Gesundheitswirtschaft (Dezember 2017)
Chancen durch Telemedizin
Das deutsche Gesundheitssystem steht vor enormen Herausforderungen: Die steigende Altersstruktur und die medizinische Fachkräftesituation stellen an die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum hohe Anforderungen. Digitale Plattformen und neue Projekte in der Telemedizin könnten eine entscheidende Rolle einnehmen.
Angebote wie Videosprechstunden können dem Ärztemangel im ländlichen Raum entgegenwirken.
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Um sich diesen Herausforderungen zu stellen, hat sich an der Universität zu Lübeck das "
Center for Open Innovation in Connected Health" (COPICOH) zusammengesetzt. Mit einem interdisziplinären Ansatz wollen Wissenschaftler und Unternehmen Lösungsansätze für das deutsche Gesundheitswesen erarbeiten und umsetzen. Dabei gehe es darum, weite Teile der Bevölkerung zu erreichen, sagt der stellvertretende COPICOH-Sprecher Professor Dr. Jost Steinhäuser. "Laut unseren Befragungen schätzen 70 Prozent der teilnehmenden angehenden Allgemeinärzte, dass nur ein Bruchteil des telemedizinisch Möglichen aktuell eingesetzt wird." In dem Joint Lab "Telemedizin für den ländlichen Raum" werden daher Techniken wie Instant Messaging und telemedizinische Liaison-Sprechstunden erprobt. "Konkret geht es um die Kommunikation der medizinischen Fachangestellten mit der Praxis, der des Pflegeheims mit der Praxis und um ein praxisbasiertes Case-Management für Patienten mit chronischen Erkrankungen", so Steinhäuser. Die Chancen seien vielfältig: "Etwa das Verringern von unnötigen Fahrten zu Spezialisten, da einige Konsultationen von der Hausarztpraxis mit dem Patienten gemeinsam durchgeführt werden könnten." Mit der Stärkung der Tätigkeit von medizinischen Fachangestellten in Delegation erreiche man die Entlastung von Ärzten. "Insgesamt bekommt damit die Primärversorgungspraxis als erster Ort für alle Gesundheitsfragen eine noch zentralere Stellung", sagt Steinhäuser.
Videosprechstunden
Um Ärzte im ländlichen Raum zu entlasten und Anfahrtszeiten für Patienten zu verringern, bietet die
Patientus GmbH aus Berlin Videosprechstunden über ihr Onlineportal an. Die Kosten für ausgewählte Leistungen wie Nachsorgeuntersuchungen übernehmen seit April 2017 die gesetzlichen Krankenkassen. Derzeit plane man eine zweite Version der Plattform und die Integration in das Ärzteempfehlungsportal Jameda, sagt Nicolas Schulwitz von Patientus, Geschäftsführer des ehemaligen Lübecker Start-ups. Hunderte Ärzte und Kliniken nutzten das Portal bereits: "Einige Ärzte haben sogar separate Tage, an denen die Nachsorge ausschließlich per Videosprechstunde erfolgt", so Schulwitz. Eine besondere Herausforderung bliebe neben dem Datenschutz das Fernbehandlungsverbot, das es Ärzten verbiete, bei einem Erstkontakt in Videosprechstunden abschließende Diagnosen zu stellen.
Benjamin Tietjen
Veröffentlicht am 4. Dezember 2017