Startup

Backe, Backe, Patent

Angefangen hat alles mit einer missglückten Seminaraufgabe und dem Kopfkissen von Lisa Scherers Vater. Daraus wurde die Proservation GmbH mit acht Mitarbeitern und einem europäischen Patentantrag. Ziel des Startups: Verpackungen sollen nachhaltiger werden.
Genau genommen, die innere Polsterung für empfindliche Ware. „Es ist schließlich ein Unding, dass dem ganz kurzen Einsatz lebenslanger Müll gegenübersteht“, sagt Henning Tschunt. Der 28-jährige Mitgründer steht im Produktionsraum von Proservation in der Cannstatter Schwaben- Bräu-Passage und zeigt, wie ihr Produkt mit Namen „Recou“ funktioniert.

Getreidespelzen werden zum Versandpolster

Es basiert auf Getreidespelzen, die mit ­einem ökologischen Bindemittel zu einer Art Teig verbunden werden, der dann geformt und getrocknet wird. So entsteht ein passgenaues Produkt, mit dem die Ware transportsicher „abgepolstert“ wird.
Kreativer Kopf und Erfinderin von Recou ist Lisa Scherer. Während ihres Studiums an der Stuttgarter HdM, Fachrichtungen Verpackungsmanagement und Industriedesign, sollte sie Zelluloseschäume für Verpackungsmaterial herstellen. Doch die Prozedur war aufwändig und sehr energieintensiv. „Gibt es keine natürlich gewachsenen Hohlräume in der Natur, die man nutzen kann?“ fragte sie sich. Da fiel ihr das Dinkelkissen ein, auf dem ihr Vater so gut schlief. Gefüllt ist es mit den Spelzen des Getreides. Weil sie hohl aber elastisch sind, gibt das Kissen nach, bleibt aber formstabil.

Das Material brauchte bisher eigentlich niemand

Das Tolle: außer für solche Kissen und vielleicht noch als Beifutter für Kühe oder zur Produktion von Biogas braucht das Material eigentlich niemand. Selbst Mäuse meiden es, weil es keinerlei Nährwert hat. Dabei steht es in großen Mengen zur Verfügung: „Eine Tonne pro Tag fällt in den kleinen Familienmühlen an, mit denen wir zusammenarbeiten“, erzählt Tschunt. Das ist noch mehr als es ohnehin schon klingt, nämlich zehn Kubikmeter.
Scherer erzählte ihrer Schwester ­Sophia von ihrer Idee und die ihrem Schulfreund Henning Tschunt und der wiederum seinem ­Studienfreund Nils Bachmann. „Wir vier sind werteverwandt aber sehr divers von Background und Charakter“ sagt Tschunt. Ideal wie er findet, denn so konnten sie die Firma sozusagen aus Bordmitteln entwickeln und mussten kein Wissen und ­keine Dienstleistung zukaufen.
Es ist schließlich ein Unding, dass dem ganz kurzen Einsatz lebenslanger Müll ­gegenübersteht
Als sie im November 2022 die Proservation GmbH gründeten, waren sie sich zudem einig, es sollte keine gewöhnliche GmbH sein. „Wir setzen auf Verantwortungseigentum. Das bedeutet, dass Stimmrecht und Gewinnrecht niemals in einer Hand liegen dürfen“, erklärt Tschunt, der nachhaltiges Management an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde studiert hat. „Steward Ownership“ wird das Modell auch genannt, bei dem die Geld­geber nicht über die Geschicke des Unternehmens bestimmen dürfen.

Für nachhaltige Küchengeräte im Einsatz

Apropos Geld: Die Gründer profitieren noch von diversen Förderprogrammen, ­haben aber auch schon erste Kunden ­gewonnen: so verpackt ein Hersteller nachhaltiger Küchengeräte seine Ware in Recou. Außerdem bestellen Unternehmen Prototypen, denn die kann Proservation ­innerhalb einer Woche liefern. Das ­Material hat nämlich den Vorteil, dass es in Formen aus dem 3-D-Drucker produziert werden kann. Das spart Zeit und Geld für die Herstellung aufwendiger Werkzeuge

Fast wie in der Bäckerei

Wenn man in dem überschaubaren Produktionsraum steht, wähnt man sich eher in einer Bäckerei als in einem Industrieunternehmen: Es gibt Öfen zum Trocknen, Mixer und Mehltrichter. Tatsächlich muss noch viel Entwicklungsarbeit geleistet werden, bis die Prozesse so automatisiert und industrialisiert sind, dass sie überall einsetzbar sind. Proservation möchte dann das Herstellungsverfahren lizenzieren, am liebsten weltweit. Spelzen fallen schließlich auch bei Reis, Hirse, Buchweizen oder Hafer an. Dann kann überall auf der Welt dezentral damit gearbeitet werden.
Das spart Transportwege. Und das Schönste: Recou ist eigentlich nur eine Zwischennutzung. Danach können die Spelzen immer noch von Kühen gefressen oder zu Biogas verarbeitet werden. Oder zu gemütlichen Kissen.

Dr. Annja Maga, Redaktion Magazin Wirtschaft für Rubrik “Menschen  und Ideen”