Handelsrecht

Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters

Warum gibt es einen Ausgleichsanspruch?

Durch die Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses verliert der Handelsvertreter seinen Provisionsanspruch für Geschäfte, die der Unternehmer mit den von ihm geworbenen Kunden abschließt. Trotzdem behält der Unternehmer die Möglichkeit, mit diesen Kunden weiterhin Verträge zu schließen. Insbesondere dann, wenn der Handelsvertreter einen festen Kundenstamm aufgebaut hat, sind Folgebestellungen, zumindest für einen gewissen Zeitraum, zu erwarten. Der Unternehmer profitiert also noch nachträglich von den Leistungen des Handelsvertreters, ohne dass ein entsprechender Provisionsanspruch ausgelöst wird. Gemäß § 89 b HGB steht dem Handelsvertreter hierfür ein "angemessener" Ausgleich zu. Der Handelsvertreter erhält praktisch eine Vergütung für den von ihm aufgebauten und dem Unternehmer nach Vertragsbeendigung überlassenen Kundenstamm.

Wer kann einen Ausgleichsanspruch geltend machen?

Handelsvertreter ist, wer i. S. d. § 84 Abs. 1 HGB als selbständiger Gewerbetreibender, also im Wesentlichen sachlich und zeitlich frei von Weisungen, ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen und auf fremde Rechnung abzuschließen. Seit dem 1. Januar 1999 gilt dies auch für Handelsvertreter, deren Unternehmen einen nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb nicht erfordert (§ 84 Abs. 4 HGB). Auch braucht der beauftragende Unternehmer nicht Kaufmann zu sein. Ein Handelsvertreter ist hauptberuflich tätig, wenn er den überwiegenden Teil seines Einkommens aus der Tätigkeit bestreitet (anders: Rentner) und sie nach Zeit und Umfang keine untergeordnete ist (anders: Studenten, Hausfrauen).

Welche Voraussetzungen müssen vorliegen?

Der Ausgleichsanspruch ist an folgende Voraussetzungen geknüpft:
  1. Beendigung des Handelsvertretervertrages
  2. Geltendmachung des Anspruchs innerhalb von 12 Monaten
  3. Erhebliche Vorteile des vertretenen Unternehmers
  4. Provisionsverluste des Handelsvertreters
  5. Billigkeit, d. h. Deckungsgleichheit von Unternehmervorteilen und Provisionsverlusten

1. Vertragsbeendigung

Das Handelsvertreterverhältnis kann durch einvernehmliche Vertragsaufhebung, Kündigung (§§ 89, 89 a HGB) oder auch durch den Tod des Handelsvertreters enden. In letzterem Fall steht der Ausgleichsanspruch den Erben zu. Der Ausgleichsanspruch entsteht als Folge der Vertragsbeendigung. Lediglich im Fall der Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses kann er gemäß § 89 b Abs. 3 HGB ausgeschlossen sein.

2. Geltendmachung

Eine weitere wichtige Voraussetzung ist das rechtzeitige Geltendmachen des Anspruchs innerhalb von 12 Monaten gemäß § 89 b Abs. 4 S. 2 HGB. Es empfiehlt sich aus prozessualen Gründen die Schriftform. Die Geltendmachung kann auch schon vor der Vertragsbeendigung erfolgen. Einer Bezifferung der Ausgleichshöhe bedarf es dabei nicht.

3. Erhebliche Vorteile des vertretenen Unternehmers

Der Unternehmer muss aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Vertragsbeendigung noch erhebliche Vorteile haben. Der Vorteil des Unternehmers besteht in seiner Möglichkeit, den vom Handelsvertreter aufgebauten Kundenstamm weiter zu nutzen. Ob er diese Chance auch wahrnimmt, ist für den Ausgleichsanspruch unerheblich. Die Vorteile sind in der Regel erheblich, wenn von den übernommenen Kunden tatsächlich Nachbestellungen zu erwarten sind. Es muss also eine Prognose über die voraussichtliche wirklichkeitsnahe Entwicklung des Kundenverhaltens angestellt werden. Der Fortbestand der vom Handelsvertreter angeknüpften Geschäftsbeziehungen ist dabei grundsätzlich - bis zum Beweis einer gegenteiligen Entwicklung - zu vermuten. Berücksichtigt werden nur Vorteile aus der Geschäftsbeziehung mit vom Handelsvertreter geworbenen Neukunden. Neu sind Kunden, wenn sie bei Beginn der Tätigkeit des Handelsvertreters noch nicht in geschäftlichen Beziehungen zu dem Unternehmer gestanden haben. Als neu gelten aber auch Geschäftsverbindungen, die der Handelsvertreter wesentlich erweitert oder wiederbelebt hat (sog. intensivierte Altkunden). Besonderheiten für Versicherungsvertreter sind in § 89 b Abs. 5 HGB geregelt.

4. Provisionsverluste des Handelsvertreters

Der Handelsvertreter muss infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provisionen verlieren, die er bei Fortsetzung des Vertragsverhältnisses gehabt hätte. Dies betrifft Provisionen für Geschäfte, die bereits abgeschlossen, aber noch nicht ausgeführt sind, sowie Geschäfte, die der Unternehmer erst zukünftig mit den vom Handelsvertreter geworbenen Kunden schließen wird (Nachbestellungen). Im Wege einer Prognose über maximal fünf Jahre ist festzustellen, mit welchen Nachbestellungen und Folgeaufträgen des vom Handelsvertreter aufgebauten Kundenstamms zu rechnen ist und inwieweit diese sich provisionsmäßig auswirken würden. 

5. Billigkeit (Deckungsgleichheit)

Die Zahlung eines Ausgleichs muss unter Berücksichtigung aller Umstände geprüft werden, die sich auf die Höhe des zu zahlenden Ausgleichsanspruchs auswirken können. Dies sind solche, die zu dem beendenden Vertragsverhältnis in einem engen Zusammenhang stehen. Der Anspruch kann beispielsweise geringer ausfallen, wenn der Unternehmer aus eigenen Mitteln eine Altersversorgung des Handelsvertreters finanziert hat oder der Handelsvertreter während der Vertragslaufzeit besondere Vorteile genoss (z. B. erfolgsunabhängiges Fixum, besonders günstige Vertragsbedingungen). Hat der Handelsvertreter während der Vertragslaufzeit besondere Schwierigkeiten bei der Werbung für die Produkte auf sich genommen oder erhöhte Aufwendungen bei der Einführung eines neuen Produktes gehabt, so kann dies einen höheren Ausgleichsanspruch rechtfertigen. Der Anspruch kann nicht im Voraus vertraglich ausgeschlossen oder beschränkt werden.
Wichtig: Der Ausgleichsanspruch muss innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend gemacht werden. Eine genaue Bezifferung ist aber zunächst nicht erforderlich.

Wann ist der Anspruch ausgeschlossen?

Der Ausgleichsanspruch ist ausgeschlossen in den Fällen des § 89 b Abs. 3 Nr. 1 - 3 HGB.
  1. Kündigung durch den Handelsvertreter, § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB
    Der Ausgleichsanspruch entsteht nicht, wenn der Handelsvertreter selbst kündigt, ohne dass ihm der Unternehmer hierzu einen begründeten Anlass gegeben hat. Ein begründeter Anlass zur Eigenkündigung besteht bei einer Verkleinerung des Vertreterbezirks, fortgesetzter verspäteter Provisionszahlung, Lieferung mangelhafter Ware usw. In diesen Fällen darf der Handelsvertreter kündigen und behält trotzdem seinen Ausgleichsanspruch. Der Anspruch bleibt auch bestehen, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit wegen Alters oder Krankheit nicht mehr ausüben kann und aus diesem Grund kündigt.
  2. Kündigung durch den Unternehmer, § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB
    Der Anspruch entfällt im Falle einer Kündigung durch den Unternehmer, wenn für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag. Ein wichtiger Grund ist etwa die Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen.
  3. Nachfolgeregelung, § 89 b Abs. 3 Nr. 3 HGB
    Ein Ausgleichsanspruch besteht auch dann nicht, wenn der ausscheidende Handelsvertreter mit dem Unternehmer eine Nachfolgevereinbarung getroffen hat und auf Grund dieser Vereinbarung ein Dritter an die Stelle des Handelsvertreters tritt. Hinter dieser Bestimmung steht die Vorstellung, dass sich der ausscheidende Handelsvertreter von dem Nachfolger die Übernahme der Vertretung bezahlen lässt und ein zusätzlicher Ausgleichsanspruch gegen den Unternehmer daher überflüssig ist. Der Ausschluss erfolgt unabhängig davon, ob der ausscheidende Vertreter tatsächlich von seinem Nachfolger eine Ausgleichszahlung erhält.

Wie hoch ist der Anspruch?

Die Ermittlung des Anspruchs erfolgt in zwei Schritten: zunächst wird anhand des § 89 b HGB der Rohausgleich berechnet, dann wird als Obergrenze des Anspruchs der Höchstbetrag gemäß § 89 b Abs. 2 HGB festgestellt.
  1. Der Rohausgleich, § 89 b Abs. 1 HGB
    Für den Rohausgleich werden zunächst die abgezinsten Provisionseinbußen des Handelsvertreters durch die Vertragsbeendigung sowie die zukünftigen Vorteile des Unternehmers aus dem aufgebauten Kundenstamm im Wege einer Prognose ermittelt: Als Grundlage dienen die Bruttoprovisionseinnahmen des Handelsvertreters aus Neukunden- bzw. intensiviertem Altkundengeschäft der vergangenen 12 Monate vor Vertragsbeendigung. Dann ist jeweils im Einzelfall zu ermitteln, wie lange die geschaffenen Geschäftsverbindungen erwartungsgemäß hätten fortgesetzt werden können. Die Rechtsprechung geht zumeist von einem Prognosezeitraum von drei bis maximal fünf Jahren aus. Zu beachten ist außerdem, dass jeder Kundenstamm einer gewissen Fluktuation unterliegt und jedes Jahr Kunden ihre Geschäftsbeziehungen zum Unternehmer lösen. Die Abwanderungsquote dieser Kunden muss deshalb von dem erhaltenen Wert abgezogen werden.
  2. Der Höchstbetrag, § 89 b Abs. 2 HGB
    Obergrenze für den Ausgleichsanspruch ist der Höchstbetrag gemäß § 89 b Abs. 2 HGB: Der Ausgleichsanspruch beträgt höchstens eine durchschnittliche Jahresprovision. Diese Jahresprovision errechnet sich aus dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters. Bei kürzerer Dauer des Vertragsverhältnisses ist der Durchschnittsverdienst während der Dauer der Tätigkeit maßgebend. Bei der Berechnung des Höchstbetrages sind alle Vergütungen des Handelsvertreters einzubeziehen, z. B. auch die Bruttoprovisionen aus Altkundengeschäften, Provisionen für Delkredere und Verwaltung, Festbeträge usw.
Achtung: Der Unternehmer schuldet als Ausgleich also mindestens den im Einzelfall berechneten Rohausgleich, höchstens aber den Höchstbetrag gemäß § 89 b Abs. 2 HGB.