhöhung der Fördermittel, Steuersenkungen bevorzugen. Die Wahl des Mittels hängt vom konkreten Einzelfall ab. Die europäische Innovationsförderung sollte die nationale Förderung dabei ergänzen und nicht ersetzen. Für mehr Agilität und Flexibilität sind auch geringere bürokratische Anforderungen, schnellere und digitalisierte Förderprozesse und mehr Mut bei den Unterstützungsmöglichkeiten sowie neue Förderformate aus Sicht der Wirtschaft anzuraten. Denn innovative Formate wie Innovations-Challenges, Reallabore, gesteigerte Investitionen in Test- und Validierungsinfrastrukturen wie Pilotfabriken oder Hackathons können zusätzliche Transferpotenziale heben. Darüber hinaus sollte die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft gestärkt werden. Auch die Förderung der Gründungskultur, die Belebung des Wagniskapitalmarkts und die Nutzung von Clusterpotenzialen für die Industrie sind weitere wichtige Hebel zur Stärkung der Innovationsfähigkeit von Unternehmen.
Zudem kann die Innovationskraft von insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen nur gestärkt werden, wenn die EU ihre Innovationsförderung auch KMU-freundlich gestaltet. Dazu gehören themenoffene Ausschreibungen, bürokratiearme Antragstellung, zweistufige Auswahlverfahren zur Reduktion der hohen Überzeichnung und kurze Fristen vom Antrag bis zum Förderbescheid. Die frühzeitige Einbindung der gewerblichen Wirtschaft ist ebenfalls wichtig. Das Accelerator Programm des Europäischen Innovationsrates (EIC) kann im Hinblick auf diese Aspekte auch für andere Forschungsförderprogramme als Beispiel dienen, um die innovativsten KMU beim Wachstum zu unterstützen.

Förderung strategischer Wertschöpfungsketten


Grundsätzlich ist aus Sicht der Mehrheit der Unternehmen eine horizontale Industriepolitik zu bevorzugen. Sie schafft gute Rahmenbedingungen für alle Wirtschafteilnehmer. Der Markt verteilt die knappen Ressourcen am effizientesten. Staatliche Eingriffe können hingegen marktverzerrende Effekte haben. Entscheiden sich jedoch mehrere EU-Mitgliedstaaten für eine vertikale Industriepolitik, indem sie einzelne „strategischer Wertschöpfungsketten“ fördern, so ist eine Koordinierung auf EU-Ebene und eine grenzüberschreitende Bündelung von Ressourcen sinnvoll, anstatt Fördervorhaben in mehreren einzelnen Mitgliedstaaten parallel durchzuführen. Das Instrument der „Important Projects of Common European Interest (IPCEI)“ kann die Verfahren der EU zur Genehmigung der von Mitgliedstaaten geplanten Subventionen für Unternehmen bündeln und straffen. Dies setzt jedoch bei IPCEI zukünftig ein schnelleres und effizienteres Vorgehen und somit straffere Genehmigungsverfahren voraus. Insgesamt sollten sich IPCEI auf Forschung und Entwicklung zum Hervorbringen neuester, marktreifer Technologien konzentrieren oder den Aufbau großer Infrastrukturen unterstützen. Die Einbindung von klein und mittelständischen Unternehmen bei IPCEI sollte entsprechend der Regeln in der neuen IPCEI Mitteilung der EU-Kommission auch in der Praxis gewährleistet werden. Eine grundsätzlich erleichterte Antragstellung sowie eine stärkere Bewerbung von IPCEIs können hierbei hilfreich sein. Der im Rahmen von IPCEIs eingeführte Rückforderungsmechanismus für Fördermittel für den Fall, dass der tatsächliche Erfolg die ursprünglich erwarteten Überschüsse übersteigt, sollte berechenbar und maßvoll ausgestaltet sein.
Die von der EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten geplante Ausweitung der Förderung strategischer Wertschöpfungsketten sollte differenziert bewertet werden. Maßnahmen zur Stärkung von mitgliedstaatenübergreifenden Wertschöpfungsketten im vorwettbewerblichen Bereich werden von der Wirtschaft in der Mehrheit befürwortet, wie z. B. die Sicherung des Zugangs zu wichtigen Rohstoffen, die umfangreiche Förderung von Innovation und Forschung, das Entwickeln des notwendigen Fachkräftepotenzials und das Beseitigen von regulatorischen Hürden. Die Gründung von EU-Industrieallianzen, welche die EU-Kommission, Mitgliedstaaten und die Industrie zusammenbringen, kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Weitergehende Maßnahmen, wie ein Markteingriff über die Subventionierung des Aufbaus von Produktionseinheiten im Rahmen von IPCEI, sollten nur in wenigen und besonder gut begründeten Ausnahmefällen zum Einsatz kommen, wie etwa bei Aspekten der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit, der Versorgungsicherheit oder dem Aufbau umfangreicher Infrastrukturen. Sonst drohen Milliarden Euro an Steuergeldern falsch eingesetzt zu werden, die für andere Förderprogramme für die Wirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen und ggf. durch Steuererhöhungen refinanziert werden müssen, welche die Wirtschaft zusätzlich belasten würden.
Eine Region hat sich dafür ausgesprochen, bei der Herstellung von Batteriespeichertechnologien und von Photovoltaik-Anlagen als EU selbstständiger und unabhängiger zu werden.
Die bisher gestarteten und geplanten IPCEI, mit Ausnahme des IPCEI Wasserstoff, fokussieren sich auf Technologiebereiche, in denen die EU den technologischen Anschluss an andere Weltregionen bereits teilweise verloren hat und in eine Importabhängigkeit geraten ist, die sie nun reduzieren möchte. Wo zu einseitige Abhängigkeiten gegenüber anderen Ländern vorliegen und andere Maßnahmen wie eine Diversifizierung der Bezugsquellen oder zusätzliche Lagerhaltung nicht ausreichen, um die Resilienz strategisch wichtiger Wertschöpfungsketten zu erhöhen, können IPCEI, insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Spannungen, in den zuvor genannten Ausnahmefällen einen Beitrag leisten.
Aus Sicht der deutschen gewerblichen Wirtschaft ist jedoch zu betonen, dass im Vordergrund stehen sollte, die Ursachen dafür zu beseitigen, dass die EU in manchen wichtigen Technologiefeldern teilweise den Anschluss verloren hat. Dazu gehört v.a. die Anpassung unternehmerischer Rahmenbedingungen (wie z. B. die Reduktion hoher Energiekosten oder die Beschleunigung langwieriger Genehmigungsverfahren), so dass zukünftige innovative Technologien von Unternehmen in der EU entwickelt werden können und Importabhängigkeiten bei strategisch wichtigen Produkten zukünftig gar nicht erst entstehen.

Disruptiven Innovationen in der EU zum Durchbruch verhelfen


Der von der EU-Kommission geschaffene „Europäische Innovationsrat (EIC)“ ist ein guter Ansatzpunkt, um bahnbrechende Innovationen zu fördern. Bei der Innovations- und Wachstumsförderung von Projekten mit höherem Technologiereifegrad kann er den größten Mehrwert leisten (Förderinstrument EIC Accelerator). Durch die Bereitstellung von Wagniskapital kann die EU die Kommerzialisierung der neuen, disruptiven Technologien von Existenzgründern, Startups oder etablierten Unternehmen auf europäischer Ebene unterstützen. Im Zentrum der Förderung disruptiver Innovationen sollten nach Einschätzung der Unternehmen marktwirtschaftliche Prinzipien stehen, um dauerhafte Subventionen zu vermeiden. Es ist aber auch darauf zu achten, dass die Gesetzgebung mit den Innovationen Schritt hält. Der Gesetzgeber sollte disruptive Innovationen eng begleiten und die Gesetzgebung sukzessiv an die Entwicklung anpassen.

Schutz geistigen Eigentums auch in Krisenzeiten garantieren


Fairer Wettbewerb kann auch durch einen effektiven und verlässlichen Schutz des geistigen Eigentums (IP) erreicht werden, insbes. bei technischen Innovationen durch das Patentrecht. Besonders für den Forschungs- und Investitionsstandort Europa gilt: Dieser Schutz sollte gerade auch in Krisenzeiten wie der Covid-Pandemie Bestand haben, denn der Schutz Geistigen Eigentums ist häufig ein wichtiger Teil der Lösung. Die teilweise Aufhebung von globalen Schutzmechanismen für Geistiges Eigentum, wie sie auch aktuell in der Welthandelsorganisation diskutiert wird (TRIPS-Waiver), bedarf aus Sicht der Wirtschaft der genauen Abwägung. Die Forschung an neuen zukunftsweisenden Produkten und Verfahren erfordert erhebliche Investitionen, welche durch Patentschutz abgesichert werden können. Dadurch stellt das Patentrecht ein wesentliches Instrument zur Innovationsförderung dar. Ohne die Aussicht diese durch das Patentrecht zu sichern und damit wirtschaftlichen Erfolg abzusichern, sind Forschung und Entwicklung sowohl national als auch in der EU und weltweit gefährdet. Wichtig wäre dafür ein international möglichst harmonisiertes Patentrecht, um Marktzugangschancen zu verbessern und Bürokratie abzubauen. Beispiel für die Vereinfachung des Patentanmeldeprozesses und für effektive Kostensenkungen in der EU ist die Einführung des EU-Einheitspatentes, welches nach der Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten möglichst schnell und kostengünstig umgesetzt werden sollte. Der Aufbau einer firmeninternen IP-Strategie ist bei KMU in vielen Fällen jedoch eine Herausforderung, bei welcher sie unterstützt werden sollten. Eine Nachverfolgung von Patenrechtsverletzungen sollte international ebenfalls konsequent gewährleistet werden, insbesondere KMU benötigen dabei Unterstützung.

European Chips Act richtig ausgestalten


Vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Spannungen und zunehmender Chip-Knappheit ist es nach Ansicht der breiten Mehrheit der Betriebe angemessen, dass sich die Euro-päische Kommission über einen European Chips Act der hoch konzentrierten Abhängigkeit der EU von der Produktion von Halbleitern aus einigen wenigen Ländern annimmt. Mikrochips sind von hoher Relevanz für die europäische Industrie, da sie sich in den meisten Produkten wieder-finden. Die ausreichende Versorgung der deutschen und europäischen Industrie mit Mikrochips ist gegenwärtig nicht sichergestellt. Maßnahmen wie IPCEIs, Mittel zur Forschungsförderung, Fonds, um europäische Unternehmen in der Halbleiterindustrie beim Wachstum zu unterstützen oder (virtuelle) Pilotanlagen sind daher zu unterstützen. Allerdings ist die ausschließliche Fokus-sierung auf Pilotlinien für die neueste Chip-Generation im Sinne kleiner Knotengrößen (<7nm) zu hinterfragen, da die europäischen Halbleiterhersteller in diesem Bereich bisher nicht aktiv sind und diese Chips bisher von der in Europa ansässigen Industrie kaum für ihre Produkte ver-wendet werden.
Positiv zu bewerten ist der im Chips Act geplante Aufbau des Netzes von Kompetenzzentren, das Zugang zu technischem Fachwissen und Experimenten im Bereich Halbleiter bieten soll. KMU könnten davon profitieren, um Entwurfskapazitäten zu entwickeln und Kompetenzen zu erwer-ben.
Der Chips-Act stellt eine Ausnahme von den bewährten Beihilferegeln dar, die noch nicht in allen Auswirkungen beurteilt werden kann. Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Rechte, um bei Unternehmen, die unter dem Chips Act finanziell gefördert werden, in Unternehmensent-scheidungen durch die Priorisierung von Aufträgen für kritische Sektoren und die Einführung von Ausfuhrkontrollen einzugreifen, sind einerseits sehr kritisch zu bewerten, da sie einen er-heblichen Eingriff in die Privatautonomie bedeuten. Wird in diese komplexen Wertschöpfungs-ketten an einer Stelle staatlich eingegriffen, kann dies zudem zu Konsequenzen an vielen ande-ren Stellen führen, wie z. B. Unterbrechungen in anderen wichtigen Wertschöpfungsketten, als auch Gegenreaktionen anderer Länder hervorrufen. Andererseits ist die Abwehr eines Produktzu-griffs von Seiten von Drittstaaten zu gewährleisten. Hier bieten sich indes allgemeine Abwehr-mechanismen an.