Durchstarter

Smarte Technologie für mehr Pflege

Spätestens seit der Coronakrise ist auch der breiten Öffentlichkeit klar geworden, wie wichtig, aber auch wie anstrengend die tägliche Arbeit der medizinischen Pflegekräfte ist: sie sind ständig auf den Beinen und immer auf Abruf. Um die Bedürfnisse der Patienten zu erfüllen, legen die Männer und Frauen auf den Stationen täglich etliche Kilometer zurück. Diese Arbeit lässt sich effizienter gestalten, wenn eines der Grundprobleme behoben wird: Bedient ein Patient die normale Patientenklingel am Klinikbett, bekommt das Pflegepersonal nur ein Signal und weiß nicht, ob es um etwas Ernsthaftes geht oder vielleicht nur ein neuer Tee gebracht werden soll. Das heißt, es muss zunächst der oder die Patientin aufgesucht und befragt werden, bevor die eigentliche Anfrage nach Medikamenten, Getränken oder anderem bearbeitet werden kann. Redundante Laufwege erschweren die Arbeit der Pflegekräfte unnötig und behindern oft einen effizienten Ablauf.
Genau hier setzt das Rostocker Startup Medventi an. Das junge, Anfang 2021 gegründete Unternehmen hat mit seiner Anwendung Helpchat ein digitales Kollaborations-​Tool entwickelt, mit dem Patienten und Pflegekräfte direkt miteinander kommunizieren können. Das Prinzip: Über das eigene Smartphone kann der oder die Kranke das für ihn zuständige Personal komfortabel kontaktieren. Die Plattform bietet eine breite Palette an, aus der das aktuelle Bedürfnis gezielt ausgewählt werden kann. Wenn die Meldung bei der Pflegekraft ankommt, weiß diese sofort, ob es sich um ein Service-​Anliegen handelt oder medizinischer Bedarf besteht.
Helpchat_Kategorisierung
„Durch die Reduzierung unnötiger Laufwege erreichen wir, dass mehr Zeit für die eigentliche Pflege zur Verfügung steht“, sagt Robert Kracht, einer der drei Gründer des Jungunternehmens. „Dabei geht es nicht darum, die Anzahl der Pflegekräfte zu reduzieren“, fügt Kracht hinzu, vielmehr solle die Arbeit auf den Stationen so qualitativ besser ausgerichtet werden.
Smartphone statt Zettel
Die Grundidee zu Helpchat hatte Fabian Nokodian. Der 31-​Jährige war seit 2017 als Assistenzarzt in der Mund-​Kiefer-​Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Rostock tätig. Dort, wo die Patienten oft gar keine Möglichkeit haben, sich verbal auszudrücken, ist ihm das Fehlen smarter Kommunikation besonders ins Auge gefallen. „Wer zum Beispiel einen Luftröhrenschnitt bekommen hat oder wegen anderer Verletzungen oder Krankheiten Sprechverbot hat, kann sich nur mitteilen, indem er alles aufschreibt. Das empfand ich als überhaupt nicht zeitgemäß“, sagt Nokodian.
Er habe schon lange überlegt, wie man Digitalisierung und Medizin zusammenbringen kann. Durch die Erfahrungen in diesem Bereich sei ihm dann die entscheidende Idee gekommen. Ein befreundeter Professor der Unimedizin vermittelte Nokodian mit seiner Idee an das Gründerbüro, über dieses ging es direkt weiter zum Ideenwettbewerb „inspired“, bei dem Medventi einen der vordersten Plätze belegte.
Während dieser Zeit stieß auch das zweite Gründungsmitglied Nima Zahraei zu MedVenti, der als Software- und Hardwareentwickler für die technologische Entwicklung von Helpchat verantwortlich ist. 2019 begann das Team die Arbeit an der Prototyp-​Version und stellte einen Antrag auf Unterstützung durch das Exist-​Gründerstipendium.
Seitdem hat sich viel getan. Erste Kunden und mehrere Pilot-​Krankenhäuser in Mecklenburg-​Vorpommern und darüber hinaus testen die digitale Patientenklingel im aktiven Betrieb. Parallel dazu laufen zwei klinische Studien zum Nachweis der Entlastung der Pflegeteams. Auch die Finanzierung ist laut Robert Kracht für die nächsten 12 Monate sichergestellt. „Wir haben einen Business Angel für uns gewinnen können, der uns unterstützt und viele Türen öffnet.“
Schnelle Entlastung der Pflege im Pandemiebetrieb
Im Kampf gegen die Corona-​Pandemie hilft die Technologie aus Rostock schon heute auf pragmatische Art und Weise. „Gerade auch auf Isolierstationen und beim Umfang mit Covid-​19-Patienten macht es Sinn, vorab zu klären, welches Anliegen der Patient beim Klingeln hat. Dann müssen die Pflegekräfte das Zimmer erst betreten, wenn es unbedingt notwendig ist“, so Robert Kracht. Durch das aktive Vermeiden von unnötigen physischen Kontakten spart das Krankenhaus nicht nur Schutzmaterialien und die Pflegekräfte Zeit zum Anlegen dieser. Vor allem hilft jeder vermiedene physische Kontakt dabei, die Sicherheit für Patienten und Personal zu steigern.
Mit Helpchat investieren Pflegeeinrichtung nicht nur in die Produktivität. Vor allem kann auch die Mitarbeiterzufriedenheit erhöht werden. „Damit profitieren unsere Kunden auch indirekt und steigern ihre Attraktivität als Arbeitgeber. Gerade in Zeiten von Personal- und Fachkräftemangel ein nicht zu vernachlässigender Gewinn“, ergänzt Robert Kracht.
„Ein großer Vorteil von Helpchat“, verrät Technikchef Nima Zahraei, „ist, dass bei der Entwicklung neben intuitivem Design auf Datensparsamkeit Wert gelegt wurde. Das System lässt sich ohne persönliche Patienten- und Mitarbeiterdaten betreiben. Entsprechend schnell kann die Plattform in den Pflegeprozess integriert werden. Kostspielige Schnittstellen sind nicht erforderlich.“
In den kommenden zwei Jahren will das Medventi-​Team Helpchat zu einer interoperablen Kollaborationsplattform für die Pflege ausbauen. „Unsere Roadmap umfasst insgesamt vier funktionale Module. Mit Hilfe von innovativer Technologie wie beispielsweise Künstlicher Intelligenz werden die operativen Abläufe in der Pflege noch effizienter gestaltet und damit dem Personalnotstand zumindest ein stückweit entgegengewirkt“, erklärt Chefentwickler Nima Zahraei selbstbewusst.
Blick nach Skandinavien
Die Technologie ist auch für den internationalen Markt interessant. Spannend für das Unternehmen ist zum Beispiel Skandinavien, sagt Fabian Nokodian. „Dort ist das gesellschaftliche Leben jetzt schon viel digitaler ausgerichtet als bei uns. Während wir vor allem bei den älteren Pflegekräften noch Überzeugungsarbeit leisten müssen, ist die Nutzung digitaler Systeme dort keine Generationenfrage mehr. Das können wir gut für uns nutzen“, betont der Mediziner. Erste Kontakte wurden bereits aufgebaut.
Kurzfristig geht es für das Team darum, weitere Partner und Krankenhäuser zu finden, die Helpchat nutzen wollen. Optimistisch sind die Gründer definitiv. „Meine Erfahrung hat gezeigt, dass Patienten und Pflegekräfte im Gesundheitswesen bislang keine zentrale Rolle gespielt haben. Wir möchten dabei helfen, dies zu ändern“, betont der ehemalige Unternehmensberater Robert Kracht.
Der bisherige Weg von der Medventi GmbH ist sehr vielversprechend, was, da sind sich die drei Gründer einig, nicht zuletzt am Standort Mecklenburg-​Vorpommern liegt. Die Rahmenbedingungen im Land und das aktive Netzwerk aus Fördervereinen, universitärer Forschung sowie interessierten Investoren und einer gründerfreundlichen Politik haben sich schon jetzt als ein ideales Umfeld für innovative Ideen und deren Umsetzung herausgestellt.