IHK-Konjunkturbericht - 4. Quartal 2019

Halbzeitbilanz der Landesregierung

Die Stimmung in der Wirtschaft im Norden hat sich zur Jahreswende verbessert. Der Konjunkturklimaindex der IHK Schleswig-Holstein hat sich erholt und stieg im vierten Quartal 2019 auf 111,5 Punkte. Voraussetzungen für eine weiterhin positive Entwicklung sind passende Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. In ihrer Halbzeitbilanz der Landesregierung fordert die IHK Schleswig-Holstein, die wirtschaftsnahe Politik fortzusetzen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu erhöhen.

Halbzeitbilanz der Landesregierung

Bei der Verbesserung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen erkennt die IHK Schleswig-Holstein die Anstrengungen der Landesregierung an. "Zur Mitte der Legislaturperiode sind wir bei der Entwicklung des Wirtschaftsstandorts ein paar Schritte weitergekommen", sagte Friederike C. Kühn, Präsidentin der IHK Schleswig-Holstein, zur Halbzeitbilanz der Jamaika-Regierung.
Zur Landtagswahl vor rund drei Jahren hatte die Landesarbeitsgemeinschaft der IHKs Flensburg, Kiel und Lübeck einen Forderungskatalog aufgestellt. In regelmäßigen Abständen überprüft die IHK, welche Fort- oder Rückschritte es bei der Erfüllung der Forderungen im Bereich Wirtschaft gegeben hat.
Die Forderungen an die Landesregierung und deren aktuelle Bewertung können Sie sich hier ansehen: Volle Kraft voraus für den Norden
"Unsere 175.000 Mitgliedsunternehmen sind darauf angewiesen, dass die Rahmenbedingungen von der Infrastruktur bis zu den Steuern und Abgaben stimmen. Wir nehmen unseren Auftrag der Politikberatung sehr ernst und führen einen ständigen konstruktiv-kritischen Dialog mit der Landesregierung", sagte Kühn.

Industrie als Innovationstreiber definieren

In der Industriepolitik gebe es endlich die dringend benötigten Impulse. Mit dem vor wenigen Tagen vorgelegten Industriepapier bekennt sich die Landesregierung zu einer modernen, an den Bedürfnissen der Betriebe orientierten Politik. Sie spricht übergeordnete, die gesamte Wirtschaft betreffende Themen wie "Digitalisierung" und "Fachkräftemangel" ebenso an wie konkrete Projekte, die die Industrie des Landes voranbringen sollen. "Schleswig-Holstein hat in den vergangenen 35 Jahren eine Wende vom Agrarland zum Hightech-Standort vollzogen", sagte die Präsidentin.
Im Norden gebe es viele Industrieunternehmen, die weltweit erfolgreich sind. Das belege die zum Jahreswechsel von der IHK Schleswig-Holstein herausgegebene Weltmarktführer-Broschüre eindrucksvoll. "Dieses Werk ist nur ein Ausschnitt, wir haben noch lange nicht alle Global Champions abgebildet", sagte Kühn. Das allein reiche aber nicht, das Land müsse sich endlich auch als Industriestandort definieren, um ein viel stärkeres Marketing betreiben und die Bedingungen für das produzierende Gewerbe weiter verbessern zu können. Kühn: "Die Industrie ist Treiber bei den Innovationen und sie lockt Fachkräfte zu uns in den Norden."
Eine innovative Industrie könne auch zur treibenden Kraft in der Umwelttechnologie werden. "Alle reden vom Klimawandel. Deutschland und Europa geben Ziele vor, aber ohne die Wirtschaft werden wir diese nie erreichen", betonte die Präsidentin. Umwelttechnologie werde aber nicht durch Zwang und ein enges Korsett fortschrittlich, sondern durch Freiheit und Wettbewerb. "Regulierung hilft nicht weiter. Die Unternehmen brauchen einen Rahmen, der ihnen Möglichkeiten eröffnet, und auch Fördermittel", so Kühn.

Nicht nur auf Elektroantriebe setzen

Außer der Wind- und Sonnenergie biete die Wasserstofftechnologie großes Potenzial für die Energiewende. Im vergangenen Jahr hat die IHK Nord, der Zusammenschluss der zwölf norddeutschen IHKs in fünf Bundesländern, die Initiative für dieses Thema gestartet. "Die IHK Nord ist vorangegangen und hat eine Wasserstoffstrategie vorgelegt. In der Politik haben wir damit offene Türen eingerannt. Die fünf norddeutschen Bundesländer haben die Initiative ergriffen und dem Bund ihre eigene Strategie präsentiert“, sagte Kühn.
Wasserstofftechnologie sei eine große Chance für den Norden. Die Wirtschaft kann mit neuer Technologie zeigen, dass es technische Möglichkeiten gegen den Klimawandel gibt. Auch die Unternehmen haben etwas davon, denn sie können die von ihnen entwickelte Technologie verkaufen.
Bei diesem Thema komme es darauf an, dass die Politik die richtigen Bedingungen schafft. Eine Fokussierung allein auf Elektroantriebe sei zu einseitig. Wichtig sei es, auch die Entwicklung weiterer Techniken zu erproben und zu fördern. Grundlage ist aber, dass es ausreichend und vor allem bezahlbare Energie gebe. Die Herstellung von Wasserstoff beispielsweise lässt sich unter den gegenwärtigen regulatorischen Bedingungen noch nicht als Geschäftsmodell darstellen.
"Die Kostensteigerung muss endlich aufhören. Daher begrüßen wir es ausdrücklich, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene sowohl für eine Senkung der EEG-Umlage als auch für eine Neuordnung aller staatlichen Preisbestandteile stark macht", sagte Kühn. Schleswig-Holstein produziere ausreichend Strom, dieser sollte Wirtschaft und Verbrauchern auch zur Verfügung stehen. Es gehe darum, die Interessen der Stromkunden und -erzeuger intelligent miteinander zu verbinden.

Mehr Planungssicherheit

Viel Bewegung gibt es auch in der Verkehrspolitik. Das Land habe viele Vorkehrungen getroffen, um die Planung von Großprojekten zu ermöglichen. "Der Bundesverkehrswegeplan regelt die Finanzierung des Ausbaus des Nord-Ostsee-Kanals und der Autobahn 21 sowie des Weiterbaus der A 20. Das Geld ist da, es fehlt aber an Planern. Im Wettbewerb der Regionen laufen wir gegen die Zeit, daher ist es wichtig, dass das Land die Planungen vorantreibt“, sagte Björn Ipsen, Hauptgeschäftsführer der IHK Schleswig-Holstein.
Die Einbindung der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES) in Planung und Bau der Autobahnen sei eine richtige Entscheidung des Landes gewesen, denn diese Kooperation mildere die Engpässe in den Planungskapazitäten.
Er begrüßte ausdrücklich die Unterstützung des Landes bei der Forderung der Wirtschaft an den Bund, die Planung großer Vorhaben wie im Nachbarland Dänemark per Gesetz festzulegen und damit zu beschleunigen. Ipsen: "Endlich bekommt die Wirtschaft wieder Planungssicherheit." Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Dr. Bernd Buchholz habe sich im Bund für die Idee eingesetzt und zum Erfolg beigetragen, lobte Ipsen.
Planungssicherheit fehle allerdings auch weiterhin beim Netzausbau. Noch immer klagen die Unternehmen im Land über mangelnde Kapazitäten und fehlendes Breitband. Die Politik muss eine Vernachlässigung älterer Gewerbe- und Industriegebiete beim Thema Breitbandanschluss verhindern.
Auch beim Ausbau des Mobilfunkstandards 5G fehle es trotz des Bekenntnisses der Landesregierung an Impulsen. "Hier geht es nur sehr langsam vorwärts", betonte Ipsen. "Unser Land hat bisher die Nase vorn im Vergleich mit anderen Bundesländern - die holen aber auf. Daher müssen wir mindestens einen Schritt voraus sein."

Besserer Zugang zum Unternehmertum

Damit die Kombination aus innovativer Wirtschaft und wettbewerbsfähigem Standort mit attraktiven Bedingungen gelinge, benötige das Land vor allem Fachkräfte. Über die Gewinnung von Mitarbeitern aus anderen Regionen hinaus müsse die qualifizierte Ausbildung der eigenen Jugend einen höheren Stellenwert erhalten. Allerdings habe die schulische Bildung die für den Standort erforderliche Qualität bisher nicht erreicht.
Es gebe aber einen Lichtblick: "Endlich hat das Land auf die Wirtschaft gehört und baut die Berufsorientierung an den weiterführenden Schulen, vor allem den Gymnasien, deutlich aus. Auch das Thema Wirtschaft erhält mehr Raum im Unterricht", so Ipsen. Dadurch sollen die Schüler einen besseren Zugang zum Unternehmertum erhalten und sich auch für die Gründung oder Übernahme eines Unternehmens interessieren.
Grundsätzlich sollte das Land auch die Konditionen für Start-ups weiter verbessern. Dazu gehört es, die Finanzierungsbedingungen zu optimieren und die Vernetzung zwischen jungen und etablierten Unternehmen auszubauen. "Eine Möglichkeit sind Experimentierräume, die Anreize für die Entwicklung neuer Technologien rund um Künstliche Intelligenz bieten, sagte Ipsen und begrüßte zugleich die Unterstützung des Landes beim Projekt "Gateway49" am Technikzentrum Lübeck, dem Zusammenbringen von Start-ups und etablierten Unternehmen.
Anerkennung verdiene das Engagement des Landes bei der Förderung des organisierten Sports. Dieser ist aus Sicht der Wirtschaft ein wichtiger Standortfaktor, wie die gemeinsam vom Landessportverband Schleswig-Holstein und der IHK Schleswig-Holstein beauftragte und herausgegebene Studie "Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wert des Sports in Schleswig-Holstein" belegt.
Vor allem ist er aber wichtig als Bindeglied für die Gesellschaft. Dem trägt der Zukunftsplan "Sportland Schleswig-Holstein" Rechnung, der zurzeit auch unter Beteiligung der IHK-Organisation entsteht. "Er wird dazu beitragen, Sportangebote und -infrastruktur im Land weiterzuentwickeln. Das erhöht die Standortqualität, und das Land wird attraktiver für qualifizierte Fachkräfte", sagte Kühn. "Einzig unsere Forderung, die Unterstützung des Betriebssports durch die Unternehmen steuerlich attraktiver zu machen, hat das Land bisher nicht erhört."

Konjunkturklima

Angesichts der sich positiv entwickelnden Rahmenbedingungen am Standort Schleswig-Holstein näherte sich der Konjunkturklimaindex der IHK Schleswig-Holstein zum Jahresende wieder seinem langjährigen Durchschnittswert von 116,7 Punkten an. Im Vorquartal waren es 97,3 Punkte auf einer Skala von null bis 200 Punkten.
Handelspolitische Unsicherheiten wie der Ausbruch des Corona-Virus, der Brexit oder die Außenhandelspolitik der USA könnten das Ergebnis der Umfrage im ersten Quartal 2020 allerdings verschlechtern. Damit sich die Stimmung in der Wirtschaft auf Dauer nicht eintrübt, sollte das Land die Bedingungen für die Unternehmen daher weiter verbessern.
Der Konjunkturumfrage zufolge ist die Mehrheit der Unternehmen zufrieden mit ihrer aktuellen Situation: Lediglich 10,3 Prozent der Unternehmen sind nicht zufrieden. "Nach den sehr schlechten Erwartungen im Vorquartal, die maßgeblich auf die schwer vorhersehbaren wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen im In- und Ausland zurückzuführen waren, blicken die Unternehmer in Schleswig-Holstein wieder positiv in die Zukunft", fasst Kühn das Ergebnis der Konjunkturumfrage zusammen.
Die Erwartungen und Pläne der Industrie verbessern sich im Vergleich zum Vorquartal deutlich: Nur noch 25 Prozent der Unternehmen rechnen mit einer sich verschlechternden Geschäftslage - im dritten Quartal waren es noch 43 Prozent. Auch die derzeitige Lage in der Bauwirtschaft ist erfreulich, denn 97 Prozent der Unternehmen bewerten ihre derzeitige Situation als gut oder befriedigend.
Im Großhandel sowie in der Transport- und Logistikbranche sind die Unternehmen ebenfalls zufrieden, nur jeweils ein Zehntel klagt über die derzeitige geschäftliche Lage. Im Einzelhandel läuft das Geschäft auch weiterhin solide, die Einschätzungen zum Vorquartal haben sich daher kaum verändert. Ein durchweg positives Bild gibt die Dienstleistungsbranche ab. Hier spricht die Hälfte der Unternehmen von einer guten Geschäftslage und erwartet keinen Abwärtstrend.

Erwartungen deutlich positiver

Größter Risikofaktor für die Unternehmen in Schleswig-Holstein bleibt der Fachkräftemangel. Seine Bedeutung hat sich im Vergleich zum Vorquartal kaum verändert: 63 Prozent der Befragten sehen in ihm ein Hemmnis.
Weiterhin schätzt knapp die Hälfte der Unternehmen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen als Gefahr für ihr Geschäft ein. Allerdings sinkt deren Relevanz als Risikofaktor im Vergleich zum vorigen Quartal deutlich ab. Dagegen zeichnet sich schon seit Spätsommer ab, dass die Energie- und Rohstoffpreise wieder zunehmend als ernstzunehmendes Geschäftsrisiko wahrgenommen werden.
Ihre erwartete Geschäftslage bewerten knapp 80 Prozent der Unternehmen als gleichbleibend oder besser bewertet, und nur noch rund 20 Prozent der Befragten erwarten eine ungünstigere Entwicklung. Damit fallen die Erwartungen im vierten Quartal wieder deutlich positiver aus, denn im Vorquartal rechneten noch etwa 30 Prozent der Unternehmen mit einer Verschlechterung ihrer Geschäftslage.
Auch die Exporterwartungen verbessern sich wieder leicht. Die Beschäftigungs- und Investitionsaussichten sind gut, jedes fünfte Unternehmen erwartet steigende Beschäftigungszahlen, und mehr als 30 Prozent der Unternehmen planen höhere Investitionsausgaben für das Geschäftsjahr 2020 ein.
"Im dritten Quartal trübte die große wirtschaftspolitische Unsicherheit das Konjunkturklima ein. Vor allem die Unsicherheit über den Fortbestand der Regierungskoalition und die Unklarheit über die Modalitäten des Brexit sorgten für eine negative Erwartungshaltung bei den Unternehmen. Glücklicherweise konnten viele dieser Unsicherheiten zum Jahresende ausgeräumt werden, so dass die Konjunktur zum Ende des Jahres wieder Tritt gefasst hat. Auch der Arbeitsbeginn der EU-Kommission - nach langer Diskussion - trug sicherlich dazu bei", fasst IHK-Präsidentin Kühn die Angaben der Befragten zusammen.
Veröffentlicht am 20. Februar 2020