Internationale Wirtschaft

Renaissance der Fertigung in Europa

Die gestörten Lieferketten und der russische Einmarsch in die Ukraine haben die einst hochgelobte Globalisierung und den Glauben an einen grenzenlosen Welthandel infragegestellt. Der Auslöser für die einsetzende Neubewertung des Engagements in China und Asien sind die ab dem Jahr 2021 explodierenden Logistikkosten. Die Frachtraten auf der Referenzroute Schanghai-Rotterdam erreichten im vergangenen Jahr nie gesehene Höhen. Die über lange Jahre bei etwa 2.000 US-Dollar stabilen Kosten sprangen hoch bis zeitweise über 15.000 US-Dollar pro 40-Fuß-Container. Mittlerweile hat sich der Markt zwar etwas beruhigt, angesichts der Engpässe gehen Fachleute aber von einer Stabilisierung auf hohem Niveau aus.

Nicht nur Transportkosten verursachen Kopfzerbrechen

Langfristige Lieferzeiten und der schwer einschätzbare Zeitpunkt der Anlieferung zwingen Unternehmen, Lagerbestände aufzubauen. Ein eher schleichender Effekt ist der lange vernachlässigte rapide Anstieg der chinesischen Löhne und Gehälter. In der von Industrieunternehmen beliebten Küstenregion Schanghai/Shenzen erreicht das durchschnittliche Einkommen mittlerweile rund 58 Prozent des Niveaus von Deutschland, jedoch mit immensen Unterschieden zwischen gewerblichen Mitarbeitenden und Angestellten. Ein europäischer Konzernchef monierte sogar vo Kurzem, dass sein Werkleiter in Zhuhai mehr verdiene als dessen europäischer Kollege.
Die rasant steigenden Personalkosten gehen einher mit Produktivitätsdefiziten. In China müssen Industrieunternehmen – im Unterschied zu Deutschland – wegen der hohen Fluktuation mit einem Abschlag von mindestens zehn Prozent rechnen. Die Zeichen mehren sich: Im Reich der MItte sind die Tage des Personalkostenvorteils gezählt.
Logistik und Kosten sind allerdings nicht die einzigen Herausforderungen. Spätestens seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine wächst die Sorge vor der geringen Berechenbarkeit autokratischer Staaten. Auch China hat Konflikte mit seinen Nachbarn. So schwelt die Frage der Unabhängigkeit des Inselstaats Taiwan. Dieses Jahr hat die Volksrepublik seinen abtrünnigen Nachbarn mit Eintritten im Luftraum und in das Seegebiet so häufig provoziert wie selten zuvor. Ein bewaffneter Konflikt würde eine der am meisten befahrenen Seestraßen auf der Welt stilllegen. Dabei erscheint das Thema Menschenrechte mit der Ablehnung der Hermes-Bürgschaften für VW in China fast nebensächlich.
In der Führung europäischer Unternehmen brodelt es: Eigene Analysen zur Bewertung des chinesischen Engagements werden erarbeitet, eine Reihe von Unternehmensberatungen führen “Manufacturing Footprint”-Analysen durch. Die Ergebnisse sind für die Geschäftsführung häufig überraschend, teilweise sogar schockierend: Vor allem bei voluminöseren Produkten stellt sich immer wieder heraus, dass sogar die Fertigstellung im Hochlohnland Deutschland preiswerter ist als die Herstellung in und Belieferung des europäischen Marktes aus China. Ein Ausweichen auf andere asiatische Standorte, beispielsweise Vietnam, ist nicht nachhaltig: Die politische Instabilität bleibt, die hohen Frachtkosten nach Europa ebenso. Eine Funktion des asiatischen Standorts als regionaler Hub zur Versorgung von Originalgeräteherstellern (OEM) ist wegen der Gefahr kurzfristiger Handelseinschränkungen in Abnehmerländern zweifelhaft. Die uns bekannten Diskussionen enden in der Regel mit der Entscheidung für eine Local-for-Local-Fertigung, das heißt einer Herstellung der Waren in dem Wirtschaftsraum, in dem die Waren auch abgesetzt werden.

Schon in vollem Gang: Rückverlagerung nach Europa

Die Local-for-Local-Strategie führt zu einer Zurückverlagerung von Fertigung in die EU. Dieser Prozess hat in aller Stille bereits begonnen. Die Unternehmenslenker agieren vorsichtig, ein Konflikt mit den IM Hinblick auf Verlagerungen sensiblen chinesischen Staatsorganen soll vermieden werden, zumal eine Fertigung zur Versorgung des lokalen asiatischen Markts weiterhin erforderlich ist. In Deutschland und Mittel- beziehungsweise Osteuropa ist dieser Trend erkennbar, die Standortsuchen haben stark zugenommen. Eines der wichtigsten Kriterien ist dabei die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, die mittlerweile nicht nur in Deutschland, sondern zunehmende auch bei unseren östlichen Nachbarn Mangelware ist.
Um von der Rückverlagerung aus Asien profitieren zu können, ist die Lösung der Fachkräftefrage unerlässlich. Sinnvoll und kurzfristig alternativlos ist eine gesteuerte Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften. Dabei darf eine kluge Einwanderungspolitik nicht mit der Flüchtlingspolitik gleichgesetzt werden.
Dr. Peter Orban, Geschäftsführer der Orban Consulting GmbH